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Wettbewerbspolitik im Gegenwind

Eine Analyse der Gesetzgebung aus Sicht der Wettbewerbspolitik zeigt, dass wettbewerbsfördernde Vorlagen immer weniger mehrheitsfähig sind. Im Gegenteil: Protektionismus hatte in der vergangenen Legislatur Hochkonjunktur. Eine Auslegeordnung.
Schreiner in der Schweiz bezahlen mehr für Importholz als ihre ausländischen Berufskollegen. (Bild: Keystone)

Wieso sind gewisse Länder leistungsfähiger als andere? Wieso wurde in vielen Ländern ein ansehnliches Wohlstandsniveau erreicht? Zumindest in der Wissenschaft ist eine unbestrittene Komponente dafür die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft. Gemäss der ökonomischen Theorie führt Wettbewerb zu besseren Ergebnissen und höherem Wohlstand, als wenn Unternehmen vor Konkurrenz geschützt sind. Denn Unternehmen wetteifern auf Märkten um Kunden und sind bestrebt, sich durch ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis von der Konkurrenz abzuheben. Das sorgt für unternehmerische Fitness. Aber: Wettbewerb führt nicht für alle Marktteilnehmer automatisch zum Erfolg. Er ist vielmehr ein Entdeckungsverfahren für die optimale Art und Weise, wie Güter und Dienstleistungen produziert werden. Wer an der Nachfrage vorbeiproduziert, der wird seine Produkte nicht verkaufen, Verluste machen und letztendlich aus dem Markt ausscheiden. Dafür können wiederum andere Unternehmen die Chance nutzen und mit innovativen Ideen Marktanteile gewinnen. Konkurse und Pleiten sind für die Betroffenen oft unschön und einschneidend, aber sie sind für ein gesundes und wohlstandsförderndes Wettbewerbssystem langfristig unabdingbar.[1]

Schädliche Eingriffe


Wettbewerb setzt voraus, dass Markteintritte und Austritte frei von rechtlichen Hindernissen möglich sind und die zentralen Wettbewerbsparameter wie Preis, Qualität, Leistung, Menge oder Werbung frei spielen können. Rechtliche Marktzugangshindernisse in Form von Bewilligungen, Konzessionen, Staatsmonopolen oder formellen Anforderungen an die Firmengründung schwächen den Wettbewerb. Gleiches gilt für regulatorische Eingriffe in die Wettbewerbsparameter, beispielsweise Tarifregulierungen, Qualitätsvorschriften oder Mengen- und Werbebeschränkungen. Auch wirtschaftspolitische Fördermassnahmen wie Staatsgarantien, Subventionen, öffentliche Aufträge und Steuererlasse können zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Solche Regulierungen verfolgen allerdings nicht immer strukturpolitische Ziele, sondern dienen oftmals wichtigen öffentlichen Interessen wie Sicherheit, Konsumentenschutz, Umweltschutz und anderem. Es stellt sich deshalb jeweils die Frage: Ist eine Regulierung wirklich erforderlich und geeignet, um das angestrebte Ziel zu erreichen? Und rechtfertigt das angestrebte Ziel die wettbewerbshemmende Wirkung der Regulierung tatsächlich? Werden nämlich Unternehmen regulatorisch vor Wettbewerb geschützt oder versuchen sie, sich durch Abreden oder Fusionen dem Wettbewerb zu entziehen, bekommen insbesondere die Konsumenten dies in Form von höheren Preisen oder schlechter Qualität zu spüren.

Verfassungsziel Wettbewerbsschutz


Aus diesem Grund hat der Souverän den ordnungspolitischen Grundsatzentscheid für eine freie Marktwirtschaft sowie den Schutz des Wettbewerbs und der freien Berufsausübung vor staatlicher Überregulierung und privaten Wettbewerbsbeschränkungen in der Bundesverfassung[2] verankert. Zudem hat der Bund seit Mitte der Neunzigerjahre mit dem Programm zur marktwirtschaftlichen Erneuerung eine Vielzahl von wettbewerbsfördernden Gesetzen erlassen. Dazu zählen etwa ein griffiges Kartellgesetz, ein Beschaffungsgesetz, ein Binnenmarktgesetz, das Gesetz über den Abbau von technischen Handelshemmnissen sowie Sektorenregulierungen in der Telekommunikation, der Stromversorgung, in den Postdiensten und vielem mehr. Verschiedene dieser wettbewerbsrechtlichen Erlasse sind Anfang der Nullerjahre zusätzlich verstärkt worden.

