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Chinesische Firmen kaufen Schweizer Traditionsunternehmen

In den letzten Jahren haben chinesische Privatunternehmen mehrere Schweizer Traditionsfirmen aufgekauft. Die Übernahmen scheinen sich für beide Seiten auszuzahlen, wie drei Fallbeispiele zeigen.
Seit 2016 in chinesischen Händen: Sigg-Trinkflaschen in Frauenfeld. (Bild: Keystone)

Die Finanzkrise traf das Schwellenland China weniger stark als die meisten Industriestaaten. Dies eröffnete chinesischen Unternehmen Investitionsmöglichkeiten im Ausland. Entsprechend wuchs die Zahl der chinesischen Firmenübernahmen im Ausland (Mergers & Acquisitions) von 146 im Jahr 2010 auf 573 im Jahr 2016.

Diese Übernahmen sind auch im Sinne der chinesischen Staatspartei, die in ihrer «Strategie 2025»[1] Branchen aufgelistet hat, in denen das Land 2025 global zu den führenden Anbietern gehören soll. Darunter finden sich etwa die Maschinenindustrie, die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Biomedizin. Das Reich der Mitte strebt somit zunehmend hin zu einem Qualitätswachstum oder von «Made in China» zu «Created in China». Auch Schweizer Unternehmen liegen wegen der ausgeprägten Innovationskraft, der weltbekannten Marken, der guten Reputation der Schweiz und der Offenheit für ausländische Investoren im strategischen Fokus der chinesischen Investoren.

In den Medien fanden vor allem Übernahmen wie die des Agrarchemiekonzerns Syngenta durch Chemchina oder die Zukäufe der chinesischen HNA-Gruppe Aufmerksamkeit. Diese Übernahmen durch staatsnahe Konzerne sind in der Schweiz – wie die Motion des Walliser CVP-Ständerats Beat Rieder «Schutz der Schweizer Wirtschaft durch Investitionskontrollen» vom Februar 2018 zeigt – nicht unumstritten. Moniert wird in der Motion namentlich, dass die ausländischen Übernahmen der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft schaden würden.

Privatsektor gewinnt an Einfluss


Weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen Übernahmen durch chinesische Privatunternehmen: Seit 2002 ist es Privatfirmen erlaubt, grenzüberschreitende Übernahmen zu tätigen. Von weltweit 498 M&A-Deals chinesischer Firmen im Jahr 2015 wurden drei Viertel von Privatfirmen getätigt. Zwischen 2010 und 2017 stieg der Anteil der Privatfirmen am chinesischen Bruttoinlandprodukt von rund 20 Prozent auf 60 Prozent.[2] Vier Fünftel aller Arbeitnehmer Chinas sind inzwischen im Privatsektor beschäftigt.

In der Schweiz stammten im Jahr 2017 von 80 Firmen mit chinesischen Eigentümern mehr als drei Viertel aus dem Privatsektor. Unter den Übernahmen finden sich Traditionsunternehmen wie der Maschinenbauer Saurer, der Strickmaschinenhersteller Steiger, der Trinkflaschenproduzent Sigg, der Schuhhersteller Bally und das Designteam des Fassadenbauers Schmidlin.

Drei Fallbeispiele im Überblick


Welche strategischen Überlegungen liegen hinter den privaten Investitionen aus China? In drei Fallbeispielen – Sigg, Steiger und Schmidlin – gingen wir dieser Frage nach und untersuchten, ob sich die Übernahmen auch aus Schweizer Sicht gelohnt haben (siehe Tabelle).[3]

Die dreijährigen Längsschnittstudien basieren methodisch auf halbstrukturierten Interviews mit Entscheidungsträgern der involvierten Unternehmen und fokussieren auf das Zusammenführen von strategischen Ressourcen nach der Übernahme und auf die daraus entstehenden Synergien. Auch wenn die Fälle individuell sind, lassen sich gewisse Muster erkennen.

Übernahmen von Sigg, Steiger und Schmidlin







Übernommenes Unternehmen (Gründungsjahr) Produkt/Industrie Chinesischer Investor (Gründungsjahr)
Jahr der Akquisition
Sigg Switzerland Bottles, Frauenfeld (1908) Herstellung von Thermoflaschen Haers (1996) 2016
Steiger, Vionnaz VS (1949) Textilmaschinenbau Ningbo Cixing (1988) 2010
Designteam Schmidlin, Basel (1936) Fassadenbau Yuanda (1993) 2008


Quelle: Wu (2019)

In allen drei Fällen handelt es sich um Horizontalübernahmen im Produktionsbereich. Alle Schweizer Firmen sind deutlich älter als die chinesischen. Die chinesischen Unternehmen sind börsenkotiert, haben Zugang zum Kapitalmarkt und verfügen über ausreichenden finanziellen Spielraum für Akquisitionen. Anders als Staatsfirmen kommen sie nicht in den Genuss von günstigen Krediten und Subventionen. Im Heimmarkt sind die chinesischen Unternehmen Konkurrenz ausgesetzt; sie sind lokal gut vernetzt und reagieren schnell, innovativ und flexibel auf Kundenwünsche.

