Wie gerecht ist die CO2-Abgabe?
Die CO2-Abgabe wird in der Schweiz derzeit nur auf Brennstoffe wie Heizöl erhoben. (Bild: Keystone)
Wie kann man die Treibhausgasemissionen in der Schweiz effizient reduzieren? Aus ökonomischer Sicht scheint eine CO2-Abgabe als beste Option, weil das Preissignal der unsichtbaren Hand des Marktes erlaubt, die kostengünstigsten Optionen für Emissionsreduktionen zu finden. Während Marktversagen und Informationsasymmetrien zusätzliche Politikinstrumente motivieren mögen, empfehlen die meisten Ökonomen eine CO2-Bepreisung als primäres Instrument zur Erreichung der Emissionsreduktionsziele.
Gleichzeitig besteht bei einer CO2-Abgabe die Gefahr, dass steigende Energiekosten das Budget von einkommensschwachen Haushalten überproportional belasten. Davon zeugt die Diskussion um Brennstoffarmut in Grossbritannien und allgemeiner um Energiearmut in Europa. Wie die Proteste der Gelbwesten in Frankreich in den vergangenen zwei Jahren zeigen, lehnen gewisse Bevölkerungsschichten steigende Energiepreise tendenziell ab. Es scheint also von grosser Wichtigkeit, dass eine CO2-Bepreisung nicht als zusätzliche Steuerlast empfunden wird.
In einer Studie für das eidgenössische Energieforschungsprogramm «Competence Center for Research in Energy, Society and Transition» habe ich anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells analysiert, wie Reduktionsziele, Bepreisungspolitiken und Rückverteilungsbudgets zusammenhängen.[1]
Wie viel CO2 wird reduziert?
Das in der Studie verwendete allgemeine Gleichgewichtsmodell erlaubt es, die Auswirkungen von preisbasierter Klimapolitik sowohl auf Konsumentenpreise als auch auf die Einkommen der Haushalte aus Arbeit und Kapital abzuschätzen. Das Modell erfasst insbesondere auch die Volumen der CO2-Abgabe-Einkünfte und verteilt diese gemäss vorgegebenen Regeln an Teile der Wirtschaft zurück.
In den Politikszenarien gehe ich von den Emissionszielen aus, die sich die Schweiz im Mai 2017 im Rahmen der Energiestrategie 2050 gesetzt hat. Demnach sollen die Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 gegenüber 1990 um 70 bis 85 Prozent sinken (siehe Kasten). Auf die für das Jahr 2050 projizierte Population gerechnet, entspricht dies einer Reduktion der Pro-Kopf-Emissionen auf 1 bis 2 Tonnen CO2-Äquivalenten. Ein erstes Szenario geht dabei für 2050 von einer Emissionsobergrenze von 1,5 Tonnen CO2-Äquivalente pro Kopf aus, ein zweites Szenario rechnet mit einer Reduktion auf 1,0 Tonnen.
Gemäss den Modellrechnungen reduziert sich die Kaufkraft der Konsumenten im ersten Szenario um 0,83 bis 0,88 Prozent; im zweiten Szenario beträgt der Rückgang zwischen 1,42 und 1,58 Prozent. Damit die Emissionsziele erreicht werden, muss der Preis pro Tonne CO2 zwischen 516 und 517 Franken (Szenario 1) beziehungsweise zwischen 943 und 946 Franken betragen.
Insgesamt werden im ersten Szenario Gelder im Umfang von 3,56 Milliarden Franken und im zweiten Szenario von 4,47 Milliarden Franken an die Haushalte zurückerstattet. Pro Kopf sind das 346 Franken beziehungsweise 434 Franken.
Aufgrund der grossen Volumina der CO2-Abgabe-Einkünfte ist auch die Verteilungswirkung potenziell gross. Strengere Ziele führen zwar zu höheren Wohlfahrtsverlusten, aber auch zu höheren Budgets zur Rückverteilung. Das erklärt zu einem gewissen Grad, dass bei einem ambitionierteren Ziel in Szenario 2 die absoluten Kosten zwar höher sind, aber die Verteilung der Kosten unter den Haushalten qualitativ ähnlich aussieht (siehe Abbildung).
