Stehen mit über 70 Jahren noch auf der Bühne: Ron Wood (l.) und Mick Jagger von den Rolling Stones. (Bild: Keystone)
Die Schweiz steuert auf ein demografisches Problem zu: Der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung steigt in den nächsten Jahren dramatisch. Während heute auf einen Rentner noch drei Erwerbspersonen kommen, beträgt dieses Verhältnis in 20 Jahren bereits 2:1. Diese Gewichtsverschiebung stellt nicht nur die Rentenversicherungen vor finanzielle Probleme, sondern sie führt auch zu einem grossen personellen Engpass auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Gemäss Prognosen der Grossbank UBS werden bereits im Jahr 2030 bis zu eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen.[1]
Abhilfe schaffen könnte eine bessere Nutzung des Arbeitskräftepotenzials der Altersgruppe 50 plus. Eine Onlinebefragung des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte Schweiz zeigt: 40 Prozent der Erwerbspersonen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren möchten über das offizielle Rentenalter hinaus arbeiten (siehe Abbildung).[2] Hochgerechnet auf alle Erwerbspersonen, sind dies über eine halbe Million Menschen. Die grosse Mehrheit der Befragten wünscht aber, dereinst nur noch Teilzeit zu arbeiten.
Dabei scheint auch der kurz bevorstehende Eintritt ins Rentenalter die Bereitschaft nicht zu mindern, wie der Wert von 40 Prozent bei den 60- bis 64-Jährigen zeigt. Dasselbe gilt für das Geschlecht: Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind minim und nicht signifikant.
Anteil Personen, die über das Rentenalter hinaus erwerbstätig sein möchten (2019)
Anmerkungen: Im Juni 2019 befragte Deloitte 1000 in der Schweiz wohnhafte Personen im Alter von 50 bis 64 Jahren. Die Befragung ist repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Region.
Geringere Bereitschaft in der Romandie
Allerdings gibt es unterschiedliche Präferenzen nach Sprachregionen: Während in der Deutschschweiz 44 Prozent der 50- bis 64-Jährigen länger arbeiten möchten, sind es in der Romandie nur 34 Prozent. Ältere Menschen in der Romandie stehen auch einer Erhöhung des Rentenalters skeptischer gegenüber als Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer, wie eine weitere Untersuchung von Deloitte Schweiz zeigt.[3]
Wie lässt sich diese Kluft erklären? Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach, da unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen dürften. Zu nennen ist erstens das schlechtere Abschneiden französischsprachiger Gebiete bei wichtigen Arbeitsmarktindikatoren. Die Genferseeregion, aber auch die Kantone Neuenburg und Jura weisen eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote sowie eine unterdurchschnittliche Erwerbsquote auf. Dies ist relevant, da Nichterwerbstätige in der Regel eine tiefere Bereitschaft aufweisen, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten oder einer Erhöhung des Rentenalters zuzustimmen.
Zweitens herrscht ein unterschiedliches Staatsverständnis vor: Während die Deutschschweizer im Durchschnitt eine nachhaltige Finanzierbarkeit der Altersvorsorge stärker gewichten, erwarten Romands tendenziell mehr Leistungen vom Staat und sind somit auch weniger bereit, länger zu arbeiten oder das Rentenalter zu erhöhen.[4] Drittens könnte auch die Gesundheit eine Rolle spielen. Gemäss einer Untersuchung der Universitäten Luzern und Bern fühlen sich Deutsch sprechende Personen in der Schweiz gesünder als Französisch sprechende, wenn auch die Differenz gering ist.[5]
Signifikante Unterschiede gibt es auch beim Ausbildungsstand. Während die Hälfte der 50- bis 64-Jährigen mit einem hohen Ausbildungsniveau länger arbeiten möchte, beträgt der Anteil bei den Gleichaltrigen mit einem tiefen Ausbildungsniveau lediglich 24 Prozent. Allgemein gilt: je besser die Ausbildung, desto höher die Bereitschaft, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Dasselbe zeigt sich auch bei der Arbeitszufriedenheit. Je zufriedener und motivierter die 50- bis 64-Jährigen mit ihrer jetzigen Arbeit sind, desto eher sind sie bereit, länger zu arbeiten. Beide Zusammenhänge sind wenig überraschend.
Wunsch versus Realität
Für Schweizer Unternehmen sind das gute Nachrichten – und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Bleiben die 40 Prozent der 50- bis 64-Jährigen nach Erreichen des Rentenalters effektiv erwerbstätig, können Unternehmen nicht nur den zukünftigen Arbeitskräftemangel lindern, sondern sie können auch auf Mitarbeiter zählen, die überdurchschnittlich ausgebildet und zufrieden sind.
