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Eine Wirtschaft ohne Abfälle?

Trotz hoher Recyclingquoten wird in der Schweiz so viel Abfall pro Person produziert wie fast nirgendwo sonst. Für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem braucht es deshalb mehr als nur Recycling: eine wirkliche Kreislaufwirtschaft und einen massvollen Konsum.
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Wiederverwerten statt wegwerfen: Beim Abbruch von Häusern gelangen in der Schweiz jährlich rund 12 Millionen Tonnen Beton, Kies, Sand und Asphalt zurück in den Kreislauf. (Bild: Keystone)

Nehmen, herstellen, nutzen, wegwerfen: Nach diesem Motto funktioniert unser noch stark linear geprägtes Wirtschaftssystem. Am Anfang der Wertschöpfungskette werden Rohstoffe verbraucht, am Ende bleiben Schadstoffe und Abfälle zurück. Zwar hat diese Art des Wirtschaftens den Menschen in der westlichen Welt seit der industriellen Revolution eine nie gekannte Fülle von Konsumgütern beschert, doch die Ineffizienz und der Überfluss in diesem System haben ihren Preis.

Wie hoch der Preis ist, zeigte sich in diesem Jahr bereits am 7. Mai, dem sogenannten Overshoot Day. Zu Deutsch: dem Tag der Überschreitung. An diesem Tag hatten die Schweizer bereits mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als im ganzen Jahr 2019 pro Erdbewohner nachwachsen oder nachhaltig genutzt werden können. Mit anderen Worten: Um unseren Lebensstil beizubehalten, wären wir im Prinzip auf drei Planeten in der Grösse unserer Erde angewiesen.

Berücksichtigt man externe Kosten wie den Klimawandel oder den Verlust an Biodiversität, sind wir mit diesem linearen System volkswirtschaftlich gesehen weit von einem optimalen System entfernt. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ein Grund sind die im Vergleich zu den Lohnkosten sehr tiefen Rohstoff-, Transport- und Produktpreise. Ausserdem werden die aus unserem Konsum resultierenden Umwelt- und Gesundheitskosten immer noch zum grossen Teil von der Öffentlichkeit und nicht direkt von den Verursachern getragen.

Kurzum: Unser heutiges Produktions- und Konsumsystem ist nicht nachhaltig, und die natürlichen Ressourcen werden übernutzt. Die Weiterentwicklung in Richtung einer sogenannten Kreislaufwirtschaft wäre deshalb ein wichtiger Schritt. Sie ist einer von mehreren Ansätzen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu schonen. Und sie bietet nicht nur der Umwelt, sondern auch der Wirtschaft neue Chancen.

Kreislaufwirtschaft: Was ist das?


Der Grundgedanke der Kreislaufwirtschaft ist der Natur entlehnt: Nichts soll verloren gehen. Und fast nichts wird zu wertlosem, womöglich giftigem Abfall. Möglichst alles befindet sich in einem grossen Kreislauf von Rohstoffgewinnung, Produktion, möglichst langer Nutzung und nötigenfalls Recycling zu Sekundärrohstoffen, die wiederum für neue Produkte eingesetzt werden. In einer Kreislaufwirtschaft werden die Produkte und Materialien so lange wie möglich wiederverwendet, und ihr Wert wird erhalten. Das soll die Nutzungsintensität und die Einsatzdauer der Produkte und der eingesetzten Materialien steigern. Im Grunde geht es darum, Material- und Produktkreisläufe zu schliessen (siehe Abbildung).

Kreislaufwirtschaft: Vom Ökodesign bis zur Rohstoffaufbereitung




In der Kreislaufwirtschaft zirkulieren idealerweise ganze Produkte oder Produktbestandteile. Deshalb ist es entscheidend, dass alle Akteure den gesamten Kreislauf berücksichtigen. Das fängt schon beim Design an: Das Produkt sollte möglichst langlebig, reparaturfähig und zerlegbar gestaltet sein. Es sollte zudem sparsam sein beim Einsatz von umwelt- und gesundheitsgefährdenden Chemikalien und aus möglichst kreislauffähigen Materialien bestehen, wie beispielsweise naturbelassenem Holz, Alu oder Glas.

