Der Dienstleistungssektor ist auf dem Vormarsch. Entwicklungszentrum von Google in Zürich. (Bild: Keystone)
In Industrieunternehmen stehen die Einkaufsabteilungen am Anfang des Produktionsprozesses. Entsprechend spüren Einkaufsmanager Nachfrageschwankungen, bevor diese in den Produktions- oder Umsatzzahlen sichtbar werden. Der Einkaufsmanager-Index (Purchasing Managers’ Index; PMI) nutzt diesen Vorlauf zur Prognose der Konjunktur. Das Konzept wurde 1948 in den USA entwickelt und Mitte der Neunzigerjahre auch in Europa eingeführt. Mittlerweile ist für beinahe 30 Länder ein PMI erhältlich. In der Schweiz publiziert die Grossbank Credit Suisse in Zusammenarbeit mit Procure.ch, dem Schweizer Fachverband für Einkauf und Supply Management, seit 1995 einen PMI für die Industrie.
Im Gegensatz zu Konjunkturindikatoren, die sich mit Erwartungen beschäftigen und als komplexe Konstrukte schwer zu verstehen sind, beschränkt sich das Erhebungsverfahren des PMI auf tatsächliche wirtschaftliche Aktivitäten und eine einfache Erstellung. So werden in der Schweiz jeden Monat rund 300 Industrieunternehmen über die Geschäftsentwicklung von Produktion, Auftragsbeständen, Lieferfristen, Einkaufslager und Beschäftigung befragt. Diese Subindizes ermöglichen bereits erste Analysen. Längere Lieferfristen deuten etwa auf Kapazitätsengpässe hin, und die Lagerkomponenten geben Aufschlüsse darüber, ob die Unternehmen von einer Veränderung der Nachfrage überrascht worden sind.
Aus den verschiedenen Subindizes erstellen wir in wenigen Rechnungsschritten den PMI-Index. Dessen Wert liegt definitionsgemäss zwischen 0 und 100, wobei ein Wert über 50 eine expandierende Aktivität im Vergleich zum Vormonat bedeutet. Weist also zum Beispiel der PMI im Juni einen Wert von 60 und im Juli einen Wert von 55 auf, bedeutet das, dass die Industrieaktivität im Juli weiter expandiert hat, jedoch mit einer geringeren Dynamik (beziehungsweise ist die Aktivität weniger verbreitet) als noch im Vormonat.
Zuverlässiger Frühindikator
In seiner mittlerweile fast 25-jährigen Existenz hat sich der Industrie-PMI als Frühindikator nicht nur für die Industriekonjunktur, sondern auch für die Schweizer Gesamtwirtschaft etabliert. Zwar macht die Industrie nur etwa ein Viertel der gesamten Bruttowertschöpfung aus, doch ist der Industriesektor stark mit dem Dienstleistungssektor verflochten. So konsumiert der Industriesektor wichtige Dienstleistungen wie zum Beispiel Unternehmensberatung oder Finanzierungslösungen, wodurch ein Anstieg der Industrieaktivität sich auch positiv auf den Dienstleistungssektor auswirkt. Umgekehrt stellt der Industriesektor zahlreiche Güter für den Dienstleistungssektor her. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings, dass erst bei einem PMI-Wert von weniger als 44,9 Punkten mit einer gesamtwirtschaftlichen Rezession zu rechnen ist und nicht, wie zu erwarten wäre, bereits beim Unterschreiten der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Offensichtlich braucht es für ein schrumpfendes Bruttoinlandprodukt (BIP) eine deutlich rückläufigere Industrieaktivität.
Um Aussagen über die Prognosegüte des PMI zu machen, haben wir den PMI seit 1995 mit den Quartalswachstumsraten des realen BIP verglichen. Negative Wachstumsraten, die nur ein Quartal lang anhielten, zeigte der PMI dabei nicht an. Ausgeschlagen hat er hingegen jeweils bei den Rezessionen, die auf die Asien-Krise, das Platzen der Dotcom-Blase und den Ausbruch der Finanzkrise folgten. Erstere konnte man bereits drei Monate vor Quartalsbeginn aus dem Frühindikator «lesen», die anderen zwei waren erst Anfang beziehungsweise mitten im Quartal in der tatsächlichen Deutlichkeit sichtbar. Dies ist aber immer noch über ein Quartal vor der Veröffentlichung der BIP-Daten. Im Mai 2003 wiederum rutschte der PMI für zwei Monate unter die empirisch ermittelte «Rezessionsschwelle», ohne dass aber eine Kontraktion der Gesamtwirtschaft folgte. Demgegenüber hat der PMI korrekterweise nach der Aufhebung des Euromindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) prognostiziert, dass die Abschwächung in der Industrie nicht ausreicht, um die Gesamtwirtschaft in eine Rezession abgleiten zu lassen.