Ein Blick auf die Arbeitsmarktpartizipation der Personen, die bereits das Rentenalter erreicht haben, lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob sich der Wunsch, länger zu arbeiten, in die Realität übertragen lässt. Im Jahr 2018 waren bloss 23 Prozent der 65- bis 69-Jährigen erwerbstätig. Zudem rechnen nur 30 Prozent der befragten Personen, die gerne länger arbeiten möchten, effektiv damit, dass sie dies auch tun werden.
Die Diskrepanz zwischen Wunsch und (erwarteter) Realität kommt nicht von ungefähr. Erstens hat das fixe Renteneintrittsalter in der Schweiz in den Köpfen vieler Erwerbstätiger einen Automatismus zementiert. Seit Jahren gilt: Wer 64 (Frauen) beziehungsweise 65 (Männer) wird, verlässt den Arbeitsmarkt und geht in Pension, selbst wenn sie oder er bereit wäre, länger zu arbeiten. Zweitens agieren viele Unternehmen zurückhaltend und bieten kaum Modelle an, um ältere Mitarbeitende länger zu halten – nicht zuletzt aufgrund des angesprochenen Automatismus, aber auch aufgrund höherer Beiträge für die berufliche Vorsorge (BVG) oder wegen Vorurteilen hinsichtlich Motivation und Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmender. Drittens spielen fehlende Anreize eine Rolle. Wenn es sich finanziell nicht lohnt, werden viele Erwerbstätige nicht über das Rentenalter hinaus arbeiten – auch wenn sie dies eigentlich möchten.
Was ist zu tun? Handlungsspielraum gibt es sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. Beide können dafür sorgen, dass der Wunsch vieler Erwerbspersonen, länger zu arbeiten, erfüllt wird. Zum einen sollten Unternehmen ihre Personalpolitik überdenken und Angebote für ältere Arbeitskräfte konsequent ausbauen und anpassen. Zum anderen sollte der Staat die Rahmenbedingungen verbessern, indem er etwa das fixe Renteneintrittsalter aufhebt und die finanziellen Anreize verbessert. Wer länger arbeitet, muss deutlich mehr Rente erhalten, und vice versa. Schliesslich gilt es die nach Alter abgestuften BVG-Beiträge anzugleichen. Nur so lässt sich das zusätzliche Arbeitskräftepotenzial in der Realität auch umfassend nutzen.
Literaturverzeichnis
- Deloitte (2019a). Arbeitskräfte gesucht. Wie die Altersgruppe 50plus den Arbeitskräftemangel lindern kann, Zürich
- Deloitte (2019b). Tiefer Geschlechter- und Röstigraben beim Frauenrentenalter 65. Die Erhöhung des Rentenalters aus Sicht der Altersgruppe 50–70, Zürich.
- Henchoz, C., Coste, T. und Wernli, B. (2019). Culture, Money Attitudes and Economic Outcomes, in: Swiss Journal of Economics and Statistics (2019) 155–2.
- Roser, K. et al. (2019). Health-related Quality of Life in Switzerland: Normative Data for the SF-36v2 Questionnaire, in: Quality of Life Research 18, 1963–1977.
- UBS (2017). UBS Outlook Schweiz, Generation Silber auf dem Arbeitsmarkt, 18. Juli.
Bibliographie
- Deloitte (2019a). Arbeitskräfte gesucht. Wie die Altersgruppe 50plus den Arbeitskräftemangel lindern kann, Zürich
- Deloitte (2019b). Tiefer Geschlechter- und Röstigraben beim Frauenrentenalter 65. Die Erhöhung des Rentenalters aus Sicht der Altersgruppe 50–70, Zürich.
- Henchoz, C., Coste, T. und Wernli, B. (2019). Culture, Money Attitudes and Economic Outcomes, in: Swiss Journal of Economics and Statistics (2019) 155–2.
- Roser, K. et al. (2019). Health-related Quality of Life in Switzerland: Normative Data for the SF-36v2 Questionnaire, in: Quality of Life Research 18, 1963–1977.
- UBS (2017). UBS Outlook Schweiz, Generation Silber auf dem Arbeitsmarkt, 18. Juli.
Zitiervorschlag: Zobrist, Luc; Grampp, Michael (2020). Länger arbeiten? Ja gerne! Die Volkswirtschaft, 25. Februar.