Ausserdem gibt es einige Ansatzpunkte, die in einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Sie zeigen auf, wie Produkte und Produktteile länger im Kreislauf verbleiben, das heisst, wie man sie länger nutzen kann und nicht direkt in den Müll werfen muss.

Erstens müssen sowohl Konsumenten als auch Produzenten ihren Bedarf an Material, natürlichen Ressourcen und Produkten überdenken und reduzieren. Denn durch Effizienzsteigerungen, durch optimiertes Design oder durch bedürfnisorientierte Dienstleistung wie etwa das bedarfsgerechte Mieten anstatt Kaufen eines Fahrzeuges können bereits viele Materialien eingespart werden, ohne dass auf die Funktion, die das Produkt erbringt, an sich verzichtet werden muss. Zweitens sollten Produkte, wenn möglich, geteilt werden. Dadurch wird die Nutzungsintensität erhöht. Denn oft können mehrere Nutzer von ein und demselben Produkt profitieren. Dafür gibt es unzählige Beispiele: etwa Bibliotheken, landwirtschaftliche Geräte, die gemeinsam von mehreren Landwirtschaftsbetrieben genutzt werden, oder Onlineplattformen, die das Teilen von Produkten ermöglichen.

Ein dritter Ansatz ist es, die Produkte in einem zweiten Leben weiterzuverwenden: Gebrauchte Güter sollten seltener in der Mülltonne landen. Falls sie noch funktionsfähig sind, können sie auch an einen anderen Nutzer weitergegeben werden. Beispielsweise über Brockenstuben, Kleidertauschbörsen oder online über Verkaufsplattformen wie Ricardo und Tutti.ch.

Und auch wenn ein Produkt nicht mehr funktionieren sollte, muss das noch nicht zwingend das Ende sein. In vielen Fällen kann es repariert werden, und das macht meistens auch aus Umweltsicht viel Sinn. Denn die Nutzungsdauer eines Produkts wird dadurch verlängert.

Die fünfte und letzte Möglichkeit beinhaltet die Wiederaufbereitung. Denn letztlich erhalten viele veraltete und abgenutzte Produkte damit wieder einen Wert und werden weiter genutzt, so zum Beispiel ein alter Lehnstuhl, der abgeschliffen und neu bespannt wurde.

Nur erneuerbare Energien erlaubt


Das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den gesamten Kreislauf von der Rohstoffgewinnung über das Design, die Produktion, die Distribution und eine möglichst lange Produktnutzung bis hin zum Recycling betrachtet. Es umfasst weit mehr als nur Abfallmanagement, separates Sammeln von Abfällen und Recycling. Zwar schliesst sich der Rohstoffkreislauf über das Recycling, doch nicht alle Materialien sind dazu geeignet, rezykliert und zu Sekundärrohstoffen verarbeitet zu werden. Aus Umweltsicht ist das Recycling mit der heutigen Technologie nicht in jedem Fall angezeigt. Denn es ist zum Teil mit grossem Energieeinsatz verbunden und verbraucht Wasser oder Chemikalien.

Was ökologisch tatsächlich Sinn macht, kann in der Kreislaufwirtschaft bei allen Schritten in den Produkt- und Rohstoffkreisläufen mittels Ökobilanzen evaluiert werden. Diese Bilanzen berücksichtigen alle relevanten Umweltauswirkungen über den ganzen Lebenszyklus von Produkten. Dazu gehört auch die Energie: In der Kreislaufwirtschaft werden ausschliesslich erneuerbare Energien verwendet. Die Ökobilanzen stellen also sicher, dass Kreislaufwirtschaftsprojekte und -massnahmen unter dem Strich die Umweltbelastung reduzieren.

Ökologie gepaart mit ökonomischen Chancen


Charakteristisch für die Kreislaufwirtschaft sind auch Geschäftsmodelle, bei denen eine möglichst kundengerechte ressourcenschonende Dienstleistung und nicht der Verkauf von möglichst vielen physischen Produkten im Vordergrund steht. So lassen sich zum Beispiel dank der effizienteren Nutzung von Primärrohstoffen in der Regel die Produktionskosten senken. Und dadurch kann die Schweizer Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Zudem wird in einer Kreislaufwirtschaft mehr repariert, wiederaufbereitet und recycelt, und es werden mehr erneuerbare Energien verwendet. Das wirkt sich nicht zuletzt auch auf die Arbeitsplätze positiv aus. Ein Beispiel ist die Reparatur eines Produktes in der Schweiz: Dabei werden im Inland Stellen geschaffen, die es nicht gäbe, wenn stattdessen nicht kreislauffähige Produkte importiert würden.

