Suche

Abo

Geregelte Arbeitszeiten und die Arbeitszeiterfassung sind wichtig – ohne diesen Schutz werden wir krank und leisten Gratisarbeit.
Schriftgrösse
100%

Luca Cirigliano, Dr. iur., Zentralsekretär, Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB), Bern

Eines der Paradigmen des Arbeitsrechts lautet: Zeit wird entgeltet, nicht das Resultat. Deshalb redet man von einem Arbeitsvertrag, nicht von einem Werkvertrag. Der Arbeitsvertrag definiert und grenzt sich von anderen Verträgen wie etwa dem Werkvertrag dadurch ab, dass die Arbeitszeit – und nicht die Schaffung eines Produkts oder eines Resultats – zu entlöhnen ist. Das ist gerade auch in Zeiten der Digitalisierung von grösster Aktualität. Denn mit Smartphones, Plattformen und Homeoffice ist die Vermischung von Arbeit und Freizeit immer wahrscheinlicher. Damit keine Gratisarbeit geleistet wird, Teilzeitpensen respektiert werden und überhaupt Zeit für Schlaf, Familie, Freunde und Care-Arbeit bleibt, wird die Arbeitszeiterfassung immer wichtiger. Man kann bequem mit Smartphone oder Software die geleistete Arbeit – etwa beim Beantworten von Mails im Zug oder in einem Café – erfassen und der Arbeitszeit anrechnen.

Auch die psychosozialen Risiken, die zu Stress, Burn-out und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, können nur anhand der Arbeitszeiterfassung gemessen und in Schach gehalten werden. Arbeiten ohne Arbeitszeiterfassung ist wie Auto fahren ohne Tacho: Früher oder später fährt man zu schnell, und es kommt der Crash.

Gesundheit schützen

Wenn Arbeitszeiterfassung also zu vergleichen ist mit dem Geschwindigkeitsmesser eines Autos, sind die materiellen Bestimmungen des Arbeitsgesetzes die Tempo-Höchstlimiten im Strassenverkehr: Je nachdem, wo man fährt, gelten unterschiedliche Limiten. Die Regelungen des Arbeitsgesetzes basieren auf arbeitsmedizinischen Erkenntnissen zu maximalen wöchentlichen Arbeitszeiten, nötiger täglicher Nachtruhe sowie sozialem Austausch mit Familie und Freunden, der an Wochenenden mit der Sonntagsruhe synchronisiert wird.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass in der Schweiz zu lange gearbeitet wird: Besonders die Gesundheit von Frauen mit Care-Aufgaben beeinträchtigen Arbeitswochen von mehr als 40 Stunden. Zur Erinnerung: Die Höchstarbeitszeiten betragen in der Schweiz rekordverdächtige 45 Stunden; im Gesundheitswesen sind sogar 50 Stunden pro Woche erlaubt. Kein Wunder, dass die Schweizerische Gesundheitsbefragung sowie der Job-Stress-Index der Gesundheitsförderung Schweiz eine Tendenz zu immer mehr psychosozialen Risiken und Burn-outs wegen Stress am Arbeitsplatz ausweisen.

Das Arbeitsgesetz schützt die Gesundheit der Arbeitnehmenden also, was die wöchentlichen Arbeitszeiten angeht, nur zum Teil. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung, wo die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, und angesichts der Forderung nach einer besseren Verteilung von Care-Arbeit und Beruf wären kürzere wöchentliche Arbeitszeiten sowie eine bessere Planbarkeit von Arbeitseinsätzen, Bereitschaftsdienstenten und Piketts essenziell.

Deshalb lautet eine Forderung des Frauenstreiktags vom Juni: Auf jegliche Deregulierung des Arbeitsgesetzes ist zu verzichten.

Zitiervorschlag: Cirigliano, Luca (2019). Wie Autofahren ohne Tacho. Die Volkswirtschaft, 23. Oktober.