Herr Kaufmann, die NZZ schrieb kürzlich, die Gasbranche sei eine meist im Verborgenen stehende Branche. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein. Die Swisspower-Stadtwerke, die rund die Hälfte des Gasabsatzes in der Schweiz ausmachen, agieren ganz bestimmt nicht im Verborgenen. Auch der Verband der Schweizerischen Gasindustrie und seine Mitglieder sind mit Marketingkampagnen in der Öffentlichkeit präsent.
In der Schweiz stammen rund 14 Prozent der Primärenergie aus der Verbrennung von Erdgas. Wo wird Gas hauptsächlich eingesetzt?
Gut 40 Prozent des Gasabsatzes verbrauchen die Haushalte. Insgesamt heizen rund 20 Prozent aller Haushalte mit Gas. Ganz wichtig ist das Gas auch in der Industrie, die 35 Prozent des gesamten Verbrauchs ausmacht und damit Prozess- und Raumwärme erzeugt. 22 Prozent des Gases finden im Dienstleistungssektor Verwendung und 1 Prozent im Verkehr für die rund 13’500 Gasfahrzeuge. Gas ist also wichtig in der Schweiz.
Woher stammt das Gas?
Die Schweiz hat selber kein Erdgas. Das Erdgas in der Schweiz stammt zum grössten Teil aus der EU, aus Russland und Norwegen. Die gebündelte Beschaffung dieses Erdgases im Ausland übernimmt Swissgas im Auftrag der schweizweit vier Regionalgesellschaften, nicht die Stadtwerke selber. Anders beim Biogas: Hier haben die Stadtwerke teilweise eigene Biogasanlagen oder Verträge mit Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz. Ausserdem importieren die Stadtwerke auch Biogas aus dem Ausland. Anders als beim Strom sind wir beim Gas sehr stark abhängig vom Ausland.
Gas stösst zwar nur rund halb so viel CO2 aus wie Kohle und Erdöl, trotzdem ist es grösstenteils ein fossiler Brennstoff. Hat Erdgas eine Zukunft?
Mittel- bis langfristig müssen wir fossiles Erdgas substituieren, wenn wir bis 2050 netto null CO2-Emissionen erreichen wollen. Das Problem ist: Insbesondere bei Hochtemperaturprozessen in der Industrie wird es schwierig, Erdgas durch Strom zu ersetzen. Und deshalb ist es wichtig, dass wir den Anteil an erneuerbarem Gas steigern. Viele Swisspower-Stadtwerke haben schon heute 10 bis 20 Prozent Biogas im Standardprodukt. Die Richtung stimmt, aber langfristig muss unser Ziel sein, 100 Prozent erneuerbares Gas zu liefern – neben Biogas vor allem synthetisches Gas. Dieses werden wir in Power-to-Gas-Anlagen aus überschüssigem erneuerbarem Strom gewinnen.
21 von rund 100 Schweizer Stadtwerken sind Aktionäre von Swisspower – warum nicht mehr?
Natürlich wären mehr Aktionäre interessant, aber wichtiger als die Anzahl ist uns das Engagement. Wir sind kein Verband. Das Kernstück unserer Arbeit ist die Realisierung von Kooperationsprojekten, für die einzelne Aktionäre allein zu klein wären. Zudem bekennen sich alle Aktionäre zu den Zielen, die in unserem Masterplan 2050 formuliert sind.
Welche Nachhaltigkeitsziele hat sich Swisspower mit dem Masterplan 2050 gesteckt?
Die Swisspower-Stadtwerke wollen ihre Kundinnen und Kunden spätestens 2050 vollständig mit erneuerbarer und klimaneutraler Energie versorgen. Dieses Ziel ist deckungsgleich mit dem, was der Bundesrat entschieden hat und was das Pariser Übereinkommen fordert.
Und was unternimmt Swisspower konkret, um dieses Ziel zu erreichen?
Erstens bauen die Stadtwerke die Produktion erneuerbarer Energie aus – sowohl in der Schweiz als auch im Ausland. Zweitens versuchen wir, unser Energiesystem effizienter zu machen. So hat es etwa Genf dank einem Energieeffizienzprogramm der Services Industriels de Genève geschafft, den Energieverbrauch trotz Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum signifikant zu senken. Mehr Energieeffizienz ist also eine Schlüsselanforderung an die Erneuerbarkeit unseres Energiesystems.
Man investiert dort, wo der Grenznutzen des investierten Frankens – sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch – am höchsten ist
Was bedeutet das für die Gasenergie konkret?
Im Masterplan haben wir eine ganzheitlichere Sicht auf den Energiesektor und schauen nicht nur auf das Gas. Denn die Stadtwerke liefern ja verschiedene Energieträger aus einer Hand. Aus unternehmerischer Sicht gilt dabei: Man investiert dort, wo der Grenznutzen des investierten Frankens – sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch – am höchsten ist. Wo immer es sinnvoll ist, in ein Wärmenetz zu investieren, tun das die Stadtwerke. Dort, wo es mit Fernwärme oder Wärmepumpen nicht gehen wird, wollen wir das Gas möglichst erneuerbar machen.