Auf die wirtschaftlichen Chancen weist denn auch der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft[1] hin, den die EU-Kommission 2015 verabschiedet hat. Die für die Kreislaufwirtschaft relevanten Sektoren beschäftigten in der EU 2016 über vier Millionen Arbeitnehmende. Kreislaufaktivitäten wie Reparaturen, Wiederverwendung und Recycling haben im selben Jahr eine Wertschöpfung von gegen 147 Mrd. Euro erzielt und Investitionen von rund 17,5 Mrd. Euro ausgelöst. Der weltweite Markt für Kreislaufwirtschaft und Material- und Ressourceneffizienz ist in den letzten fünf Jahren um über zehn Prozent gewachsen.[2] Damit wächst er schneller als der Weltmarkt als Ganzes.

Doch auf dem Weg zur Konkretisierung der Kreislaufwirtschaft existieren auch Hürden. Eine davon besteht darin, dass einige Primärrohstoffe günstiger sind als die entsprechenden Sekundärrohstoffe. Das kann Unternehmen davon abhalten, auf Kreislauf-Geschäftsmodelle umzustellen. Der Grund für den Preisunterschied ist, dass die externen Kosten nicht im Preis der Primärrohstoffe enthalten sind. Wegen dieser fehlenden Internalisierung können Kreislauf-Geschäftsmodelle ihre Vorteile nicht in Wert setzen. In diesen Fällen fehlt aus betriebswirtschaftlicher Sicht oft der finanzielle Anreiz für eine Umstellung. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass bei der Entwicklung und der Herstellung von kreislauffähigen Produkten die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Wertschöpfungsketten unabdingbar ist: So haben etwa Designentscheidungen einen bedeutenden Einfluss auf die späteren Stufen der Wertschöpfungskette. Beispielsweise darauf, wie langlebig ein Produkt ist und ob sich das Material wieder rückgewinnen lässt. Die dazu erforderliche Zusammenarbeit erhöht die Such- und Transaktionskosten gegenüber einem linearen Geschäftsmodell. Zudem können bestehende Regulierungen den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft behindern. So zum Beispiel der Umstand, dass Arbeit viel stärker besteuert wird als Rohstoffe, Produkte, Finanzkapital und natürliche Ressourcen. Für eine Reduktion der Arbeitsbesteuerung spricht zudem, dass sie gleichzeitig auch die Attraktivität des Arbeitsmarktes Schweiz erhöhen würde.

Rahmenbedingungen in anderen Ländern


Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Land. Deshalb verfolgt sie Ansätze zu einer Kreislaufwirtschaft bereits seit Mitte der Achtzigerjahre, und es ist ihr gelungen, gewisse Kreisläufe zumindest teilweise zu schliessen. So werden beispielsweise jedes Jahr rund 12 Millionen Tonnen Rückbaumaterial wie Beton, Kies, Sand, Asphalt und Mauerwerk wiederverwertet. Allerdings befinden sich auch mehr als 5 Millionen Tonnen Mischabbruch, Holz und Beton noch nicht in einem Kreislauf. Bei den Siedlungsabfällen wird etwas mehr als die Hälfte der Abfälle separat gesammelt. Aber die hohe Recyclingquote der Schweiz ist nur die eine Seite der Medaille. Fakt ist: In kaum einem anderen Land fällt gemessen an der Wohnbevölkerung so viel Abfall an wie hierzulande. Herr und Frau Schweizer produzieren jährlich mehr als 700 Kilogramm Siedlungsabfälle. Der Weg zu einer Kreislaufwirtschaft ist also noch weit, es bleibt einiges zu tun.

