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Bessere Arbeitsmarktchancen dank «Vitamin B»

Fast die Hälfte aller Stellen wird über Beziehungen vergeben. Vielen Stellensuchenden fehlen solche Kontakte. Doch wie eine Studie der Universität Lausanne zeigt, haben Empfehlungen von RAV-Mitarbeitenden einen ähnlichen Effekt.
Informelle Kontakte sind bei der Arbeitssuche wichtig. Wer Beziehungen hat, ist oft erfolgreicher. (Bild: Keystone)

Soziale Netzwerke spielen auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Fast die Hälfte aller Stellen wird durch informelle Kontakte vermittelt.[1] Personen, welche über ein starkes soziales Netzwerk verfügen, finden daher schneller eine neue Anstellung. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Einerseits können informelle Kontakte Informationen über freie Stellen weitergeben, andererseits können sie die Unsicherheit darüber reduzieren, ob sich ein Bewerber tatsächlich für die Stelle eignet. Einige Personen auf Stellensuche haben allerdings nur ein schwaches soziales Netzwerk. Das heisst, sie haben hauptsächlich Kontakt zu Leuten, die ebenfalls nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen. Für diese Personen ist das ein gewichtiger Nachteil. Davon betroffen sind häufig Migranten, da deren soziales Netzwerk oft aus Personen besteht, welche eine geringere Arbeitsmarktpartizipation aufweisen.

Eine Studie der Universität Lausanne[2] hat nun untersucht, ob Massnahmen der Arbeitsmarktpolitik diesen Nachteil ausgleichen und Personen mit einem schwachen sozialen Netzwerk so eine Alternative zu informellen Kontakten bieten können.

Geeignete Kandidaten vorschlagen


Eine Institution, die potenziell die Funktion von sozialen Kontakten im Arbeitsmarkt übernehmen könnte, ist die öffentliche Arbeitsvermittlung. In der Schweiz nehmen die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eine wichtige Rolle bei der Vermittlung und der Beratung von arbeitssuchenden Personen ein. Für die Personalberatenden in den RAV sind Kontakte mit lokalen Arbeitgebern wichtig, um arbeitssuchende Personen erfolgreich zu vermitteln. Denn durch solche Kontakte erfahren die Personalberater, ob ein Unternehmen offene Stellen hat, und können so gegebenenfalls geeignete Kandidaten empfehlen. Diese Empfehlungen sind insbesondere für Arbeitssuchende mit einem schwachen sozialen Netzwerk wertvoll, da sie sich nicht auf ihre eigenen Kontakte verlassen können.

Wie aber nehmen Arbeitgeber solche Empfehlungen von RAV-Mitarbeitenden wahr? Werden sie von den Arbeitgebern geschätzt, und sind sie mit dem positiven Effekt eines sozialen Netzwerks vergleichbar? Grundsätzlich sollten die Empfehlungen einen positiven Einfluss auf die Evaluation von Bewerbern haben, da diese die Unsicherheit bezüglich der Eignung des Bewerbers verringern. Ergebnisse früherer Studien weisen allerdings darauf hin, dass Arbeitgeber solche Bewerber, die durch die öffentliche Arbeitsvermittlung vermittelt werden, negativ wahrnehmen[3]. Die vorliegende Studie hat nun untersucht, wie sich eine konkrete Empfehlung eines RAV-Beraters auf die Evaluation eines Bewerbers durch den Arbeitgeber auswirkt. Dieser Effekt wird mit demjenigen einer Empfehlung über einen sozialen Kontakt verglichen.

Um den Einfluss von unterschiedlichen Empfehlungen auf den Bewerbungsprozess zu untersuchen, wurde ein sogenanntes faktorielles Umfrageexperiment (siehe Kasten) mit Personalverantwortlichen in der Schweiz durchgeführt. Dabei haben 720 Teilnehmende die Profile von über 5000 fiktiven Bewerbern bewertet. Nebst anderen Merkmalen wurde auch der Bewerbungskanal der fiktiven Bewerber systematisch variiert und die Profile der Bewerber zufällig an die teilnehmenden Personalverantwortlichen verteilt. Einige Profile enthielten die Information, dass sich der Bewerber via E-Mail auf die ausgeschriebene Stelle beworben hat, in anderen Profilen stand, dass die Bewerberin durch einen aktuellen Mitarbeitenden (sozialer Kontakt) oder durch einen Beratenden des lokalen RAV empfohlen wurde.

