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Finanzdienstleistungen: Brexit-Vorbereitungen fortgeschritten

Die EU und das UK wollen weiterhin enge Finanzmarktbeziehungen pflegen. Davon profitieren auch Schweizer Banken und Versicherer. Die Verhandlungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen.
Viele Schweizer Finanzdienstleister verfügen über eine Niederlassung in London. (Bild: Shutterstock)

Mit dem geordneten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) Ende Januar 2020 ist das No-Deal-Szenario abgewendet. Am 1. Februar 2020 hat nun eine Übergangsperiode bis mindestens Ende 2020 begonnen, in welcher das UK im EU-Binnenmarkt sowie in der Zollunion verbleibt und sich verpflichtet hat, weiterhin die Rechte und Pflichten des EU-Acquis einzuhalten. Damit ändert sich vorläufig auch für die europäische Finanzindustrie nichts. Allerdings bestehen für diese Planungsunsicherheiten, da das zukünftige Verhältnis EU – UK im Finanzbereich erst während der Übergangsperiode geregelt werden soll.

London befindet sich nach New York auf Position zwei der global führenden Finanzzentren (gefolgt von Hongkong und Singapur) – trotz Brexit-Unsicherheiten. In Europa bilden London und Zürich die zwei wichtigsten Finanzplätzen (gefolgt von Frankfurt, Paris und Luxemburg). Mit Genf verfügt die Schweiz bereits auf Platz 6 über ein weiteres bedeutendes europäisches Finanzzentrum.[1]
Die fast 50-jährige EU-Mitgliedschaft des UK hat die Entwicklung Londons als führendes Finanzzentrum für Europa massgeblich mitgeprägt und erfolgte vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verzahnung der europäischen Finanzmärkte. In den letzten zwanzig Jahren wurde der EU-Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen schrittweise ausgebaut. Insbesondere die Finanzkrise 2007/2008 hatte eine katalysierende Wirkung und hat die Finanzmarktregulierung auf EU-Ebene sowie die Schaffung einer EU-weiten Finanzmarktaufsichtsarchitektur beschleunigt. Durch Harmonisierung der Rechtsvorschriften wird innerhalb des EU-Binnenmarktes die Erbringung von Finanzdienstleistungen, sei es direkt grenzüberschreitend oder über Niederlassungen, ermöglicht und vereinfacht (sogenanntes Passporting).

Die City of London hat aufgrund der positiven Standortattribute – globale Vernetzung des Finanzplatzes, grosser Talentpool im Finanzbereich oder Tiefe des Kapitalmarkts etc. – die stetige Integration der EU-Finanzmärkte genutzt und die führende Stellung in Europa gefestigt. Heute beheimatet London den grössten Kapitalmarkt in Europa, und internationale Finanzgruppen aus Drittstaaten (insbesondere aus Japan und den USA) haben aufgrund des attraktiven Ökosystems häufig ihre Hubs zur Bedienung der europäischen Märkte in der Themsestadt zentralisiert. Zudem verfügen viele kontinentaleuropäische Finanzunternehmen über eine Niederlassung in London. Umgekehrt ermöglicht das Passporting EU-Firmen und -Privatpersonen den Zugang zu einem global ausgerichteten Finanzhub mit umfassendem Dienstleistungsangebot innerhalb des EU-Netzwerks. Mit dem EU-Austritt stellen sich aber für die zukünftige Entwicklung der europäischen Finanzmärkte neue Fragen, allen voran wie sich der Marktzugang für britische Finanzmarktakteure aus der City of London in die EU respektive die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten ausgestalten wird.

Neue Ausgangslage


Da sich nach dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 zwischen dem UK und der EU zu Beginn keine klare Stossrichtung über die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für Finanzinstitute abzeichnete, trafen die in der EU und im UK domizilierten Finanzunternehmen umfassende Massnahmen, um die Geschäftsbeziehungen auch nach dem EU-Austritt des UK sicherzustellen. Diese firmenspezifischen Anpassungen wurden durch gezielte gesetzliche Massnahmen und aufsichtsrechtliche Anpassungen im UK und in der EU unterstützt. Insgesamt gilt der Finanzsektor als einer derjenigen Wirtschaftssektoren, die in ihren Brexit-Vorbereitungen am weitesten fortgeschritten sind. Eine Herausforderung stellt die Kontinuität bestehender mehrjähriger Verträge im Privatsektor – etwa im Derivatebereich – dar. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, müssten viele dieser zum Zweck grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung abgeschlossenen Verträge erneuert werden – ein Prozess, der immer noch im Gang ist.

Ungeachtet dieser Anpassungen haben das UK und die EU im Rahmen der zusätzlich zum Austrittsabkommen ausgehandelten politischen Absichtserklärung festgehalten, dass der Finanzdienstleistungshandel künftig auf dem sogenannten Äquivalenzmodell basieren soll.[2] Das Finanzmarktrecht der EU wie auch jenes des UK enthalten zahlreiche Bestimmungen, welche das Verhältnis zu Drittstaaten und/oder ihren Akteuren regeln. Diese Bestimmungen bieten je nach Ausgestaltung eine Marktzugangsmöglichkeit und/oder aufsichtsrechtliche Erleichterungen, falls ein Drittstaat über eine gleichwertige Regulierung (Äquivalenz) verfügt. Das UK und die EU streben an, die notwendigen Äquivalenzprüfverfahren bis Ende Juni 2020 durchzuführen, behalten sich aber ihre jeweilige Autonomie respektive den Beschluss zur Äquivalenz ausdrücklich vor. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die angestrebte Umsetzung gelingen wird.

