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Genauer erfasste Arbeitslosigkeit dank Automatisierung

Bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren sind nicht nur arbeitslose Personen gemeldet, sondern beispielsweise auch Personen mit einem Zwischenverdienst. Dank der automatischen Erfassung der Erwerbssituation kann die Arbeitslosigkeit neu genauer ausgewiesen werden.
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Stellensuchende mit Zwischenverdienst gelten nicht als «arbeitslos». (Bild: Keystone)

Sie ist der wohl bekannteste Arbeitsmarktindikator: die Arbeitslosenquote. Sie gibt an, wie effizient eine Volkswirtschaft ihr Arbeitskräfteangebot nutzen kann. Die Arbeitslosenquote wird monatlich vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) publiziert und gibt Auskunft über den Anteil der arbeitslosen Personen gemessen am Total aller Erwerbspersonen ab 15 Jahren. Gemäss der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist arbeitslos, wer in der Referenzperiode keiner bezahlten Arbeit nachgeht, wer eine Tätigkeit aufnehmen könnte und wer zuletzt aktiv eine Stelle gesucht hat. Damit ist sie der Erwerbslosenquote ähnlich, die das Bundesamt für Statistik erhebt. Die beiden Quoten unterscheiden sich jedoch durch die Erhebungsmethodik: Während die Erwerbslosenquote die Zahl der Erwerbslosen und Erwerbstätigen mithilfe einer repräsentativen Befragung in der Wohnbevölkerung bestimmt, wird die Arbeitslosenquote anhand der Registerdaten der Arbeitsämter berechnet. Als arbeitslos kann also nur gezählt werden, wer sich bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) angemeldet hat. Für die Erwerbslosenquote ist die Anmeldung bei einem RAV keine Voraussetzung.

Nicht nur Arbeitslose beim RAV


Im Gegensatz zur Erwerbslosenquote eignet sich die Quote des Seco nicht für internationale Vergleiche. Trotzdem ist sie ein präziser Indikator für die konjunkturelle Entwicklung der Schweiz und kann für regionale, branchen- oder berufsspezifische Arbeitsmarktanalysen verwendet werden. Für diese Analysen werden am Monatsende die Dossiers aller Stellensuchenden statistisch ausgewertet. Neben den arbeitslosen Personen umfasst das Informationssystem für die Arbeitsvermittlung und die Arbeitsmarktstatistik (Avam) auch gemeldete Stellensuchende, die nicht arbeitslos sind, obwohl sie beim RAV gemeldet sind. Dazu zählen beispielsweise Stellensuchende, die einem Zwischenverdienst nachgehen, oder Personen, die aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls nicht innert 30 Tagen eine Stelle antreten können. Gemäss der ILO-Definition von Arbeitslosigkeit gelten diese beiden Gruppen von Stellensuchenden nicht als arbeitslos. Denn Personen in einem Zwischenverdienst gehen einer bezahlten Arbeit nach, und kranke oder durch einen Unfall beeinträchtigte Personen sind nicht sofort vermittelbar, wie es die ILO-Definition verlangen würde.

Die Unterscheidung zwischen arbeitslosen und nicht arbeitslosen Stellensuchenden ist für die Berechnung der Arbeitslosenquote von grosser Bedeutung, wie die Zahlen zeigen: 2019 waren auf den RAV im Jahresdurchschnitt 181’798 Stellensuchende registriert. Davon gehörten allerdings nur rund 59 Prozent zur Gruppe der Arbeitslosen. Konzeptionell ist die Unterscheidung zwischen arbeitslosen und nicht arbeitslosen Stellensuchenden eindeutig. In der Praxis sind die Erfassung der Informationen zu den Stellensuchenden im Avam und die Verarbeitung der Informationen im Data Warehouse Lamda (Labor Market Data Analysis) allerdings mit einigen Herausforderungen verbunden.