Momentan wird nur gerade 1 Prozent des Schweizer Gaskonsums durch inländisches Biogas gedeckt. Ist die Biogasproduktion in der Schweiz ein Wachstumsmarkt?
Ja, das kann man sagen. Und ich bin auch dafür, dass man möglichst viel Biogas in der Schweiz zubaut. Nur: Der Schweizer Biogasmarkt hat ein begrenztes Potenzial, da Biomasse nicht unendlich verfügbar ist.
Ist die Produktion von Biogas wirtschaftlich überhaupt sinnvoll?
Das ist unterschiedlich. Biogasanlagen, die durch die Vergärung von Biomasse Gas produzieren, sind zwar wichtig, aber wirtschaftlich nicht so interessant. Denn man kann sie industriell kaum skalieren. Aus industrieller Optik viel interessanter ist das sogenannte Power-to-Gas: Hier sprechen wir von einem x-Fachen des Potenzials, das momentan im Biogas steckt. Denn sobald man aus volatilen erneuerbaren Energiequellen temporäre Stromüberschüsse hat, kann man Power-to-Gas ausbauen.
Sie sind an einem solchen Power-to-Gas-Projekt in Island beteiligt. Worum geht es dabei?
Wenn im Frühling und Sommer der Schnee in Island schmilzt, müssen viele Wasserkraftwerke das Wasser ungenutzt über die Staumauer ablassen. Diesen überschüssigen erneuerbaren Strom wollen wir nutzen, um mittels Elektrolyse und mit CO2, das ohnehin aus dem Boden austritt, synthetisches Gas herzustellen. So kann man die überschüssige Energie speichern und sie dann einsetzen, wenn man sie braucht. Die Ressourcen für Power-to-Gas sind in Island reichlich vorhanden. Momentan laufen verschiedene Abklärungen für den Bau einer ersten solchen Anlage.
Wie wird das Gas von Island in die Schweiz gelangen?
Das produzierte Gas wird komprimiert und als Flüssiggas per Schiff in die Schweiz transportiert. Und daran sehen Sie auch eine regulatorische Baustelle: Wir können heute dieses Gas nicht über das europäische Gasnetz in die Schweiz importieren, weil noch kein System vorhanden ist, das die Herkunft des Gases als erneuerbare Ressource verifiziert.
Das heisst, der Import von Biogas durch das Gasnetz untersteht weiterhin der CO2-Abgabe, nicht aber der physische Import von Flüssiggas?
Ja. Das Problem besteht bei Biogas, das ins Gasnetz eingespeist wird. Dort existiert zurzeit noch kein Herkunftsnachweissystem, das international abgestimmt ist. Beim Import in Containern können wir hingegen nachweisen, dass es sich um Biogas handelt, und müssen deshalb keine CO2-Abgabe bezahlen. Das Fehlen eines solchen Biogasregisters erschwert also den Import von Biogas beziehungsweise synthetischem erneuerbarem Gas. Der Bund arbeitet an diesem Problem, das begrüsse ich. Ein internationales Biogasregister muss jetzt sehr schnell kommen.
Die Limeco-Anlage in Dietikon wird die weltweit grösste Power-to-Gas-Anlage mit biologischer Methanisierung sein
Swisspower ist auch in der Schweiz an einem Power-to-Gas-Projekt beteiligt. Wie funktioniert diese Anlage?
Ich bin sehr stolz auf dieses Projekt. Der Baubeginn ist im nächsten Jahr. Die Limeco-Anlage in Dietikon wird die weltweit grösste Power-to-Gas-Anlage mit biologischer Methanisierung sein. Wie in Island nutzen wir auch hier Gas, das ohnehin entsteht: Das sogenannte Klärgas, das bei der Abwasserreinigung freigesetzt wird, wird mit Strom aus der Kehrichtverbrennungsanlage in erneuerbares Methangas umgewandelt. Anschliessend wird es ins Gasnetz eingespeist.
Sind diese Prozesse wirtschaftlich?
Ja, und das Projekt von Limeco zeigt: Bereits heute ist die Power-to-Gas-Technologie marktfähig. Leider ist das bisher nur an einigen Standorten möglich, wo der Strom vor Ort erzeugt wird. Es braucht deshalb regulatorische Anpassungen, um das Potenzial grossflächig zu erschliessen.
Was für Anpassungen?
Ob Power-to-Gas wirtschaftlich ist, hängt wesentlich vom Strompreis ab. Und dieser wird massgeblich durch das Netzentgelt beeinflusst. Es wäre also nötig, dass für solche Anlagen, die sich systemdienlich verhalten – die also helfen, das Stromnetz zu stabilisieren –, kein Netzentgelt anfällt.
Mit anderen Worten: Sie erhoffen sich vom Bund eine Subvention?
