Auf der Stellenvermittlungs-Plattform Task Rabbit findet man Handwerker für einen einmaligen Einsatz. (Bild: Taskrabbit.com)
Intelligenz könnte man definieren als Fähigkeit, logisch zu denken, zu lernen und Probleme zu lösen. Mit Intelligenz nehmen wir Informationen wahr und ziehen daraus Schlüsse. Diese Definition gilt auch für künstliche Intelligenz (KI), für welche eine grosse Datenverfügbarkeit und eine hohe Rechenleistung nötig sind. Die Fortschritte bei KI sind enorm.
Mittlerweile können KI-Systeme anhand von Daten und komplexen Algorithmen eine Vielzahl von Aufgaben durchführen. Sie bewerten die Qualität von Stellenbewerbungen, helfen Kunden bei Fragen zu Produkten und werden in Robotern eingesetzt, die Erdbeeren pflücken. Wie die Dampfmaschine, die Eisenbahn und das Internet wird KI oft als Allzwecktechnologie dargestellt, die das Potenzial hat, in einem breiten Spektrum von Branchen eingesetzt zu werden und damit den Arbeitsmarkt tiefgreifend zu beeinflussen.
Klar definierte Verfahren oder Prognoseaufgaben, bei denen KI gegenüber dem Menschen im Vorteil ist, werden künftig wahrscheinlich von Maschinen erledigt. Dies wird sich zwangsläufig auf einige Berufsbilder auswirken. So könnte ein Sachbearbeiter, der Daten erfasst, in Zukunft die Daten nur noch beschriften («labeling») oder sich ausschliesslich auf Aufgaben konzentrieren, die nicht von Computern ausgeführt werden können.
Darüber hinaus kann KI auch eingesetzt werden, um die Arbeitsaufgaben besser den Mitarbeitenden zuzuordnen – zum Beispiel durch einen Algorithmus, der die optimale Kombination von Kompetenzen und Aufgaben festlegt. Diese Veränderungen können potenziell auch den Sinn beeinflussen, den Menschen in ihrer Arbeit sehen. Letztlich geht es somit auch um Identitätsfragen.[1]
Sozialkompetenzen gefragt
Abgesehen davon, dass Roboter und Algorithmen immer mehr Arbeiten ausführen, wirkt sich die «Androidisierung» der Arbeit auch auf die auf dem Arbeitsmarkt verlangten Kompetenzen aus (siehe Tabelle). In Zukunft werden vor allem strategisches und kreatives Denken sowie soziale Kompetenzen gefragt sein, da hier der Mensch gegenüber der Maschine im Vorteil ist. Während für einige berufliche Tätigkeiten unter Umständen eine höhere Qualifikation erforderlich ist (etwa das Erlernen der Interpretation von Datenanalysen), könnte die Technologie auch zur Folge haben, dass für bestimmte Stellen geringere Kompetenzen benötigt werden. So müssen Uber-Fahrer beispielsweise nicht mehr die besten Routen kennen, weil das eine App für sie erledigt. Ausserdem könnte das Entstehen von Stellenvermittlungs-Plattformen wie Task Rabbit zu flexibleren Formen von Arbeitsbeziehungen führen.
KI und andere technologische Entwicklungen beeinflussen auch den Ort, an dem wir arbeiten. Mitglieder eines Teams können neu an unterschiedlichen physischen Standorten arbeiten. Dies ermöglicht sowohl Outsourcing als auch Insourcing von Aufgaben. Zudem entstehen dank Robotern und Algorithmen Arbeitsräume, welche die zwischenmenschliche Kommunikation erleichtern. Darüber hinaus kann KI die Bewegungen, das Zusammenwirken, das Stressniveau oder die Produktivität der Mitarbeitenden überwachen. So ist etwa denkbar, dass sich in Namensschildern intelligente Sensoren befinden.
KI und die Zukunft der Arbeit
Grosse Hürden
Die Zukunft der Arbeit wird in der öffentlichen Debatte oft düster gezeichnet. Stehen wir also kurz vor einer Job-Apokalypse? Wohl kaum, denn es bestehen grosse technische Hürden. Am meisten Aufsehen hat KI in letzter Zeit durch die Fortschritte bei der Prognosetechnologie verursacht – vor allem beim maschinellen Lernen und bei Deep Learning. Diese Mustererkennungstechniken können immer dann eingesetzt werden, wenn eine Prognose von Nutzen sein könnte. Etwa, wenn man wissen will, was ein Kunde kaufen wird, wann eine Maschine gewartet werden muss oder wie gross die Wahrscheinlichkeit eines Kreditbetrugs ist. Doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt.
