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Arbeitszeit in der Schweiz seit 20 Jahren rückläufig

Pro Arbeitsstelle ist die Arbeitszeit in der Schweiz in den letzten 20 Jahren stark zurückgegangen. Der Hauptgrund ist die Zunahme der Teilzeitarbeit – auch bei den Männern.

Arbeitszeit in der Schweiz seit 20 Jahren rückläufig

Mehr Zeit für Hobbys: Der Anteil Teilzeitarbeitender steigt seit Jahren. (Bild: Keystone)

In den letzten 20 Jahren ist die jährliche Arbeitszeit pro Beschäftigung wie in den meisten europäischen Ländern auch in der Schweiz merklich zurückgegangen (siehe Abbildung 1). Sie hat sich um 150 Stunden beziehungsweise 18 Arbeitstage verringert. Diese Abnahme ist auf den konstanten Anstieg der Teilzeitarbeit sowie mehr Ferientage zurückzuführen (siehe Abbildung 2).

Zwischen 1998 und 2018 nahm Teilzeitarbeit bei beiden Geschlechtern zu: Bei den erwerbstätigen Frauen stieg der Anteil um 5 Prozentpunkte auf 59 Prozent, bei den erwerbstätigen Männern verdoppelte er sich innerhalb von 20 Jahren von 9 Prozent auf 18 Prozent. Weiterhin ist Teilzeitarbeit bei den Frauen somit dreimal häufiger verbreitet als bei den Männern.[1]

Abb. 1: Entwicklung der tatsächlichen jährlichen Arbeitszeit pro Beschäftigung (1998–2018)




Quelle: BFS / Die Volkswirtschaft

Abb. 2: Ferienwochen und Teilzeitarbeit (1998–2018)




Quelle: BFS / Die Volkswirtschaft

Im europäischen Vergleich ist Teilzeitarbeit in der Schweiz überdurchschnittlich verbreitet. Wenn man die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätige berechnet, sind die wöchentlichen Arbeitszeiten in der Schweiz geringer als im Durchschnitt der EU. Setzt man hingegen das Gesamtvolumen der geleisteten Arbeitsstunden ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ab 15 Jahren, liegt die Schweiz aufgrund der hohen Erwerbstätigenquote – hinter Island – europaweit an der Spitze.

Was sind die Gründe für die wachsende Beliebtheit von Teilzeitarbeit? Teilzeitarbeitenden steht mehr Zeit für nicht berufliche Tätigkeiten wie Haus- und Familienarbeit, Freiwilligenarbeit, Weiterbildung, Freizeitaktivitäten zur Verfügung. Zudem kann eine Teilzeitstelle den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach einer Familienpause erleichtern.

Im Verlauf der vergangenen 20 Jahre ist der Anteil der Frauen auf dem Arbeitsmarkt gestiegen, und der Unterschied zwischen den Geschlechtern, was das Stellenpensum betrifft, hat sich reduziert. Allerdings bleibt ein gewisses Arbeitskräftepotenzial ungenutzt: Im vergangenen Jahr waren 356’000 Teilzeiterwerbstätige «unterbeschäftigt». Damit sind Teilzeiterwerbstätige gemeint, die mehr arbeiten möchten und kurzfristig verfügbar sind. Insgesamt waren 7,3 Prozent der Erwerbsbevölkerung unterbeschäftigt, das sind 1,5 Prozentpunkte mehr als 15 Jahre zuvor.

Mehr Ferien als früher


Der zweite Grund für den Arbeitszeitrückgang pro Beschäftigten in den vergangenen 20 Jahren ist die Zunahme der Zahl der Ferientage: Im Vergleich zu 1998 können die Erwerbstätigen heute im Durchschnitt 2,5 Ferientage mehr pro Jahr beziehen. Während Arbeitnehmenden im vergangenen Jahr 5,2 Wochen pro Jahr zur Verfügung standen, waren es bei den Selbstständigerwerbenden 3,6 Wochen.

Die Feriendauer ist altersabhängig. Die 20- bis 49-Jährigen haben 4,9 Wochen Ferien pro Jahr. Am meisten Ferien stehen den 50- bis 64-Jährigen (5,7 Wochen) zu, da zahlreiche Unternehmen und Gesamtarbeitsverträge den Arbeitnehmenden ab 50 Jahren mindestens fünf Wochen Ferien gewähren. Bei den 15- bis 19-Jährigen beträgt die Feriendauer 5,4 Wochen. Gemäss Obligationenrecht haben Arbeitnehmende bis zum 20. Altersjahr das Recht auf mindestens fünf und danach auf vier Wochen Ferien.

Flexible Arbeitszeiten nehmen zu


Parallel zur Teilzeitarbeit sind auch flexible Arbeitszeitmodelle in der Schweiz seit einigen Jahren im Trend. Dank flexibler Arbeitszeitmodelle lassen sich Beruf und Privatleben besser vereinbaren sowie Arbeitszeitreduktionen und Stellenwechsel vermeiden. Sie können den Unternehmen zudem die Rekrutierung erleichtern.

Im Jahr 2018 verfügten 45 Prozent der Arbeitnehmenden über flexible Arbeitszeiten: Das sind 3 Prozentpunkte mehr als 20 Jahre zuvor. Als «flexibel» gelten alle Modelle, bei denen der Arbeitsbeginn und das Arbeitsende nicht festgelegt sind. Beispiele sind Wochen-, Monats- und Jahresarbeitszeit mit oder ohne Blockzeiten.