Blick auf Dienstleistungen
Insgesamt prognostizierte der PMI die Dynamik des BIP in rund zwei Dritteln aller Fälle richtig, wobei die Prognosefähigkeit aber tendenziell abgenommen hat. Zwar war der durchschnittliche Prognosefehler in den vergangenen zehn Jahren geringer als zuvor, doch bei den jüngeren Werten häufen sich die Fehler (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: BIP-Wachstumsveränderung gegenüber Vorjahr geschätzt und effektiv (1995 bis 2019)
Anmerkung: Dargestellt sind die Modellprognosen basierend auf dem PMI-Industrie-Indikator (x-Achse) und die tatsächliche Veränderung des Wirtschaftswachstums (y-Achse). Die Punkte, die im ersten oder im dritten Quadranten liegen, weisen darauf hin, dass die Schätzung der Wendepunkte korrekt war. Die in den beiden restlichen Quadranten liegenden Punkte betreffen hingegen Schätzungen, bei welchen die Wachstumsdynamik falsch ermittelt wurde.
Quelle: Seco, Credit Suisse / Die Volkswirtschaft
Um die Prognosegüte des PMI zu verbessern, erstellen wir deshalb seit fast sechs Jahren auch für die Dienstleistungsbranche einen PMI. Die Daten des Dienstleistungs-PMI stammen von Firmen, die mindestens die Hälfte ihres Umsatzes mit Dienstleistungen erwirtschaften. Die Wahl der Subkomponenten unterscheidet sich dabei von jener des Industrie-PMI. So wird beispielsweise nicht gefragt, wie sich die Lieferfristen verändert haben. Dafür wird registriert, ob mehr oder weniger neue Aufträge eingegangen sind. Und anstelle von «Produktion» enthält der Dienstleistungs-PMI die Variable «Geschäftstätigkeit».
Bislang war die Zeitreihe beim Dienstleistungs-PMI noch zu kurz für eine standardisierte Saisonbereinigung. Derzeit verwenden wir noch eine einfache Regression zur Bereinigung der saisonalen Effekte, ab 2020 wird das gleiche Verfahren wie beim Industrie-PMI zur Anwendung kommen. Die bis dato grössere Sprunghaftigkeit des Dienstleistungs-PMI ist jedoch teils auch auf dessen unterschiedliche Zusammensetzung zurückzuführen. Eine sehr volatile Grösse ist namentlich die Veränderung von Neuaufträgen.
Barometer für Exporte
Ein weiterer Frühindikator, den wir auf Basis von Einkaufsmanagerbefragungen erstellen, fokussiert auf der künftigen Nachfrage der bedeutendsten Handelspartner der Schweiz: Das Credit-Suisse-Exportbarometer hat die 28 wichtigsten ausländischen Exportmärkte der Schweiz im Blick und gewichtet diese nach dem entsprechenden Exportanteil. Die Datengrundlage bilden die jeweiligen monatlichen PMI-Umfragen in den Ländern, die Schweizer Waren und Güter abnehmen. Da es sich um standardisierte Werte handelt, wird das Exportbarometer in Standardabweichungen angegeben, wobei Werte über null darauf deuten, dass die Exporte tendenziell wachsen dürften. Das langfristige Durchschnittswachstum der Schweizer Exporte von knapp 5 Prozent liegt im Exportbarometer etwa bei einem Punkt (siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Credit-Suisse-Exportbarometer (2007–2019)
Quelle: Bloomberg, Datastream, PMIPremium, Credit Suisse / IDC / Die Volkswirtschaft
Die beste Vorhersagekraft weist das Exportbarometer für einen Prognosehorizont von rund einem halben Jahr aus, wobei die Korrelation in Zeiten starker und unerwarteter Ausschläge des Wechselkurses etwas geringer ist.
Insgesamt zeigt sich somit: Einkaufsmanagerbefragungen liefern wertvolle Beiträge für zahlreiche Analysen und Prognosen der Schweizer Volkswirtschaft.
Zitiervorschlag: Maurer, Claude; Hunziker, Tiziana (2019). PMI: Wissen am Anfang der Wertschöpfungskette. Die Volkswirtschaft, 23. Oktober.