Effekte der Reduktionsszenarien auf die Kaufkraft von Haushalten (nach Einkommensquintilen im Jahr 2050)
Anmerkung: Dargestellt sind die Auswirkungen auf die Kaufkraft der Haushalte, wenn die Einnahmen der CO2-Abgabe direkt an die Einwohner rückverteilt werden. Die blauen Boxen erstrecken sich vom ersten bis zum dritten Quartil der Verteilung der Auswirkungen im jeweiligen Einkommensquintil.
Geringverdiener profitieren
Gemäss heutiger Praxis fliesst ein Drittel der Einnahmen der CO2-Abgabe (maximal 450 Millionen Franken) ins Gebäudeprogramm. Mit diesem Instrument unterstützt der Bund Hausbesitzer, die Energieeffizienz der Gebäude zu verbessern. Der Rest wird im Verhältnis der Abgabeerträge an Industrie und Haushalte rückverteilt. Bei den Haushalten geschieht dies durch einen Pro-Kopf-Beitrag, der durch die Krankenversicherer an alle in der Schweiz wohnhaften Personen ausgezahlt wird. Im laufenden Jahr beträgt er beispielsweise 77.40 Franken pro Person.[2]
Die Rückverteilung ist unabhängig von den jährlichen Emissionen der Empfänger. Da die Beträge für alle Bewohner gleich hoch sind, fallen sie für Haushalte mit geringem Einkommen im Vergleich zu diesem grösser aus. Und weil einkommensschwache Haushalte in der Tendenz weniger ausgeben für Energie als Haushalte mit hohem Einkommen, besteht für sie eine grössere Wahrscheinlichkeit, dass der rückerstattete Betrag grösser ist als die Ausgaben für die CO2-Abgabe, die in den Konsumausgaben beinhaltet sind.
Dies erklärt auch, warum der Effekt der CO2-Bepreisung auf die Kaufkraft von einkommensschwachen Haushalten im Schnitt (prozentual) weniger abnimmt als auf jene von einkommensstarken Haushalten. Allerdings ist die Streuung beim tiefsten Einkommensquintil am grössten: Während die Kaufkraft des Durchschnittshaushalts nur minimal abnimmt, gibt es zahlreiche Haushalte, die einen grossen Ausgabenanteil für fossile Brennstoffe aufwenden. Von den Haushalten mit den höchsten prozentualen Kaufkraftverlusten sind deshalb besonders viele im ersten Einkommensquintil angesiedelt. Hier kann es also zu Härtefällen kommen, wenn finanziell sowieso schwach gestellte Haushalte plötzlich mit empfindlich hohen Mehrausgaben konfrontiert werden.
Sozialbeiträge oder Mehrwertsteuer?
Statt die CO2-Einnahmen gleichmässig an die Bevölkerung zu verteilen, könnte man mit dem Geld auch die Sozialbeiträge auf der Lohnabrechnung reduzieren. Von einer gleichmässigen Absenkung der Sozialabgaben würden jedoch in erster Linie die Haushalte mit hohen Einkommen profitieren. Denn unter den Haushalten mit tiefem Einkommen befinden sich viele ohne Arbeitseinkommen, seien sie nun pensioniert, in Ausbildung oder arbeitslos.
Eine weitere Variante wäre es, die Mehrwertsteuer zu reduzieren. Dabei könnte man gezielt jene Nichtenergiegüter entlasten, für welche einkommensschwache Haushalte einen grösseren Anteil ihrer Ausgaben verwenden als andere Haushalte. Meine Ergebnisse zeigen auf, dass eine solche Steuererleichterung starke regressive Gesamtkostenverteilungen vermeiden kann, aber den einkommensschwachen Haushalten weniger hilft als eine Pro-Kopf-Rückverteilung.