Am stärksten verbreitet sind flexible Arbeitszeiten bei Berufen mit den höchsten Qualifikationsanforderungen (Führungskräfte: 77%), am geringsten bei Berufen mit den niedrigsten Anforderungen (Hilfsarbeitskräfte: 23%). Dieser Anteil steigt mit der Unternehmensgrösse: Während er bei den Mikrounternehmen 39 Prozent beträgt, liegt er bei kleinen und mittleren Unternehmen bei 44 Prozent und bei Grossunternehmen bei 48 Prozent.[2]

Unterschiede gibt es auch zwischen den Wirtschaftsbranchen. Im Gastgewerbe verfügt lediglich jeder sechste Arbeitnehmende über flexible Arbeitszeiten. Derweil ist der Anteil an flexiblen Arbeitszeiten mit jeweils über 70 Prozent in den Branchen «Kredit- und Versicherungsgewerbe», «Information und Kommunikation» sowie «Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen» am höchsten. Bei Männern, insbesondere bei Schweizern, sind flexible Arbeitszeiten stärker verbreitet (55% gegenüber 39% bei Ausländern) als bei Frauen (42% bei Schweizerinnen, 33% bei Ausländerinnen).

Die Arbeitszeitmodelle beeinflussen die Zahl der Überstunden, die jedoch je nach beruflicher Stellung unterschiedlich hoch ausfällt. Bei den Berufen mit den höchsten Qualifikationsanforderungen leisten Arbeitnehmende mit flexiblen Arbeitszeiten systematisch mehr Überstunden[3] als solche mit festen Arbeitszeiten. So weisen Führungskräfte mit flexiblen Arbeitszeiten 1,25 Überstunden pro Woche mehr auf als diejenigen mit festen Arbeitszeiten. Bei den akademischen Berufen beträgt der Unterschied 0,5 Stunden. Demgegenüber wirken sich flexible Arbeitszeiten bei den Berufen mit den niedrigsten Qualifikationsanforderungen kaum auf die Zahl der Überstunden aus.

Mehr als 41 Stunden pro Woche


Betrachtet man nur die Arbeitnehmenden, die 100 Prozent arbeiten, steht die Schweiz zusammen mit Island europaweit an der Spitze: Im Jahr 2018 betrug die wöchentliche Arbeitszeit 42,5 Stunden.[4] Am wenigsten lang arbeiten Vollzeitarbeitnehmende mit 37,6 Stunden in Frankreich; der Durchschnitt der EU-28-Staaten liegt bei 39,3 Stunden. Diese Werte beruhen auf von Eurostat publizierten Daten, die im Rahmen der Arbeitskräfteerhebungen erfasst wurden. Als Basis dienen dabei die in der Referenzwoche tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.

Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit der Vollzeitarbeitnehmenden lag in der Schweiz im vergangenen Jahr bei 41,1 Stunden. Im Unterschied zu den oben erwähnten Werten wird hier die tatsächliche Arbeitszeit anhand der einzelnen Komponenten ausgewiesen (vertraglich festgelegte Arbeitsstunden, Überstunden und Absenzen). Klammert man den Primärsektor aus, in dem die Arbeitnehmenden mit 45,8 Stunden am längsten arbeiten, belegen die Branchen «Gastgewerbe» (42,1 Stunden), «Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen» (41,9 Stunden) sowie «Kredit- und Versicherungsgewerbe» (41,6 Stunden) die ersten drei Plätze.

Auch in Bezug auf die Altersklasse und die berufliche Stellung bestehen Unterschiede. So weisen die 45- bis 54-Jährigen bei den Vollzeitarbeitenden die höchste tatsächliche Arbeitszeit auf. Sie arbeiten im Durchschnitt rund 2 Stunden mehr pro Woche als die 15- bis 24-Jährigen (ohne Lernende), bei denen die niedrigste Arbeitszeit verzeichnet wird. Aufgeschlüsselt nach beruflicher Stellung, ist die durchschnittliche Arbeitszeit bei den Selbstständigerwerbenden am höchsten (49,5 Stunden). Dahinter folgen die Arbeitnehmenden in der Unternehmensleitung (44,0 Stunden), jene mit einer leitenden Funktion (41,5 Stunden) und solche ohne leitende Funktion (40,5 Stunden).

Teilzeitarbeit, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Ferientage steigern die bessere Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Allerdings gibt es bei der Teilzeitarbeit grosse Unterschiede nach Geschlecht, Familiensituation, Altersgruppe oder Beruf. Zudem gelten flexible Arbeitszeiten nicht für alle Berufsgruppen und Wirtschaftsbranchen im gleichen Masse. Auch führen flexible Arbeitszeiten zu einem Anstieg der Überstunden bei Hochqualifizierten. Gleichzeitig steht die Schweiz bei den wöchentlichen Arbeitsstunden der Vollzeitbeschäftigten europaweit an der Spitze.

  1. Sake, siehe BFS (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit in der Schweiz, BFS Aktuell vom 17. Januar 2019. []
  2. Mikrounternehmen: <10 Beschäftigte; kleine und mittlere Unternehmen: 10 bis 249 Beschäftigte; Grossunternehmen: ≥ 250 Beschäftigte. []
  3. Als Überstunden gelten hier die während des Jahres nicht durch Ferien oder Gleitzeit kompensierten (bezahlten oder unbezahlten) Überstunden. []
  4. Eurostat und Sake, siehe BFS (2019): Rund 7,9 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr 2018, Medienmitteilung vom 23. Mai 2019. []

Zitiervorschlag: Rongfang Li (2019). Arbeitszeit in der Schweiz seit 20 Jahren rückläufig. Die Volkswirtschaft, 23. Oktober.