Die drei Übernahmen waren strategischer Art: Der chinesische Investor Haers kaufte mit Sigg eine starke, 108-jährige Marke, das Produktdesign, einen Schweizer Produktionsstandort und ein europäisches Absatznetzwerk. Ningbo Cixing übernahm Steiger wegen der Reputation im Weltmarkt, wegen der Technologie für computergesteuerte Strickmaschinen und wegen seiner Produktionsfähigkeit für hochwertige Maschinen im High-End-Bereich. Und Yuanda integrierte das Designteam der bankrotten Schmidlin aufgrund der Qualität, des Marketingnetzwerks und der Projektentwicklungsfähigkeit. Wichtige Gründe für die Übernahmen waren zudem die Reputation der Schweiz und das «handwerkliche Können» der Firmen.

Türöffner für chinesischen Markt


Weshalb konnten die chinesischen Privatfirmen die Schweizer Traditionsunternehmen überhaupt übernehmen? Klar ist: Das Vorhandensein von Investitionskapital reichte nicht als Übernahmegrund. Chinesische Privatfirmen sind vielmehr attraktive Investoren, weil sie über einen Zugang zum chinesischen Absatzmarkt verfügen. Zudem können sie auf billige Arbeitskräfte zurückgreifen. Weiter verfügen sie über effiziente Wertschöpfungsketten sowie ein grosses Kundennetzwerk und ein professionelles Marketing.

Ein wichtiger Grund ist auch das chinesische Bekenntnis zur Aufrechterhaltung, Stärkung und Nutzung der Schweizer Marke. Dies war der entscheidende Grund, weshalb Sigg den chinesischen Akquisiteur im Bietprozess bevorzugte. So wurde befürchtet, dass andere Investoren die Schweizer Marke und den Schweizer Standort aufgegeben hätten. Haers kaufte im Grunde die Marke «Sigg» und will diese als Kernwert langfristig nutzen.

Synergien nutzen


Um die Stabilität der übernommenen Firmen zu sichern, machten die chinesischen Firmen Zugeständnisse an die Mitarbeitenden in der Schweiz – etwa durch Kündigungs- und Versicherungsschutz. Ein «light-touch approach» mit weitgehender Beibehaltung bestehender Strukturen sollte für Kontinuität im Schweizer Management sorgen, was bei Steiger und dem Designteam von Schmidlin von Beginn weg gelungen ist und bei Sigg nach eher wechselhaften Zeiten inzwischen auch gegeben ist.

Ob durch die Übernahme ein Mehrwert geschaffen wird, hängt im Wesentlichen davon ab, wie Ressourcen der übernehmenden und der übernommenen Firma gebündelt werden. Mögliche Synergien ergeben sich beispielsweise, wenn die Schweizer Technologie mit chinesischer Effizienz in der Produktion verbunden wird oder wenn die Produktlinien kombiniert werden, um neue Kundengruppen zu erschliessen.

Ein Mehrwert resultiert auch aus der gegenseitigen Erschliessung der jeweiligen Absatzmärkte und aus der gemeinsamen Innovationskraft. Forschung, Entwicklung und Vermarktung erhalten einen Schub, wenn es gelingt, Schweizer Kreativität mit chinesischer Kostenoptimierung zu kombinieren. Weitere Synergien ergeben sich, wenn die Traditionsmarke mit der chinesischen Produktion und dem chinesischen Marketingnetzwerk kombiniert wird. So lassen sich die Schweizer Produkte zu konkurrenzfähigen Preisen auf dem chinesischen und dem Globalmarkt etablieren. Diese Bündelungen von Ressourcen stärken die Innovationskraft und die Marktmacht, erhöhen die Effizienz und führen zu Wachstum.

Kulturelle Differenzen


Die drei übernommenen Schweizer Firmen wurden durch die Übernahme aus existenzbedrohenden finanziellen Schwierigkeiten befreit. Sigg steht auf finanziell festen Füssen und schreibt schwarze Zahlen. Yuanda wiederum integrierte Schmidlins Designteam nach dem Konkurs der Firma. Bereits hat Yuanda Europe zahlreiche Projekte gewonnen und expandiert gewinnbringend. Steiger schliesslich durchlief in den neun Jahren nach der Übernahme eine Schrumpfkur, ist aber konkurrenzfähiger als vor der Übernahme und kann dank finanzieller Unterstützung durch Cixing bisher auf Eis gelegte Innovationsideen realisieren.

In allen Fallbeispielen ergaben sich Kulturschwierigkeiten, welche man durch intensive Kommunikation zu meistern versuchte. Beispielsweise berichtete ein Schweizer Manager von Yuanda Europa, dass das schweizerische und das chinesische Team rund fünf Jahre gebraucht hätten, um miteinander sachbezogen und offen diskutieren zu können. Der Schweizer Chef von Steiger meinte, die chinesische und die Schweizer Seite hätten viel voneinander gelernt. Er wünsche sich manchmal, dass die Chinesen ein bisschen schweizerischer und die Schweizer ein bisschen chinesischer werden könnten.

In allen Fallbeispielen sind die Übernahmen auf gutem Weg. Ob sie sich auch langfristig für beide Seiten als strategisch erfolgreich erweisen, muss noch weiter beobachtet werden.

  1. McKinsey Greater China (2018): China Is Betting Big on These 10 Industries, Juni. []
  2. MSCI (2017). Morgan Stanley Research 2017. []
  3. Daten stammen aus einer laufenden Doktorarbeit der Autorin Juan Wu an der Universität Freiburg. []

Zitiervorschlag: Juan Wu, Suzanne Ziegler, (2019). Chinesische Firmen kaufen Schweizer Traditionsunternehmen. Die Volkswirtschaft, 16. Dezember.