Differenzierte Steuerraten
Abgesehen von solchen Rückverteilungsvarianten könnte man auch die Steuerraten anpassen. So wird die CO2-Abgabe derzeit nur auf Brennstoffe wie Heizöl und Erdgas erhoben, und Treibstoffe wie Benzin und Diesel sind von der Abgabe nicht betroffen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kann eine reduzierte CO2-Abgabe auf Treibstoffe durchaus sinnvoll sein, da diese bereits mit vergleichsweise hohen Mineralölsteuern belastet werden, während Brennstoffe weniger stark besteuert werden. Andererseits muss dann die CO2-Abgabe auf Brennstoffe höher ausfallen, um dieselben Emissionsziele zu erreichen – wobei eine Abgabe auf Brennstoffe die einkommensschwachen Haushalte proportional stärker betrifft als Haushalte mit höherem Einkommen. Eine vollständige Ausnahme der Treibstoffe von der CO2-Abgabe dürfte aber im Jahr 2050 keinen Sinn mehr machen.[3]
Zusätzliche Unterschiede in der Höhe der CO2-Bepreisung entstehen durch das Emissionshandelssystem, da dieses die Wirtschaft aufteilt in Sektoren, die unter einem Emissionshandelssystem CO2-Emissionsrechte handeln, und Sektoren, deren Nachfrage nach Fossilen durch die CO2-Abgabe reguliert wird.
Meine Vergleiche zeigen, dass bei dem weniger ambitionierten Ziel die nationalen Gesamtkosten durch solche Steuerdifferenzierung anfangs noch reduziert werden können – bei stärkeren Reduktionszielen fallen diese Kosteneinsparungen aber weg, da die Differenzen in den Abgaberaten ineffizient gross werden. Allerdings belasten reduzierte CO2-Abgaben auf Treibstoff die Wohlfahrt bereits auch bei weniger strengen Zielen, wenn man davon ausgeht, dass sich die dadurch verursachte stärkere Ungleichverteilung der Kaufkraft negativ auf das Wohlfahrtsmass auswirkt.
Zusammengefasst legen die Resultate meiner Analysen nahe, dass die Methode der Rückverteilung in der gegenwärtigen Klimapolitik gut gewählt wurde, während die Differenzierung der Abgabenraten sich nachteilig auf die Wohlfahrtsresultate auswirkt. Gleichzeitig muss aber festgehalten werden, dass die Wahl der Rückverteilungsmethode den grösseren Einfluss auf die Wohlfahrt hat als die Wahl zwischen den betrachteten Optionen zur Differenzierung der CO2-Abgabe.
Literaturverzeichnis
- Landis, F. (2019). Cost Distribution and Equity of Climate Policy in Switzerland, in: Swiss Journal of Economics and Statistics 155, 11 (2019).
- Landis, F., Rausch, S. und Kosch, M. (2018). Differentiated Carbon Prices and the Economic Cost of Decarbonization, in: Environmental & Resource Economics 70, 483–516.
Bibliographie
- Landis, F. (2019). Cost Distribution and Equity of Climate Policy in Switzerland, in: Swiss Journal of Economics and Statistics 155, 11 (2019).
- Landis, F., Rausch, S. und Kosch, M. (2018). Differentiated Carbon Prices and the Economic Cost of Decarbonization, in: Environmental & Resource Economics 70, 483–516.
Zitiervorschlag: Landis, Florian (2020). Wie gerecht ist die COsub>2/sub>-Abgabe? Die Volkswirtschaft, 20. Februar.
Mit der Energiestrategie 2050 will der Bundesrat die Energieeffizienz erhöhen und die erneuerbaren Energien stärken. Am 21. Mai 2017 hat das Stimmvolk das revidierte Energiegesetz angenommen. Derzeit berät das Parlament eine Totalrevision des CO2-Gesetzes nach 2020. Der Bundesrat schlägt Massnahmen vor, um den inländischen CO2-Ausstoss im Verkehr, bei den Gebäuden und Industrie bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 um mindestens 30 Prozent zu senken.
Aktuelle wissenschaftliche Studien aus dem «Swiss Journal of Economics and Statistics» mit einem starken Bezug zur schweizerischen Wirtschaftspolitik erscheinen in einer Kurzfassung in der «Volkswirtschaft».