Zwar sind Computer den Menschen bei bestimmten Aufgaben tatsächlich überlegen. Es ist beeindruckend, was KI-Systeme wie Deep Mind oder Open AI bei den Computerspielen «Star Craft II» und «Dota 2» leisten. Doch KI, die uns in einem Computerspiel schlägt, wird uns beim Ausfüllen der Steuererklärung keine grosse Hilfe sein. Von der künstlichen allgemeinen Intelligenz (KAI) sind wir noch meilenweit entfernt: Superintelligente Maschinen, die jede menschliche Aufgabe ausführen können, bleiben Zukunftsmusik.
Während die Automatisierung von Routineaufgaben bereits im Gange ist und sich auf unsere Arbeitsweise auswirken wird, werden die Techniken des maschinellen Lernens voraussichtlich eher unsere berufliche Tätigkeit verändern, als dass sie uns als Arbeitskraft überflüssig machen.[2] Mit anderen Worten: Beim Erstellen von Prognosen ersetzen sie den Menschen, dort aber, wo menschliches Urteilsvermögen gefragt ist, ergänzen sie ihn.
Der Mensch entscheidet
Mühe bekundet KI auch bei der Entscheidfindung: Viele KI-Anwendungen erstellen Prognosen, indem sie grosse Informationsmengen verbinden und verarbeiten. Die daraus resultierenden Entscheide treffen aber weiterhin die Menschen. Denn es besteht ein grosser Unterschied zwischen einer guten Prognose und einer guten Entscheidung.[3] Während das maschinelle Lernen darauf ausgerichtet ist, eine möglichst hohe Prognosequalität zu erreichen, wollen wir bei einem Entscheid verstehen, warum eine Prognose eine hohe oder geringe Wahrscheinlichkeit aufweist und welche Faktoren das Ergebnis beeinflussen.
Leider wird bei Geschäftsanwendungen die Unterscheidung zwischen dem Erkennen eines Risikos und der Bestimmung der besten Massnahme – der kausale Effekt – häufig vernachlässigt. Ein KI-Tool kann uns beispielsweise dabei helfen, die Mausklicks der Konsumierenden für Ihre Marketingkampagne zu optimieren, nicht aber den kausalen Effekt der Werbung. So erkennt es nicht, ob jene Konsumierenden, die mit einer hohen Klick-Wahrscheinlichkeit verzeichnet sind, auch diejenigen sind, die Ihre Produkte kaufen werden. Unter Umständen wendet sich KI also an eine falsche Zielgruppe.
Der Roboter als Freund
Eine weitere Hürde für den Einsatz von KI ist das Misstrauen des Menschen gegenüber der Technik. Die Forschung zeigt, dass Laien zwar in einigen Fällen den Rat eines Algorithmus eher befolgen als den Rat eines Menschen.[4] Doch wenn es zu einem Fehler kommt, verlieren sie auch schneller das Vertrauen in Algorithmen als in Menschen, selbst wenn der Algorithmus insgesamt besser abschneidet.[5] Dieses Misstrauen kann mehrere Ursachen haben. Womöglich haben wir Angst, durch Maschinen ersetzt zu werden. Vielleicht überschätzen wir auch unsere eigenen Prognosefähigkeiten, verstehen nicht, wie Algorithmen funktionieren, oder haben eine grundsätzliche Abneigung gegen Maschinen, die moralische Entscheidungen treffen.
Aus der Forschung geht hervor, wie wichtig es für Arbeitnehmende ist, die Grundlagen der von ihnen verwendeten Technologie zu verstehen, damit sie ihr vertrauen können.[6] Wir sollten ein intuitives Verständnis von KI entwickeln: Wie funktioniert KI? Wie lernen Maschinen aus Daten? Wie sollte KI verwendet werden, und weshalb ist sie nützlich? Leider investieren nur wenige Betriebe aktiv in entsprechende Weiterbildungen.
Wachsende Ungleichheiten
Trotz dieser Hürden wird KI den Arbeitsmarkt umkrempeln. Veränderungen bei der Beschäftigung und bei den Löhnen dürften dabei die Ungleichheit verstärken. Neuere Studien zeigen, dass die Beschäftigung und die Löhne in den USA sowie die Beschäftigung von gering qualifizierten Arbeitskräften – aber nicht die Gesamtbeschäftigung – weltweit durch den Einsatz von Robotern abgenommen haben.[7]
Diese Entwicklungen wirken sich auch politisch aus: Arbeitnehmende, die in einer Wirtschaft mit raschem Einsatz von KI zu den Verlierern gehören, befürworten tendenziell Protektionismus und eine Rückkehr zu abgeschotteten Nationalstaaten.[8] Ein Blick in die USA oder nach Grossbritannien stimmt wenig zuversichtlich.
