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Lehrlingsausbildung lohnt sich für Betriebe

Bei der Lehrlingsausbildung überwiegt für die meisten Betriebe der Nutzen. Nur bei ausbildungsintensiven Berufen wie Informatikern und Polymechanikern entstehen den Betrieben während der Lehre im Durchschnitt Nettokosten.
Betriebe, die Detailhandelsfachleute ausbilden, amortisieren die Ausbildungskosten bereits während der Lehrzeit. (Bild: Keystone)

Jugendliche auf Lehrstellensuche haben oft die Wahl: Das Angebot an Lehrstellen übersteigt in der Schweiz die Nachfrage seit Jahren. Die Betriebe schreiben wesentlich mehr Lehrstellen aus, als sie Schulabgänger finden können.

Wieso ist die Ausbildung von Lernenden für Betriebe in der Schweiz so attraktiv? Ein Grund ist das attraktive Kosten-Nutzen-Verhältnis, wie die vierte Kosten-Nutzen-Erhebung des Observatoriums für die Berufsbildung des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (OBS EHB) zeigt: Für Betriebe lohnt es sich, selbst Fachkräfte auszubilden, statt diese extern zu rekrutieren. [1]

Für die Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) wurde eine Zufallsstichprobe von Betrieben angeschrieben. Über 5700 Ausbildungsbetriebe und über 4000 Nichtausbildungsbetriebe antworteten in der Online-Erhebung. Neben den drei- und vierjährigen beruflichen Grundbildungen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) des Ausbildungsjahrs 2016/17 umfasst die aktuelle Erhebung erstmals auch die zweijährigen beruflichen Grundbildungen mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA).

Die gewonnenen Erkenntnisse können einerseits die Ausbildungsbetriebe bei ihren strategischen Entscheidungen zur Ausbildungstätigkeit unterstützen. Andererseits generieren sie Steuerungswissen, welches den Verbundpartnern der Berufsbildung, der Politik und der Forschung erlaubt, die Ausbildungsmotive der Betriebe besser zu verstehen und bei Entscheidungen zu berücksichtigen: Soll etwa die Anzahl der Lektionen und Tage in der Berufsfachschule verändert werden oder gar die Dauer der ganzen Lehre? Kosten-Nutzen-Erhebungen schärfen das Verständnis dafür, wie solche Entscheidungen den Ausbildungsaufwand, aber auch den Nutzen der Betriebe verändern können.

Kosten vs. Nutzen


Das in der Studie verwendete Kosten-Nutzen-Modell basiert auf Angaben zu verschiedenen Aufwendungen sowie zu den Leistungen der Lernenden aus Sicht der Betriebe. Die Bruttokosten setzen sich aus Lehrlingslohn, Personalkosten, Material- und Anlagekosten sowie sonstigen Aufwendungen zusammen. Bei den Personalkosten werden die zeitlichen Aufwendungen der Ausbildner erhoben und mit ihren Löhnen verrechnet.

Auf der Nutzenseite profitieren die Betriebe von der Arbeitskraft der Lernenden, den «produktiven Leistungen». Dabei unterscheidet die Studie zwischen Tätigkeiten, die sonst von ungelernten Arbeitskräften ausgeführt würden (sogenannten Ungelernten-Tätigkeiten), und Arbeiten von ausgebildeten Fachkräften (Fachkraft-Tätigkeiten). Daneben gibt es auch «unproduktive» Tätigkeiten wie Übungen.

Dem Umstand, dass Lernende bei den Fachkraft-Tätigkeiten nicht gleich produktiv sind wie ausgebildete Fachkräfte, wird mithilfe eines Leistungsgrads Rechnung getragen. Überwiegen die produktiven Leistungen, so ergibt dies für den Betrieb einen Nettonutzen aus der Lehrlingsausbildung.

Berufsattest auf Kurs


Für ein durchschnittliches Lehrverhältnis belief sich der Nettonutzen bei den zweijährigen EBA- und den dreijährigen EFZ-Ausbildungen im Schnitt auf über 10’000 Franken (siehe Abbildung 1). Auch die vierjährigen EFZ-Ausbildungen wiesen im Durchschnitt am Ende der Lehre mit über 8000 Franken einen positiven Nettonutzen aus.