Empfehlungen haben einen positiven Effekt


Die Auswertungen der Daten zeigen, dass der Bewerbungskanal – das heisst, ob der Bewerber sich per E-Mail beworben hat oder empfohlen wurde – eine bedeutende Rolle spielt. Konkret heisst das: Bewerbende, die von einem aktuellen Mitarbeiter des Arbeitgebers empfohlen worden sind, wurden signifikant besser bewertet als Bewerbende, die sich via E-Mail – und somit ohne Empfehlung – beworben haben (siehe Abbildung). Erstere erhielten im Durchschnitt eine Bewertung von 7 Punkten, während letztere durchschnittlich mit 6,75 Punkten bewertet wurden. Die Analyse zeigt ausserdem, dass auch jene Kandidaten, die durch das RAV empfohlen worden sind, eine höhere Bewertung erhielten als Bewerber ohne Empfehlung. Ein negativer, stigmatisierender Effekt wie in früheren Studien lässt sich nicht ausmachen. Im Gegenteil: Obwohl der positive Effekt einer RAV-Empfehlung etwas kleiner ausfällt als der Effekt einer Empfehlung durch einen sozialen Kontakt, sind beide Effekte signifikant positiv. Dieses Resultat lässt darauf schliessen, dass Empfehlungen durch RAV-Beratende als Ersatz für soziale Kontakte dienen können – wenngleich sie diese nicht vollständig ersetzen können.

Effekt von Empfehlungen auf die Bewertung der Stellensuchenden




Lesebeispiel: Für Personen mit Migrationshintergrund steigt die Bewertung des Bewerbungsschreibens im Schnitt um 0,1 Punkte auf einer Skala von 0 bis 10, wenn sie von einem RAV-Berater empfohlen worden sind.

* Der Effekt von RAV-Beratern ist für Schweizer Bewerber nicht signifikant von 0 verschieden.

Quelle: Liechti (2019) / Die Volkswirtschaft

Die Analyse zeigt aber noch etwas anderes: Bewerber mit Migrationshintergrund, die keinen typisch schweizerischen Namen tragen, sind generell schlechter bewertet worden als Bewerber mit Schweizer Namen.[4] Um zu testen, ob Empfehlungen – von RAV-Mitarbeitenden oder sozialen Kontakten – diesen Nachteil ausgleichen können, wurde der Effekt für Schweizer und Bewerber mit Migrationshintergrund verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass Empfehlungen die Bewertung von Bewerbern mit Migrationshintergrund zwar verbessern können, aber den Nachteil, den diese Bewerber sowieso erfahren, können sie nicht ausgleichen. Im Gegenteil: Empfehlungen durch aktuelle Mitarbeiter (soziale Kontakte) haben einen grösseren Nutzen für Schweizer Bewerber und vergrössern somit die Distanz zwischen den beiden Gruppen. Umgekehrt ist es bei Empfehlungen durch das RAV. Hier zeigt sich, dass Bewerber mit Migrationshintergrund etwas mehr profitieren als Schweizer. Für Schweizer Bewerber haben die Empfehlungen von RAV-Mitarbeitenden nämlich keinen signifikanten Effekt. Trotzdem reicht es nicht aus, die Distanz zwischen den beiden Gruppen erheblich zu verkleinern.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Empfehlungen durch RAV-Beratende zwar nicht ganz an den positiven Effekt von Empfehlungen durch soziale Kontakte herankommen. Dennoch haben sie einen durchaus positiven Einfluss auf die Bewertung von Stellensuchenden. Für diese zahlt es sich deshalb aus, wenn RAV-Beratende in persönliche Kontakte mit Arbeitgebern investieren und diese pflegen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Empfehlungen selektiv ausgesprochen und nur geeignete Bewerber empfohlen werden, damit Arbeitgeber diesen Empfehlungen vertrauen können. Dies limitiert natürlich das Ausmass, inwieweit RAV-Beratende Empfehlungen dazu einsetzen können, Nachteile von Bewerbern mit einem schwachen sozialen Netzwerk auszugleichen. Bewerber, welche eine grosse Distanz zum Arbeitsmarkt aufweisen, weil sie beispielsweise nicht über die geeignete Ausbildung oder Motivation verfügen, werden eher nicht empfohlen. Sie sollten in erster Linie durch andere arbeitsmarktliche Massnahmen auf die Stellensuche vorbereitet werden. Das kann im Anschluss dazu immer noch zu einer Empfehlung führen.