Durch die Unterschiede bei den Ausbildungsmöglichkeiten nimmt die Ungleichheit zwischen den Arbeitskräften zu: Arbeitnehmende in Jobs mit geringen Anforderungen werden während ihrer gesamten Berufstätigkeit weniger häufig umgeschult, und für Arbeitgeber besteht kaum ein Anreiz, Personen auszubilden, die wahrscheinlich die Branche wechseln werden. Vor grossen Herausforderungen stehen insbesondere Menschen mittleren Alters, die das Bildungssystem mit Qualifikationen verlassen haben, welche nicht mehr gefragt sind. Was ist also zu tun?
Staatliche Stellen können dazu beitragen, die Entwertung und das Veralten von Kompetenzen zu verhindern und den Wechsel zwischen Arbeitsplätzen und Berufen zu erleichtern. So gewährt Singapur beispielsweise seinen Bürgern ab 25 Jahren Kredite für lebenslanges Lernen.
Police für «Cloudworker»
Veränderungen sind auch bei den Sozialversicherungen nötig. Derzeit sind die meisten Beschäftigten über ihren Lohn gegen Unfall, Krankheit und Altersarmut versichert. Doch KI eröffnet neue Verdienstmöglichkeiten, die häufig nicht in das gängige System passen und neue Regeln erfordern – wie beispielsweise Sozialversicherungsvorschriften für «Cloudworker». Ebenso bietet die Arbeitslosenversicherung Arbeitssuchenden nur wenige Möglichkeiten, die Branche zu wechseln oder einen anderen Beruf zu ergreifen. Dies behindert die berufliche Mobilität.
KI ist eine sogenannte Deep Technology: Indem sie beeinflusst, wie und wo wir arbeiten, wird sie sowohl von den Arbeitnehmenden als auch von den Unternehmen zahlreiche Anpassungen abverlangen. Obwohl die Job-Apokalypse in nächster Zeit ausbleibt, sollten Behörden und Unternehmen die Arbeitnehmenden dabei unterstützen, den Wandel zu bewältigen, um in einer «KI-Welt» erfolgreich zu sein. Ansonsten drohen sich die Ungleichheiten zu verstärken.
Literaturverzeichnis
- Acemoglu, D. und Restrepo, P. (2019). Robots and Jobs: Evidence from US Labor Markets. In: Journal of Political Economy.
- Agrawal, A., Gans J. S. und Goldfarb, A. (2019). Exploring the Impact of Artificial Intelligence: Prediction Versus Judgment. In: Information Economics and Policy. Bd. 47: 1–6.
- Akerlof, G. und Kranton, R. (2010). Identity Economics: How Our Identities Shape Our Work, Wages, and Well-Being. Princeton University Press.
- Athey, S. (2017). Beyond Prediction: Using Big Data for Policy Problems. In: Science. Bd. 355 (6324): 483–485.
- Baldwin, R. (2019). The Globotics Upheaval: Globalization, Robotics, and the Future of Work. Oxford University Press.
- Dietvorst, B. J., Simmons, J. P. und Massey, C. (2015). Algorithm Aversion: People Erroneously Avoid Algorithms After Seeing Them Err. In: Journal of Experimental Psychology: General. Bd. 144(1): 114–126.
- Graetz, G. und Michaels, G. (2018). Robots at Work. In: The Review of Economics and Statistics, MIT Press. Bd. 100(5): 753–768.
- Logg, J. M., Minson, J. A. und Moore, D. A. (2019). Algorithm Appreciation: People Prefer Agorithmic to Human Judgment. In: Organizational Behavior and Human Decision Processes. Bd. 151: 90–103.
- Yeomans, M., Shah, A., Mullainathan, S. und Kleinberg, J. (2019). Making Sense of Recommendations. In: Journal of Behavioral Decision Making: 1–12.
Bibliographie
- Acemoglu, D. und Restrepo, P. (2019). Robots and Jobs: Evidence from US Labor Markets. In: Journal of Political Economy.
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Zitiervorschlag: Joshi, Amit; Lavanchy, Maude; Lalive, Rafael (2019). KI-Arbeitswelt: Veränderung statt Apokalypse. Die Volkswirtschaft, 21. November.