Nein, dabei handelt es sich nicht um eine Subvention, sondern um eine Gleichbehandlung verschiedener Technologien, mit denen wir Energie speichern können. Pumpspeicherkraftwerke sind bereits heute vom Netzentgelt befreit.
Der Wirkungsgrad von Power-to-Gas ist noch sehr tief.
Die Alternative zu Power-to-Gas wäre, den überschüssigen erneuerbaren Strom gar nicht zu nutzen. Ausserdem ist der Wirkungsgrad gar nicht so tief. Die Technologie hat Sprünge gemacht. Mit dem heutigen Stand der Technik können Power-to-Gas-Anlagen einen Wirkungsgrad von über 60 Prozent erzielen; mit der Elektrolyse allein sind es über 80 Prozent. Und wenn man die Abwärme noch nutzt, die dabei entsteht, kann man noch mehr erreichen.
Wie beurteilen Sie den Zuwachs der grünen Parteien in den vergangenen eidgenössischen Wahlen?
Persönlich und aus Sicht von Swisspower begrüsse ich es, dass die ökologischen Kräfte gestärkt wurden. Wenn ich mit einigen neuen Parlamentariern spreche, die viel für die Ökologie tun wollen, stelle ich aber auch fest, dass das Vorurteil, Gas sei fossil und schlecht, immer noch existiert. Ich finde es falsch, dass man die verschiedenen Energieträger gegeneinander ausspielt: Strom gegen Gas, Wind gegen Sonne etc. Wenn wir wirklich ein System der erneuerbaren Energien wollen, können wir keine ideologischen Scheuklappen brauchen. Gas ist ein Schlüssel für den Umbau des Energiesystems.
Inwiefern?
Wenn wir die Produktion von erneuerbarem Strom gemäss den Richtwerten in der Energiestrategie ausbauen wollen, wird das nur über einen massiven Zubau bei der Fotovoltaik gehen. Das wird dazu führen, dass wir im Sommer enorme Überschüsse und im Winter enorme Defizite in der inländischen Stromproduktion haben. Wenn wir diese Überschüsse im Sommer sinnvoll verwerten wollen, geht das im grossen Stil nur mithilfe von Power-to-Gas-Anlagen. Das so produzierte klimaneutrale Gas steht dann im Winter zur Verfügung, um in Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen erneuerbare Wärme und Strom zu produzieren. Damit verringern wir auch die Importabhängigkeit im Winter. Für die Feinverteilung werden wir weiterhin Gasnetze brauchen. Gehen wir hier in die falsche Richtung, werden wir 2035 vermutlich rückblickend sagen: Wir haben einen Fehler gemacht.
Die Industriellen Werke Basel, die Aktionär von Swisspower sind, wollen das Gasnetz ab 2030 teilweise stilllegen. Ein Fehler?
Die Strategie der IWB ist die Folge eines politischen Entscheids im Kanton Basel-Stadt, neue Öl- und Gasheizungen nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Aus unternehmerischer Perspektive ist das natürlich eine Rahmenbedingung, die erschwerend ist für ein Stadtwerk.
Stichwort Rahmenbedingungen: Im Zusammenhang mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Teilmarktöffnung hört man immer wieder, dass die Versorger hohe Margen abschöpfen, weil der Markt momentan noch nicht offen ist.
Die Stadtwerke verdienen momentan noch am meisten Geld mit dem Energieträger Gas, weil sie im Strombereich seit der Teilmarktliberalisierung mit den freien Grosskunden, die ihren Anbieter selber wählen können, gar nichts mehr verdienen. Was nach der allfälligen Teilliberalisierung im Gasmarkt mit den Margen beim Gas passieren wird, wird sich zeigen.
Die Energiewende ist kein marktlogisches, sondern ein politisches Projekt
Der Bundesrat will keine vollständige Öffnung, um Innovationen zu ermöglichen.
Ich begrüsse das. Darüber, wo die Grenze für den Marktzugang gezogen werden soll, müssen wir diskutieren. Sicher ist: Der Markt allein wird die nötigen Anreize für den Umbau des Energiesystems nicht liefern. Die Energiewende ist kein marktlogisches, sondern ein politisches Projekt. Oder anders gesagt: Der Markt hätte keinen Gotthard-Basistunnel gebaut – die Schweiz musste die Neat bauen. Und so ist es auch beim Energiesystem.
Was braucht es dann?
Erstens braucht es eine verlässliche Regulierung mit klaren Zielen und Investitionsanreizen. Darüber hinaus ist das Verhalten jedes Einzelnen ein wichtiger Hebel. Heute ist es plötzlich möglich, über Suffizienz und Kreislaufwirtschaft – also einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch – zu sprechen. Das war vor 15 Jahren nicht der Fall. Mit den «Fridays for Future» und den demonstrierenden Schülern wird Suffizienz plötzlich wieder in. Das finde ich super. Wir müssen nicht nur über Technologie, sondern auch über unser Verhalten reden. Und deshalb sind die Stadtwerke für mich auch so interessant, weil sie nahe bei den Kunden sind.