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Es braucht einen weiteren Schritt

Arbeitgeber und -nehmer haben in der Debatte um moderne Arbeitsbedingungen einen gemeinsamen Nenner: Flexibilität. Die Zeiterfassung muss deshalb vereinfacht werden.

Das digitale Zeitalter und eine global vernetzte Weltwirtschaft ermöglichen flexiblere Arbeitsformen. Dieser neuen Realität muss sich auch der Schweizer Arbeitsmarkt stellen. Doch nicht allein die unter Wettbewerbsdruck stehende Wirtschaft gibt den Takt und die Art der Arbeitserbringung vor. Auch die Arbeitnehmer informieren sich über individuelle Lösungen in anderen Unternehmen. Unternehmer machen ihrerseits diesen Vergleich und können sich durch moderne Anstellungsbedingungen als attraktive Arbeitgeber positionieren.

Die Digitalisierung und Vernetzung verändert allerdings auch die Beschäftigungsstruktur. Vor allem wissensintensive Tätigkeiten des Dienstleistungssektors werden mobil erbracht, sei es im Aussendienst, im Homeoffice oder in Co-Working-Spaces. Das Arbeiten an bestimmten Orten und zu fixen Zeiten wandelt sich zum eigenverantwortlichen Arbeiten, bei dem sich Arbeit und Freizeit in Intervallen abwechseln. Längst hat deswegen in vielen Branchen und Unternehmen eine von Vertrauen geprägte Arbeitskultur die detaillierte Zeiterfassung abgelöst, wie sie ursprünglich für die Fabrikarbeit eingeführt worden war.

Zur Wahrung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer setzen die gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeits- und Ruhezeiten den Flexibilisierungswünschen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wichtige Grenzen: Die Arbeitszeiten der Angestellten sind so zu organisieren, dass keine qualitative und quantitative Überbeanspruchung der Mitarbeiter resultiert. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die Arbeitszeit erfasst wird.

Interessanterweise zeigen Studien eine starke Verbindung von selbstbestimmter Arbeitszeit – die oft mit dem Wegfall der Arbeitszeiterfassung verbunden ist – und der Motivation und der Produktivität der Mitarbeiter. Es wird geltend gemacht, dass die Arbeitszeit effizienter genutzt werden kann und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichterfällt. Entscheidend ist auch, dass es keine eindeutigen Hinweise gibt, dass Vertrauensarbeitszeit die Gesundheit der Mitarbeiter beeinträchtigt.

Kein GAV und keine Lohngrenze


Einzelne Bestimmungen des aus dem Jahr 1964 stammenden Arbeitsgesetzes werden den Erfordernissen der modernen Arbeitswelt nicht mehr gerecht. Deshalb wurde Anfang 2016 auf Empfehlung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Dachorganisationen die Pflicht zur minutiösen Arbeitszeiterfassung in einer Verordnung gelockert. Seither dürfen Arbeitnehmer auf eine Erfassung verzichten, wenn sie ein Bruttojahreseinkommen inklusive Boni von mindestens 120’000 Franken erzielen und weitgehend selbst über ihre Zeiteinteilung entscheiden. Diese Befreiung muss aber in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorgesehen sein.

Die Verordnung hat Rechtssicherheit gebracht und die Unternehmen administrativ entlastet. Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass nicht überall repräsentative Arbeitnehmerverbände bestehen. Ausserdem ist die Lohngrenze – besonders in Branchen mit geringer Wertschöpfung – sogar für das oberste Kader zu hoch angesetzt. Diesem ersten breit abgestützten Schritt zur Lockerung der Pflicht zur detaillierten Arbeitszeiterfassung muss ein zweiter Schritt mit Augenmass folgen.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband befürwortete deshalb den vom Ständerat im September abrupt abgeschriebenen Vorentwurf zur parlamentarischen Initiative der heutigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Mit dieser hätte die Lücke bei der Arbeitszeiterfassung geschlossen werden können.

Zitiervorschlag: Daniella Lützelschwab Saija (2019). Es braucht einen weiteren Schritt. Die Volkswirtschaft, 23. Oktober.