Neue Erfassung der Arbeitslosigkeit


Vor der Umstellung im Frühling 2018 mussten die Personalberatenden auf den RAV den Erwerbsstatus und die Erwerbssituation der Stellensuchenden manuell erfassen und bei Bedarf aktualisieren. Anhand dieser beiden Variablen wurden die Stellensuchenden in arbeitslos und nicht arbeitslos eingeteilt. Sie wurden höchstens einmal pro Monat anlässlich des Beratungsgesprächs verändert. Zudem waren die Mutationsregeln relativ kompliziert. Beispielsweise galten Stellensuchende in Bildungsmassnahmen nur dann als nicht arbeitslos, wenn diese länger als zwei Wochen dauerten. Das führte dazu, dass die Einteilung der gemeldeten Personen in arbeitslos und nicht arbeitslos nicht immer einheitlich erfolgte und so auch die kantonale Vergleichbarkeit der Arbeitslosenzahlen beeinträchtigte.[1] Um die Qualität und die Vergleichbarkeit zu verbessern, wurde die Erfassung der Erwerbssituation der Stellensuchenden optimiert und im März 2018 in Kraft gesetzt.

Die neue Erfassung der Erwerbssituation von Stellensuchenden wurde mit den beiden Feldern «Erwerbssituation bei Anmeldung» (einmalige Eingabe) und «Erwerbssituation aktuell» (Eingabe bei Bedarf) stark vereinfacht. Zudem werden bestehende Informationen zum Zwischenverdienst oder zu den arbeitsmarktlichen Massnahmen aus dem Avam automatisch genutzt, um die Erwerbssituation der Stellensuchenden tagesaktuell zu berechnen. Davon betroffen sind beispielsweise Stellensuchende, die sich frühzeitig beim RAV melden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch in einer bereits gekündigten oder befristeten Vollzeitstelle beschäftigt sind. Sie werden bei Beginn einer Rahmenfrist mit Anspruch auf Taggelder automatisch auf «arbeitslos» mutiert (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Einteilung der Stellensuchenden in Arbeitslose und Nichtarbeitslose




Quelle: Seco, Arbeitsmarktstatistik, eigene Darstellung des Autoren / Die Volkswirtschaft

Mehr nicht arbeitslose Stellensuchende


Diese Umstellung hat sich auch auf die Arbeitslosenzahlen und die Arbeitslosenquote ausgewirkt. Sowohl die Anzahl der nicht arbeitslosen Stellensuchenden als auch deren Anteil an allen Stellensuchenden hat deutlich zugenommen. Der Anteil ist von rund 30 Prozent vor der Umstellung auf circa 40 Prozent gestiegen (siehe Abbildung 2). Eine grössere Anzahl Nichtarbeitsloser – insbesondere Stellensuchende im Zwischenverdienst und Personen mit einer Voll- oder Teilzeitstelle – hat nach der Umstellung der Erfassungspraxis zu einem Rückgang der Arbeitslosenzahl geführt.

Abb. 2: Arbeitslose und nicht arbeitslose Stellensuchende vor und nach der  Umstellung (2017-2019)




Quelle: Seco, Arbeitsmarktstatistik / Die Volkswirtschaft

Ein Nebeneffekt davon ist, dass auch die Arbeitslosenquote zurückgegangen ist. Sie weist allerdings seit 2017 auch aufgrund der positiven konjunkturellen Entwicklung einen sinkenden Trend auf. Zwischen März und Mai 2018 reduzierte sich die Arbeitslosenquote gegenüber den Vormonaten um mehr als 0,2 Prozentpunkte. Dieser Rückgang übertraf die konjunktur- sowie die saisonbedingten Veränderungen sowohl im Vorjahr (2017) als auch im Jahr nach der Umstellung (2019) deutlich. Welchen Anteil genau die Umstellung daran hatte, ist Gegenstand von Schätzungen. Der Anteil der arbeitslosen sowie der nicht arbeitslosen Stellensuchenden an allen Stellensuchenden unterliegt saisonalen und konjunkturellen Schwankungen. Zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Höhe des Anteils der nicht arbeitslosen Stellensuchenden besteht ein positiver Zusammenhang. Da das Wirtschaftswachstum 2018 höher war als im Jahr 2017, deutet dies darauf hin, dass auch nach altem Erfassungssystem der Anteil nicht arbeitsloser Stellensuchender 2018 höher ausgefallen wäre. Deshalb kommen wir zum Schluss, dass der Umstellungseffekt zu einer Verringerung der Arbeitslosenzahl um 9’000 bis 14’500 führte. Das entspricht einem Rückgang der Arbeitslosenquote um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte (siehe Abbildung 3). Mit anderen Worten: 2018 lag die Arbeitslosenquote durchschnittlich bei 2,5 Prozent. Mit der alten Erfassungsmethode hätte sie somit schätzungsweise 2,7 bis 2,8 Prozent betragen.