  1. Siehe Oesch und von Ow (2017). []
  2. Der folgende Text ist eine Kurzfassung von Liechti (2019). []
  3. Larsen und Vesan (2012). []
  4. Um die Herkunft der Bewerber zu signalisieren, wurden typisch spanische, polnische und türkische Namen gewählt. Es wurde jedoch erwähnt, dass die Person die gesamte Ausbildung in der Schweiz absolviert hat, womit davon ausgegangen werden konnte, dass die Person mindestens einen Ausweis C oder die Schweizer Staatsbürgerschaft hat. []

Literaturverzeichnis

  • Larsen, C. A. und Vesan, P. (2012). Why Public Employment Services Always Fail. Double-Sided Asymmetric Information and the Placement of Low-Skilled Workers in Six European Countries. In: Public Administration 90: 466–479.
  • Liechti, F. (2019). Connecting Employers and Workers: Can Recommendations from the Public Employment Service Act as a Substitute for Social Contacts? In: Work, Employment and Society, online first.
  • Oesch, D. und von Ow, A. (2017). Social Networks and Job Access for the Unemployed: Work Ties for the Upper-Middle Class, Communal Ties for the Working Class. In: European Sociological Review 33: 275–291.

Bibliographie

  • Larsen, C. A. und Vesan, P. (2012). Why Public Employment Services Always Fail. Double-Sided Asymmetric Information and the Placement of Low-Skilled Workers in Six European Countries. In: Public Administration 90: 466–479.
  • Liechti, F. (2019). Connecting Employers and Workers: Can Recommendations from the Public Employment Service Act as a Substitute for Social Contacts? In: Work, Employment and Society, online first.
  • Oesch, D. und von Ow, A. (2017). Social Networks and Job Access for the Unemployed: Work Ties for the Upper-Middle Class, Communal Ties for the Working Class. In: European Sociological Review 33: 275–291.

Zitiervorschlag: Fabienne Liechti (2019). Bessere Arbeitsmarktchancen dank «Vitamin B». Die Volkswirtschaft, 18. Juli.

Faktorielle Umfrageexperimente

Faktorielle Umfrageexperimente eignen sich gut, um das Verhalten von Arbeitgebern zu untersuchen, welches sich sonst nur schwer beobachten lässt. In der aktuellen Studie der Universität Lausanne wurden die teilnehmenden Personalverantwortlichen gebeten, die Bewerbungen von fiktionalen Stellensuchenden zu bewerten. Diese Stellensuchenden variieren zufällig in verschiedenen Merkmalen, wie zum Beispiel Geschlecht, Ausbildung, Migrationshintergrund oder Bewerbungskanal (per E-Mail oder per Empfehlung eines sozialen Kontakts oder eines RAV-Mitarbeitenden). Aus all den möglichen Kombinationen dieser Merkmale wurden die Studienteilnehmenden gebeten, jeweils ein zufällig ausgewähltes Set an acht fiktiven Bewerbern zu bewerten. Dabei wurden die Teilnehmenden gefragt, wie wahrscheinlich es sei, dass sie den Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch für eine bestimmte Stelle einladen würden. Dieses Vorgehen ermöglicht es, mittels Regressionsanalyse den Einfluss der einzelnen Merkmale auf die Bewertung der fiktiven Bewerber zu ermitteln.