Es lässt sich aufgrund dieser noch unsicheren Ausgangslage zum jetzigen Zeitpunkt nicht verlässlich abschätzen, wie gross die Auswirkungen des Brexit auf die europäische Finanzindustrie am Ende tatsächlich sein werden. Es ist davon auszugehen, dass die City of London auch weiterhin einen global führenden und in Europa verorteten Finanzplatz beheimaten wird. Aus einer gesamteuropäischen Sicht ist jedoch die Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte, die mit dem Brexit angestossen wurde, kritisch zu sehen, da sie sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzplätze auf globaler Ebene auswirken kann.

Schweizer Finanzunternehmen sind von der Neuordnung der Zusammenarbeit EU – UK im Finanzbereich nicht unmittelbar betroffen, sofern diese direkt aus der Schweiz heraus in der EU oder im UK tätig sind. Hingegen stellen sich für Schweizer Finanzunternehmen, die ihr EU-Geschäft von London aus strukturiert oder den Finanzhub London über EU-Strukturen genutzt haben, ähnliche Herausforderungen wie für britische oder andere Finanzunternehmen aus dem EU-Raum.

«Mind the Gap»


Mit seiner «Mind the Gap»-Strategie will der Bundesrat die geltenden gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen der Schweiz und dem UK bestmöglich sicherstellen. Bisher basierten die Wirtschaftsbeziehungen massgeblich auf den bilateralen Abkommen Schweiz – EU. Da diese nach Ende der Übergangsperiode nicht mehr auf das UK anwendbar sind, mussten adäquate Nachfolgelösungen gefunden werden.

Im Finanz- und Steuerbereich ist das Direktversicherungsabkommen[3] vom Brexit betroffen: Damit die Versicherungsunternehmen ihre Geschäfte nahtlos weiterführen können, haben die Schweiz und das UK am 25. Januar 2019 ein bilaterales Nachfolgeabkommen unterzeichnet. Dieses führt die bestehenden Regeln im Direktversicherungsbereich lückenlos weiter.[4] Es ermöglicht Schweizer Versicherungsunternehmen auch zukünftig, Zweigniederlassungen im UK zu errichten und über diese am UK-Versicherungsmarkt im Nichtlebengeschäft teilzunehmen, etwa im Bereich der Hausrats-, der Motorfahrzeug-, der Reise- und der Haftpflichtversicherung. Umgekehrt geniessen britische Versicherungsgesellschaften dieselben Rechte in der Schweiz.

Ebenfalls vom UK-Austritt betroffen ist das Abkommen über den Automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA) zwischen der Schweiz und der EU.[5] Nach dem Ende der Übergangsperiode soll der Automatische Informationsaustausch gestützt auf das multilaterale Übereinkommen des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und das multilaterale Übereinkommen der zuständigen Behörden über den Informationsaustausch in Steuersachen (MCAA) weitergeführt werden.

Darüber hinaus bilden Äquivalenzen einen Bestandteil der bilateralen Finanzbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU. So wurde die Schweiz in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen der Finanzmarktregulierung von der EU als gleichwertig anerkannt – etwa im Versicherungsbereich oder bei zentralen Gegenparteien.[6] Das UK hat der Schweiz zugesichert, die bestehenden Äquivalenzentscheide der EU für die Schweiz über das Ende der Übergangsperiode hinaus unilateral zu garantieren. Die Schweiz verfügt hingegen über ein offenes, reziprok ausgestaltetes Marktzugangsregime, das kein mit der EU vergleichbares Äquivalenzkonzept vorsieht. Im Bereich der Derivateregulierung hat die Schweizerische Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finma) eine Anerkennung der Gleichwertigkeit, die sie vorläufig bereits der EU erteilt hatte, über den Brexit hinaus auf das UK ausgedehnt.[7]

Kontinuität gewährleistet


Insgesamt kann mit diesen Vorkehrungen für die bilateralen Beziehungen Schweiz – UK im Finanzbereich über den Ablauf der Übergangsperiode hinaus ein hohes Mass an Kontinuität gewährleistet werden. Dies ist wichtig, da viele schweizerische Finanzinstitute im UK – und umgekehrt viele britische Finanzunternehmen in der Schweiz – präsent sind.

Beide Finanzplätze sind offen ausgestaltet, internationalen Standards verpflichtet und global orientiert. Diese Kooperation soll auch in Zukunft fortgesetzt und vertieft werden, etwa im Bereich der Vermögensverwaltung, im Versicherungsgeschäft oder auch in Bereichen wie Sustainable Finance und der Digitalisierung.

  1. Rankings gemäss dem Global Financial Centres Index (Ausgabe September 2019). []
  2. Political Declaration Setting out the Framework for the Future Relationship Between the European Union and the United Kingdom, Rz. 35–37. []
  3. SR 0.961.1[]
  4. Der Abkommenstext sowie weitere Infos sind auf der Länderwebsite des SIF zum UK einsehbar. []
  5. SR 0.641.926.81[]
  6. Richtlinie 2009/138/EG (Solvency II) sowie Verordnung Nr. 648/2012 (EMIR). []
  7. Finma-Aufsichtsmitteilung 1/2019. []

Zitiervorschlag: Christoph König, Christoph Feuz, (2020). Finanzdienstleistungen: Brexit-Vorbereitungen fortgeschritten. Die Volkswirtschaft, 23. März.