Abb. 3:  Arbeitslosenquote vor und nach der Umstellung (2017–2019)




Quelle: Seco, Arbeitsmarktstatistik / Die Volkswirtschaft

Kantonale Harmonisierung erfolgreich


Das Hauptziel, die Erfassung der Arbeitslosigkeit schweizweit zu harmonisieren und zu vereinfachen, wurde mit der Umstellung im März 2018 erreicht. Der Aufwand ist heute deutlich tiefer. Im interkantonalen Vergleich haben sich die Anteile der nicht arbeitslosen Stellensuchenden zudem angeglichen, was die kantonalen Arbeitslosenzahlen vergleichbarer macht. Die mittlere Abweichung der kantonalen Anteile der nicht arbeitslosen Stellensuchenden im Vergleich zum nationalen Durchschnitt ist von über 7 Prozentpunkten vor der Umstellung auf unter 5 Prozentpunkte gesunken. Zudem zeigen Analysen basierend auf den beiden Quellsystemen Avam und Asal (Auszahlungssystem der Arbeitslosenkassen), dass sich die Zahlen zu den Personen mit Zwischenverdienst seit März 2018 angenähert haben. Dabei handelt es sich um die mit Abstand grösste Gruppe innerhalb der nicht arbeitslosen Stellensuchenden. Die exaktere Berücksichtigung von Zwischenverdiensten hat damit seit der Umstellung im März 2018 im Avam ebenfalls zu einer tieferen Arbeitslosenzahl beigetragen. Ausserdem sind die täglich berechneten Arbeitslosenzahlen in Lamda mit der Umstellung tagesaktueller geworden (siehe Kasten).

Trotz deutlich besserer interkantonaler Vergleichbarkeit können Unterschiede auf Ebene der Kantone, der RAV und der Personalberatenden bei der Erfassung der Erwerbssituation auch heute nicht vollständig ausgeschlossen werden. Insbesondere Stellensuchende mit einer Teilzeitstelle müssen auch im neuen Erfassungssystem manuell auf «arbeitslos» gestellt werden, sobald sie die Stelle verlieren. Diese Situation macht deutlich, dass auf eine laufende Qualitätskontrolle der Arbeitslosenzahlen durch das Seco in Zusammenarbeit mit den kantonalen Vollzugsstellen nicht verzichtet werden kann.

  1. Vgl. Gutachten über die kantonalen Unterschiede in der Erfassung der Stellensuchenden im Auftrag der Direktion für Arbeit des Seco (2012). []

Zitiervorschlag: Oesch, Thomas (2020). Genauer erfasste Arbeitslosigkeit dank Automatisierung. Die Volkswirtschaft, 25. Februar.

Tagesaktuellere Arbeitslosenzahlen

Die täglich im Data Warehouse Lamda berechneten Arbeitslosenzahlen weisen seit der Umstellung logischere Muster auf. Jeden Montag nehmen die Arbeitslosenzahlen deutlich ab, weil an diesem Wochentag Ereignisse wie der Zwischenverdienst oder arbeitsmarktliche Massnahmen beginnen. Jeweils am Samstag nehmen die Arbeitslosenzahlen zu, weil die meisten Ereignisse an einem Freitag enden. Die täglichen Veränderungen in den Arbeitslosenzahlen sind seit der Umstellung nicht nur logischer, sondern auch grösser, wie die deutlichen Zunahmen zu Beginn des Monats sowie die ausgeprägten Abnahmen jeden Montag zeigen. Die Qualität der Arbeitslosenzahlen und somit auch die Präzision der Arbeitslosenquoten haben seit der Umstellung zugenommen.