Zur Förderung der Kreislaufwirtschaft gibt es viele mögliche Massnahmen. Diese reichen von direkter Innovationsförderung über die Unterstützung von Plattformen, die das Teilen und Verkaufen von gebrauchten Produkten erleichtern, bis hin zu einer Reduktion der Mehrwertsteuer bei Reparaturen. Einige Massnahmen hat die Schweiz bereits mit dem Umweltschutzgesetz umgesetzt (siehe Tabelle 1). Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass es noch weitere Möglichkeiten gibt (siehe Tabelle 2). Die EU-Ecodesign-Richtlinie etwa ist eine wichtige Grundlage für die Kreislaufwirtschaft in der EU. Sie ist beispielsweise die rechtliche Grundlage für Mindestanforderungen an Haushaltgeräte bezüglich des Energieverbrauchs.

Allerdings: Nicht alle Massnahmen aus anderen Staaten sind auch für die Schweiz zielführend. Denn die organisatorische und rechtliche Ausgangslage unterscheidet sich je nach Land stark. So hätte beispielsweise eine Reduktion der vergleichsweise tiefen Mehrwertsteuer in der Schweiz nicht dieselbe Wirkung wie in Ländern mit deutlich höherer Mehrwertsteuer.

Bei all den dargelegten Überlegungen gilt es eines zu bedenken: Die Kreislaufwirtschaft und die mit ihr verbundenen Massnahmen sind an und für sich noch nicht das Ziel. Sie sind nur die Mittel, um die übergeordneten Ziele zu erreichen: Rohstoffe einsparen und die Umweltbelastung reduzieren. Die damit verbundenen Kosteneinsparungen sind sowohl auf betriebs- als auch auf volkswirtschaftlicher Ebene Beweggründe, um Massnahmen für eine Kreislaufwirtschaft zu ergreifen.

Tabelle 1: Beispiele von Regulierungsmassnahmen mit Einfluss auf die Kreislaufwirtschaft, die die Schweiz umgesetzt hat









Verwertbare Anteile von Siedlungsabfällen wie Glas, Papier, Karton, Metallen, Grünabfällen und Textilien müssen so weit wie möglich getrennt gesammelt und stofflich verwertet werden.
Biogene Abfälle müssen in der Regel stofflich oder zumindest energetisch verwertet werden.
Phosphor muss ab 2026 aus phosphorreichen Abfällen (bspw. Klärschlamm, Tier- und Knochenmehl) zurückgewonnen und stofflich verwertet werden.
Bauabfälle müssen auf der Baustelle getrennt und je nach Art des Bauabfalles verwertet oder entsorgt werden.
Obligatorische vorgezogene Entsorgungsgebühren für Batterien und Glasflaschen
Freiwilliges Finanzierungssystem mit vorgezogenen Recyclingbeiträgen für Elektronikschrott, Aludosen und PET-Getränkeflaschen

Tabelle 2: Beispiele von ausländischen Regulierungsmassnahmen mit Einfluss auf die Kreislaufwirtschaft













Regulierungsmassnahme Wo?
Anforderungen an energierelevante Produkte (bspw. Energieverbrauch von Haushaltsgeräten) EU (Ecodesign-Richtlinie 2009/125/EG)
Produktdeklarationen (bspw. Energieetikette) Bspw. EU (Ecodesign-Richtlinie 2009/125/EG)
Vorschriften zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen und zum Zugang zu Reparaturanleitungen EU (Ecodesign-Richtlinie 2009/125/EG, Entscheid der EU voraussichtlich im Sommer 2019); Frankreich
Informationen zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen bereitstellen Frankreich
Schutz der Konsumenten vor falschen Umweltaussagen und Massnahmen gegen den Missbrauch von Umweltlabelling EU (Richtlinie 2005/29/EC)
Mehrwertsteuer-Reduktion für kleinere Reparaturen von Fahrrädern, Schuhen, Lederwaren, Bekleidung und Haushaltswäsche Schweden, Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Slowenien
Abzüge von der Einkommenssteuer für Reparaturarbeiten Finnland
Subventionen für Reparaturinstitute, die auch soziale Funktionen haben Belgien
Geplante Beschränkung der Lebensdauer eines Produkts (geplante Obsoleszenz) strafbar Frankreich

  1. Mehr Informationen unter Ec.europa.eu[]
  2. Siehe Roland Berger Strategy Consultants (2012, 2014). Greentech-atlas 3.0 und 4.0[]

Zitiervorschlag: Känzig, Josef (2019). Eine Wirtschaft ohne Abfälle? Die Volkswirtschaft, 18. Juli.