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Konsumentenumfrage liefert frühe Hinweise auf BIP-Entwicklung

Seit August 2019 wird der Schweizer Konsumentenstimmungsindex neu berechnet. Die neue Zusammensetzung verbessert die Korrelation zwischen Konsumentenstimmung und zukünftiger BIP-Entwicklung.
Wie gut ist die Kauflaune? Ein Kunde mit zwei Smartphones. (Bild: Keystone)

Seit 1972 gibt die Umfrage zur Konsumentenstimmung zuverlässig Auskunft über die wirtschaftliche Stimmungslage der Schweizer Bevölkerung. Viermal im Jahr führt ein Marktforschungsinstitut im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) eine telefonische Befragung der Bevölkerung durch. Anhand von elf Fragen wird eruiert, wie die Befragten ihre eigene Wirtschaftslage sowie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einschätzen. So lautet beispielsweise eine Frage: «Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die ‹allgemeine Wirtschaftslage› in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?»

Die Umfrage dient unter anderem dazu, den «Konsumentenstimmungsindex» zu erstellen. Dieser gehört zu den ältesten hierzulande verfügbaren Frühindikatoren und gibt jedes Quartal Hinweise für die Analyse der Konjunktur. In den Index fliessen vier der elf Fragen ein.

Im August 2019 wurde der Index an die neue harmonisierte Berechnungsweise der EU angepasst. Während die Fragen zur Einschätzung der künftigen allgemeinen Wirtschaftslage sowie zur künftigen finanziellen Lage der Haushalte unverändert im Index bleiben, fliessen neu folgende zwei Fragen in die Berechnung ein:

  1. «Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die finanzielle Lage Ihres Haushalts in den letzten zwölf Monaten entwickelt?»

  1. «Glauben Sie, dass jetzt eine gute Zeit ist, grössere Anschaffungen (z. B. grössere Haushaltgeräte, Möbel, Unterhaltungselektronik, usw.) zu tätigen?»


Im Gegenzug entfallen die bisherigen Fragen zur künftigen Entwicklung der Arbeitslosigkeit und zu den erwarteten Sparmöglichkeiten als Berechnungsbasis.

Die Anpassung will erstens die «Vorlaufeigenschaften» des Index verbessern, was bessere Prognosen des Bruttoinlandprodukts (BIP) ermöglicht. Zweitens soll die Vergleichbarkeit mit den europäischen Indizes weiterhin sichergestellt werden, deren Berechnungsweise ebenfalls 2019 umgestellt wurde.[1] Infolge der neuen Berechnungsgrundlage weist der Index ein ausgeprägtes Saisonmuster auf (siehe Kasten). Um dieses für die Konjunkturbeobachtung auszuklammern, wird der Index deshalb neu saisonbereinigt veröffentlicht und kommentiert.

Konjunkturentwicklung früh erkennen


Der bisherige und der neue Index vermitteln ein ähnliches Gesamtbild der Konjunkturentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten (siehe Abbildung 1). Beispielsweise widerspiegeln beide den drastischen Einbruch der Konjunktur in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Auch der Frankenschock von Anfang 2015, als die Schweizerische Nationalbank den Euromindestkurs aufhob, und die anschliessende Erholung manifestieren sich unabhängig der Berechnungsweise. Im Detail finden sich jedoch einige Unterschiede.

So schwankt der neue Index verglichen mit dem bisherigen weniger. Zudem zeigt der neue Index die BIP-Entwicklung in der Tendenz früher an. Beides wird während der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren besonders deutlich: Auf dem Höhepunkt der Krise geht der neue Index zwar stark, aber doch weniger ausgeprägt zurück als der alte. Zudem zeigt der neue Index sowohl den Einbruch der Wirtschaft Ende 2008 als auch die Erholung im Folgejahr früher an – ein erstes Indiz dafür, dass die neue Berechnungsweise zu einem stärkeren Vorlauf gegenüber dem BIP führt.