In den letzten Jahren hingegen scheinen die Förderung und der Schutz von Wettbewerb immer weniger mehrheitsfähig zu sein. Auch wenn vordergründig für eine liberale Wirtschaftsregulierung und für Wettbewerb plädiert wird, entpuppt sich dies bei genauerem Hinsehen oft als Scheinheiligkeit. Die wenigen politischen Vorstösse, die den Wettbewerb in unterschiedlichen Sektoren fördern wollten, hatten in der letzten Legislatur kaum eine Chance. Abgelehnt wurden etwa Vorschläge hinsichtlich der Wettbewerbsneutralität von Staatsunternehmen, der Kontrolle von staatlichen Beihilfen, der erleichterten Tätigkeit von Fernbussen oder der freien Preisgestaltung bei Konsumkrediten. Daneben wurden zahlreiche Vorlagen verabschiedet, welche den Wettbewerb in der Schweiz insgesamt schwächen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Glücksspielmarkt


Ein Beispiel ist das Geldspielgesetz. Nicht nur in der physischen, sondern auch in der digitalen Welt erfreuen sich Glücksspiele grosser Beliebtheit. Um die Folgen der Spielsucht besser zu bekämpfen, ist die Branche daher traditionell stark reguliert und weitgehend dem Wettbewerb entzogen. Erfreulich sind diese staatlich regulierten und regionalen Monopole auch für die öffentliche Hand, welche rund die Hälfte der Erträge[3] erhält. Neue digitale ausländische Wettanbieter stiessen nach der Jahrtausendwende auch in der Schweiz auf eine grosse Nachfrage und setzen den physischen Kasinos zu. Der Gesetzgeber beschloss, den Schweizer Betreibern zwar das Online-Glücksspiel zu erlauben, gleichzeitig sollten sie jedoch mittels Netzsperren vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Damit wurde der Wettbewerb weitgehend beseitigt. Auch das Volk erhörte die Argumente zugunsten einer stärkeren Konkurrenz schliesslich nicht: In der Referendumsabstimmung wurde das Geldspielgesetz sehr deutlich angenommen.

Beschaffungsmarkt


Ein weiteres Beispiel ist der öffentliche Beschaffungsmarkt. Das Beschaffungsrecht der Neunzigerjahre war klar darauf ausgerichtet, die regional abgeschotteten Beschaffungsmärkte schweizweit und international zu öffnen und den Wettbewerb zu fördern. Die schweizerische Exportwirtschaft hat so Zugang zu öffentlichen Aufträgen im Ausland erhalten, und die öffentliche Hand profitiert von effizienteren Beschaffungen. Doch im Rahmen der Totalrevision des öffentlichen Beschaffungsrechts von Bund und Kantonen gibt es starke protektionistische Tendenzen. Diese zielen darauf ab, die Marktöffnung und den Wettbewerb als beschaffungsrechtliche Leitprinzipien zu relativieren. Neu ist gemäss dem Bundesgesetzgeber die «volkswirtschaftliche Nachhaltigkeit» als beschaffungsrechtliche Zielsetzung hinzugetreten.[4] Zudem hat er die «unterschiedlichen Preisniveaus» in den Herkunftsländer der Anbieter als weiteres Zuschlagskriterium eingeführt.[5] Mit diesen Regelungen bringt der Gesetzgeber den politischen Willen zum Ausdruck, dass öffentliche Aufträge grundsätzlich an Schweizer Unternehmen erteilt werden sollten. Auch auf kantonaler Ebene zeichnen sich ähnliche Tendenzen ab. Zum Beispiel beim neuen Vergabegesetz des Kantons Tessin. Dieses enthält vor dem Hintergrund der Volksinitiative mit dem Titel «Prima i nostri» verschiedene Mechanismen, die es den Vergabestellen ermöglichen, Tessiner Unternehmen bei Ausschreibungen zu bevorteilen.