Abb. 1: Kosten und Nutzen von Lehrlingsausbildungen (Durchschnitt)




Quelle: EHB; Gehret und Schweri (2019) / Die Volkswirtschaft

Beim Eidgenössischen Berufsattest konnten die Ausbildungsbetriebe seit der ersten Erhebung für das Ausbildungsjahr 2008/09 den Nettonutzen erhöhen: Während sich damals Kosten und Nutzen die Waage hielten [2], ist nun der Nettonutzen – einschliesslich der seit damals neu eingeführten EBA-Lehrberufe – mit über 10’000 Franken klar positiv. In Bezug auf die drei- und vierjährigen beruflichen Grundbildungen werden die Resultate früherer Erhebungen in ihren wichtigsten Resultaten bestätigt.[3] Insgesamt wiesen 63 Prozent der Betriebe einen positiven Nettonutzen auf, während bei 37 Prozent der Betriebe die Kosten überwogen.

Zusätzlichen Nutzen können die Betriebe generieren, indem sie die Lernenden nach Lehrabschluss weiterbeschäftigen. Sie sparen damit Such- und Einarbeitungskosten für die Rekrutierung von Fachkräften von durchschnittlich 10’700 Franken pro Lehrverhältnis.

Diese Ergebnisse decken sich auch mit der Selbsteinschätzung der Betriebe: Fast 78 Prozent der Betriebe bezeichneten sich als eher oder sehr zufrieden mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis der eigenen Lehrlingsausbildung.

Teure Informatiker


Für 33 Berufe mit genügend hohen Fallzahlen im Datensatz wurden die Resultate separat ausgewertet.[4] Wenn man die zehn am häufigsten ausgebildeten Berufe miteinander vergleicht, fällt die grosse Heterogenität auf: Beispielsweise liegt der Nettonutzen bei der Ausbildung von Elektroinstallateurinnen und -installateuren bei über 40’000 Franken (siehe Abbildung 2). Überdurchschnittlich hoch ist er auch bei Logistikerinnen und Logistikern. In solchen Berufen überwiegt eine produktionsorientierte Ausbildungsstrategie, und die Betriebe amortisieren die Ausbildungskosten bereits während der Lehrzeit.

Umgekehrt weisen Berufe wie Informatiker/-in und Polymechaniker/-in, bei denen eine investitionsorientierte Ausbildungsstrategie dominiert, erhebliche Nettokosten auf. Hier bemühen sich die Betriebe, die künftigen Fachkräfte möglichst gut gemäss dem eigenen Bedarf auszubilden. Die dabei entstehenden Kosten werden nach der Ausbildung mit der Übernahme der Lernenden und den daraus entstehenden Erträgen gedeckt.

Angesichts des im Durchschnitt positiven Nettonutzens über alle Lehrverhältnisse hinweg überwiegt in der Schweiz die produktionsorientierte Ausbildungsstrategie.

Abb. 2: Nettonutzen der zehn häufigsten Lehrberufe




Quelle: EHB; Gehret und Schweri (2019) / Die Volkswirtschaft

Bildungserlasse als Faktor


Den Rahmen für die betriebliche Ausbildung geben Gesetze und Verordnungen vor, die zum Beispiel beeinflussen, wie viel Zeit die Lernenden im Betrieb verbringen. Für alle beruflichen Grundbildungen gibt es spezifische Bildungsverordnungen und Bildungspläne. Sie beschreiben die Tätigkeiten und Handlungskompetenzen, welche die Lernorte, also auch die Ausbildungsbetriebe, ihren Lernenden in einem bestimmten Lehrberuf vermitteln sollen. Sie beeinflussen das betriebliche Kosten-Nutzen-Verhältnis: Stellen sie hohe Anforderungen an die betriebliche Ausbildung, so erhöhen sich, wegen der dafür nötigen, hohen Zeitaufwendungen, die Bruttokosten im Betrieb. Auch können hohe Anforderungen dazu führen, dass die Lernenden mehr Übungszeiten im Betrieb benötigen und so weniger produktiv tätig sind. Letzteres wirkt sich negativ auf die produktiven Leistungen der Lernenden und somit negativ auf den Nettonutzen der Ausbildung aus.

Da die Bildungserlasse eine umfassende berufliche Handlungskompetenz der Lernenden über die Bedürfnisse des einzelnen Ausbildungsbetriebs hinaus sicherstellen sollen, passen sie nicht für alle Betriebe gleich gut. Je stärker die Handlungskompetenzen und die Bedürfnisse der Betriebe übereinstimmen, desto positiver ist der Effekt auf die Produktivität der Lernenden – und damit auch auf den Nettonutzen für den Betrieb. Passen die Vorgaben dagegen weniger gut, so muss der Betrieb Aufwendungen für die Vermittlung der geforderten Kompetenzen auf sich nehmen, auch wenn diese im Produktionsprozess des Betriebs nicht zur Geltung kommen. Der entsprechende Ausbildungsaufwand steigert in diesem Fall die Produktivität der Lernenden im eigenen Betrieb kaum. Zusätzlich entsteht den Betrieben ein zeitlicher Mehraufwand, wenn sie den Lernenden Fähigkeiten beibringen müssen, die über die Anforderungen des Bildungsplans hinausgehen. Auch dies resultiert in höheren Bruttokosten.