Abb. 1: Reales BIP und Konsumentenstimmung (saisonbereinigt)




Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Der neue Index eignet sich besser[2] als Frühindikator für das BIP-Wachstum, wie die stärkere kontemporäre Korrelation des Index mit dem BIP-Wachstum im gleichen Quartal zeigt (siehe Abbildung 2 ). Dies ist ein Vorteil, da die Konsumentenstimmung jeweils zu Quartalsbeginn erhoben wird, während das BIP-Wachstum rund zwei Monate nach Quartalsende veröffentlicht wird. Damit liefert die Konsumentenstimmung rund vier Monate vor den offiziellen BIP-Daten Informationen zur Konjunkturlage im betreffenden Quartal. Zudem erhöht sich die Korrelation zwischen dem Konsumentenstimmungsindex eines Quartals und dem BIP-Wachstum im darauffolgenden Quartal. Schliesslich ergibt sich neu eine positive Korrelation zwischen dem Index und dem BIP-Wachstum zwei Quartale später.[3] Dies bedeutet, dass sich der Vorlauf des Index stark erhöht und sich seine Eigenschaften als Frühindikator für den BIP-Verlauf verbessern.

Abb. 2: Korrelationen zwischen BIP und Konsumentenstimmung (saisonbereinigt; BIP: real; Wachstum gegenüber dem Vorquartal)




Anmerkung: Dargestellt ist die Korrelation zwischen dem Konsumentenstimmungsindex und dem BIP-Wachstum im gleichen Quartal (kontemporär) beziehungsweise mit dem BIP-Wachstum ein Quartal sowie zwei Quartale später.

Quelle: Wifo / Die Volkswirtschaft


Formale Tests zur Prognosegüte bestätigen diese Befunde in der Tendenz. Anhand eines einfachen Prognosemodells lässt sich das BIP-Wachstum gegenüber dem Vorquartal einmal ohne und einmal mit Index der Konsumentenstimmung vorhersagen.[4] Die Resultate zeigen, dass sowohl der bisherige als auch der neue Gesamtindex nützlich für die BIP-Prognose sind.

Blick in den Rückspiegel


Auf den ersten Blick mag erstaunen, dass die beiden neu in den Index aufgenommenen Fragen die Vergangenheit und die Gegenwart beleuchten. Prognosen betreffen ja schliesslich die Zukunft, ist man geneigt zu denken. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass die neu gewählten Fragen sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht die günstigeren Eigenschaften besitzen.

Erstens ersetzt die Frage zur vergangenen finanziellen Lage des eigenen Haushalts jene zur künftigen Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosigkeit. Wenn man beide Fragen als Teilindizes abbildet, zeigt sich, dass die Aussage zur künftigen Entwicklung der Arbeitslosigkeit kaum einen Vorlauf zur Konjunkturentwicklung aufweist. Zwar können die Haushalte die künftige Entwicklung der Arbeitslosigkeit durchaus zuverlässig einschätzen. Allerdings folgt die Arbeitslosigkeit der allgemeinen Konjunkturentwicklung mit einem Nachlauf. So steigt die Arbeitslosigkeit oft erst dann, wenn eine Konjunkturverlangsamung oder eine Rezession bereits mehrere Quartale andauert, und steigt oft auch dann noch etwas weiter, wenn die Erholung gemessen am BIP bereits eingesetzt hat. Der Informationsgehalt dieses Teilindex im Hinblick auf BIP-Prognosen ist daher begrenzt. Demgegenüber hat die Entwicklung der finanziellen Lage der Haushalte in den vergangenen Monaten durchaus eine gewisse Aussagekraft für die nahe Zukunft: Hat sich die finanzielle Lage, beispielsweise aufgrund vergangener Lohnerhöhungen, verbessert, steigen unter Umständen auch die Konsumausgaben in den kommenden Monaten, womit die Konjunktur gestützt wird.