Notariatsmarkt


Doch damit nicht genug. Weitere Rückschläge gibt es im Notariatsmarkt. Bis heute sieht das kantonale Beurkundungsrecht vor, dass Liegenschaftsverträge bei einem Notar in dem Kanton beurkundet werden müssen, in dem auch das Grundstück liegt. Der Bundesrat hatte vorgesehen, im Rahmen einer Revision der Bundesvorschriften zum Notariatsrecht den Grundsatz der Freizügigkeit der öffentlichen Urkunde einzuführen. Diese Regelung hätte den Wettbewerb zwischen den Notaren erheblich belebt, zumal die Notariatstarife zwischen den Kantonen stark variieren. Die Notariatsverbände haben den Vorentwurf aber mit allen Mitteln bekämpft, sodass die Vorlage im Bundesparlament chancenlos gewesen wäre. Das mit derselben Stossrichtung verbundene Postulat der grünliberalen Nationalrätin Kathrin Bertschy[6] zur schweizweiten Liberalisierung des Notariatswesens hat der Nationalrat im Frühjahr 2016 hochkant bachab geschickt. Einen schweren Stand hat auch der Vorschlag des Bundesrats, die Gründung von einfach strukturierten Gesellschaften von der Beurkundungspflicht auszunehmen. Die administrative Erleichterung von Firmengründungen würde Markteintrittshürden senken und den Wettbewerb stärken. Doch das Geschäft droht im Parlament zu scheitern.

Holzmarkt


Auch ausländisches Holz darf in der Schweiz nicht ohne Weiteres in Verkehr gebracht werden. Die Verordnung über die Deklaration von Holz und Holzprodukten verpflichtet die Händler, die Herkunft und die Art des Holzes zu deklarieren. Da unsere Nachbarländer diese Regelung nicht kennen, ist es für Möbelhersteller, Schreiner und andere Holzverarbeiter nicht immer möglich, nach Schweizer Vorschriften deklariertes Holz im benachbarten Ausland zu beziehen. Dadurch entsteht ein typisches Handelshemmnis, welches den Wettbewerb in der Schweiz schwächt und für höhere Preise sorgt. Der Bundesrat hat Ende 2017 zwar beschlossen, die entsprechende Regelung aufzuheben, das Handelshemmnis zu beseitigen und stattdessen die EU-Regelung einzuführen, welche vor allem den Handel mit illegal gefälltem Holz unterbinden möchte. Das Parlament gewichtet aber andere Interessen stärker: In der Beratung zum Umweltgesetz, welche derzeit im Gang ist, hat der Nationalrat nicht nur die EU-Regelung, sondern auch die bestehenden Deklarationspflichten in das Gesetz aufgenommen. Die protektionistisch wirkende Holzdeklaration soll nach dem Willen des Gesetzgebers also beibehalten werden. Zum Nachteil des Wettbewerbs in der Schweiz.

Liberale Wirtschaft ist bedroht


Diese ausgewählten Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Es liesse sich ohne Weiteres noch eine Vielzahl von wettbewerbsbeschränkenden Vorlagen nennen: zum Beispiel der Importschutz von Fleischprodukten durch die Änderung der Zolltarifnummer von «Würzfleisch», die gescheiterte Revision des Kartellgesetzes, die Ablehnung einer landesweiten Harmonisierung der Ladenöffnungszeiten, die Verzögerung der vollen Strommarktliberalisierung, die neuen Deklarationsvorschriften für importierte Lebensmittel, die detaillierten Vorschriften für Gesundheitsberufe, das Verbot von bestimmten Vertragsklauseln für Online-Buchungsplattformen oder die verschiedenen Vorlagen zur Bankenregulierung, zur Alkoholgesetzgebung oder zur «Swissness»-Regulierung.

Der Wettbewerb und die damit verbundene Wohlfahrt werden heute oft als selbstverständlich betrachtet. Dabei läuft die liberale Wirtschaftsordnung Gefahr, durch die Vielzahl von wettbewerbshemmenden Regulierungen in verschiedenen Bereichen ausgehöhlt und unterlaufen zu werden. Aus Sicht der Gesamtwohlfahrt wäre es deshalb wünschenswert, dass sich das Wettbewerbsprinzip in Zukunft wieder vermehrt in der Gesetzgebung durchsetzt und entsprechend dem Verfassungsauftrag als legitimes öffentliches Interesse wahrgenommen wird.

  1. Die Autoren vertreten in diesem Artikel ihre persönliche Auffassung. []
  2. Siehe Art. 27, 94-96 BV. []
  3. Schweizer Casino Verband, Jahresbericht 2018. []
  4. Siehe Art. 2 lit. a revBöB. []
  5. Siehe Art. 29 revBöB. []
  6. Postulat 15.4057: «Wettbewerb statt Protektionismus. Schweizweite Liberalisierung des Notariatswesens»[]

Zitiervorschlag: Simon Jäggi, Nicolas Diebold, (2019). Wettbewerbspolitik im Gegenwind. Die Volkswirtschaft, 23. September.