Ausbildungsvorgaben sind relevant


Aufgrund dieser Relevanz der Erlasse für das Kosten-Nutzen-Verhältnis wurden die Betriebe erstmals zu ihrer Einschätzung der für sie relevanten Bildungserlasse befragt. Über 65 Prozent der Betriebe geben an, dass sowohl die Bildungsverordnungen als auch die Bildungspläne ihren Anforderungen insgesamt gut entsprechen. Nur 12 Prozent der Betriebe vermitteln Zusatzqualifikationen, die nicht durch den Bildungsplan abgedeckt sind. Demgegenüber erachten 83 Prozent der Befragten die im Bildungsplan festgelegten Ausbildungsinhalte für den eigenen Betrieb als relevant.

Je nach Beruf weichen die Einschätzungen deutlich voneinander ab: Während beispielsweise die Ausbildungsbetriebe im Beruf Fachmann/-frau Betreuung nur rund 11 Prozent der Ausbildungsinhalte im Betrieb nicht benötigen, beträgt dieser Wert im Beruf Kaufmann/-frau rund 22 Prozent (siehe Abbildung 3). Dies dürfte mit der grossen Vielfalt der Branchen und Ausbildungsbetriebe zusammenhängen.

Abb. 3: Anteil nicht benötigter Bildungsplan-Inhalte der zehn häufigsten Ausbildungsberufe




Die schwarzen Linien stellen das 95-Prozent-Vertrauensintervall dar.

Quelle: EHB; Gehret und Schweri (2019) / Die Volkswirtschaft

In einem weiteren Analyseschritt wurde mithilfe von Regressionsanalysen untersucht, ob ein hoher Anteil an nicht benötigten Inhalten im Bildungsplan sowie das Vermitteln von Zusatzqualifikationen mit einem tieferen Nettonutzen der betroffenen Betriebe zusammenhängen. Dabei zeigt sich, dass eine um einen Prozentpunkt tiefere Bewertung der Bildungsplan-Relevanz bei sonst vergleichbaren Betrieben mit einem um 129 Franken tieferen Nettonutzen einhergeht. Ebenso weisen Betriebe, die angeben, Zusatzqualifikationen zu vermitteln, einen tieferen Nettonutzen auf. Daraus lässt sich zwar noch kein kausaler Zusammenhang zwischen der Relevanz der Bildungsplan-Inhalte und dem Kosten-Nutzen-Verhältnis herleiten. Die Resultate deuten jedoch darauf hin, dass breiter ausgerichtete Bildungserlasse, wie sie durch das Zusammenlegen oder das Reduzieren von Lehrberufen entstehen würden, für die Betriebe teurer wären: Da dadurch die Bedürfnisse der einzelnen Ausbildungsbetriebe weniger gut aufeinander abgestimmt wären, stiegen ihre Ausbildungskosten.

  1. Gehret et al. (2019). []
  2. Fuhrer und Schweri (2010). []
  3. Vgl. Strupler und Wolter (2012). []
  4. Vgl. «Lernende ausbilden – lohnt sich das für Betriebe?» unter Ehb.swiss[]

Literaturverzeichnis

  • Fuhrer, M. und Schweri, J. (2010). Kosten und Nutzen von zweijährigen beruflichen Grundbildungen. Schlussbericht. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung.
  • Gehret, A., Aepli, M., Kuhn, A. und Schweri, J. (2019). Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Resultate der vierten Kosten-Nutzen-Erhebung. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung.
  • Strupler, M. und Wolter, S. C. (2012). Die duale Lehre: eine Erfolgsgeschichte auch für die Betriebe: Ergebnisse der dritten Kosten-Nutzen-Erhebung der Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Betriebe. Zürich: Rüegger.

Bibliographie

  • Fuhrer, M. und Schweri, J. (2010). Kosten und Nutzen von zweijährigen beruflichen Grundbildungen. Schlussbericht. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung.
  • Gehret, A., Aepli, M., Kuhn, A. und Schweri, J. (2019). Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Resultate der vierten Kosten-Nutzen-Erhebung. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung.
  • Strupler, M. und Wolter, S. C. (2012). Die duale Lehre: eine Erfolgsgeschichte auch für die Betriebe: Ergebnisse der dritten Kosten-Nutzen-Erhebung der Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Betriebe. Zürich: Rüegger.

Zitiervorschlag: Alexander Gehret, Jürg Schweri, (2019). Lehrlingsausbildung lohnt sich für Betriebe. Die Volkswirtschaft, 26. November.