Als zweite Änderung ersetzt die Frage zur gegenwärtigen Kaufneigung jene zu den künftigen Sparmöglichkeiten. Die Gründe sind hierbei konzeptioneller Natur: Erhöhte Sparabsichten können einerseits aus positiven Entwicklungen resultieren, wie zum Beispiel einem höheren Gehalt, andererseits aber auch aufgrund von negativen Gegebenheiten wie etwa schlechteren Beschäftigungsaussichten. Der Zusammenhang dieses Teilindex mit der Konjunkturentwicklung ist daher aus theoretischer Sicht nicht eindeutig. Demgegenüber zielt die Frage zur Neigung, grössere Anschaffungen zu tätigen, direkter auf das Konsumverhalten der Haushalte und damit auf die Konjunktur in naher Zukunft ab.

Um ein differenzierteres Bild zu erhalten, wie stark die vier Teilindizes den Gesamtindex beeinflussen, haben wir die Teilindizes für die vergangenen acht Jahre dargestellt (siehe Abbildung 3). Dabei fällt auf: Die Konsumenten beurteilen das wirtschaftliche Geschehen durchaus differenziert, was am Beispiel der Frankenstärke 2011 deutlich wird. So trübten sich die Erwartungen für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, wohl auch vor dem Hintergrund der Eurokrise, ein. Hingegen stieg die Neigung zu grösseren Anschaffungen zumindest temporär an, da der starke Franken die Kaufkraft der privaten Haushalte stützte. Eine vergleichbare Situation lässt sich auch im Jahr 2015 beobachten, als sich der Franken aufwertete und die Weltkonjunktur vorübergehend nachliess.

Abb. 3: Beiträge der Teilindizes zur Konsumentenstimmung (saisonbereinigt, Abweichung vom langjährigen Mittelwert)




Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Der Praxistest läuft


In den Jahren 2017 und 2018 präsentiert sich die Lage umgekehrt: Einerseits wird für die Wirtschaft eine positive Entwicklung prognostiziert, andererseits werden die eigene finanzielle Lage und die Neigung zu grösseren Anschaffungen klar unterdurchschnittlich bewertet. In der Tat zeigen in dieser Phase auch die Daten zu den Reallöhnen eine schwache Entwicklung an, während das BIP überdurchschnittlich stark wachsen konnte.

Im August musste sich der Index erstmals in der Praxis bewähren. Die Eigenschaften als «Vorlaufindikator» scheinen intakt: Eine Prognose basierend auf der Juliumfrage des neuen Konsumentenstimmungsindex ergab ein BIP-Wachstum von 0,3 Prozent für das 2. Quartal – was mit der amtlichen Schätzung, die im September veröffentlicht wurde, übereinstimmt.[5] Ob der Index auch in Zukunft so treffsicher ist, bleibt abzuwarten.

  1. Europäische Kommission (2018). []
  2. Wifo (2019). []
  3. Korrelation: kontemporär von 0,54 auf 0,62; mit dem BIP-Wachstum im darauffolgenden Quartal: von 0,31 auf 0,6; mit dem BIP-Wachstum zwei Quartale später: 0,3; vorher: –0,02 (Daten Q2:2007–Q4:2018). []
  4. Siehe Wifo (2019). []
  5. Seco.admin.ch/bip[]

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Felicitas Kemeny, Andreas Bachmann, (2019). Konsumentenumfrage liefert frühe Hinweise auf BIP-Entwicklung. Die Volkswirtschaft, 23. Oktober.

Saisonale Schwankungen im Index

Der neue Konsumentenstimmungsindex weist ein saisonales Muster auf. In den letzten Jahren war die Stimmung typischerweise in der Januarumfrage am besten und verschlechterte sich im Jahresverlauf. Dieses oder ein ähnliches Muster findet sich bei allen haushaltsspezifischen Fragen. Im neuen Index erhalten diese Fragen ein höheres Gewicht: Neu beziehen sich drei von vier Fragen auf die Lage bzw. die Absichten des Haushalts, während nur noch eine Frage die Gesamtwirtschaft betrifft. Eine Erklärung für die saisonalen Schwankungen sind zusätzliche Lohnbestandteile (etwa der 13. Monatslohn, Leistungsprämien oder Bonuszahlungen), die typischerweise Ende Jahr ausbezahlt werden. Die finanzielle Lage präsentiert sich für die Haushalte im Januar also tendenziell etwas besser, was auch die höhere Kaufneigung erklären dürfte.