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OECD-Vorgaben zwingen Schweizer Konzerne bei der Konzernfinanzierung zu Anpassungen. Ohne Verrechnungssteuerreform drohen Verlagerungen ins Ausland.
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Martin Hess, Dipl. Steuerexperte, Leiter Steuern, Mitglied der Geschäftsleitung Swissholdings, Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz, Bern

Die Modernisierung der Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen ist ein langjähriges Anliegen der Schweizer Industrie. Die Steuer soll sicherstellen, dass Schweizer Steuerpflichtige ihre Obligationenzinsen in ihrer persönlichen Steuererklärung korrekt deklarieren. Dieses Ziel erreichen die veralteten Regeln angesichts der heutigen globalisierten Kapitalmärkte kaum mehr.

Das Versagen der geltenden Regeln zeigt sich auch bei den Steuereinnahmen: Während bei der Verrechnungssteuer auf Dividenden der Bund auch dank unserer Mitgliedsfirmen ständig steigende Nettoeinnahmen von mittlerweile über 8 Milliarden Franken pro Jahr verzeichnet, sind die Verrechnungssteuereinnahmen aus den Obligationenzinsen schlicht unbedeutend.

Gleichzeitig stellt die Verrechnungssteuer auf Obligationenzinsen die Unternehmen vor immer grössere Schwierigkeiten: Da verrechnungssteuerbelastete Obligationen von internationalen Investoren gemieden werden, müssen Schweizer Konzerne an ausländische Kapitalmärkte gelangen und dort verrechnungssteuerfreie Obligationen emittieren. Auf dem Schweizer Kapitalmarkt platzieren die Unternehmen hingegen meist nur kleinere Obligationen, die von inländischen Investoren erworben werden. Erschwerend wirkt: Mittel aus Auslandobligationen dürfen Schweizer Unternehmen nur eingeschränkt für die Schaffung von inländischen Arbeitsplätzen einsetzen.

Benelux-Staaten profitieren

Zahlreiche Konzerne verwalten die Mittel aus Auslandobligationen im Ausland – hauptsächlich in den Niederlanden, Luxemburg oder Belgien. Obwohl die Schweizer Unternehmen dies nicht wollen und am liebsten möglichst alle Finanzierungsaktivitäten in der Schweiz ausüben möchten, zwingt sie die Verrechnungssteuer, ausländische Finanzierungsgesellschaften zu unterhalten.

Bisher betrieben Schweizer Konzerne ihre ausländischen Finanzierungsgesellschaften nur mit der absolut nötigen Anzahl von Mitarbeitern und Funktionen. Im Februar 2020 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jedoch die Besteuerungsregeln für die Konzernfinanzierung grundlegend angepasst. Die Anforderungen an Finanzierungsgesellschaften punkto Personalausstattung, Risikotragung und Funktionen wurden massiv erweitert. Werden die Anforderungen nicht erfüllt, darf die Finanzgesellschaft von ihren zahlreichen Schwestergesellschaften nur noch den sogenannten risikolosen Zinssatz verlangen – was für die Finanzgesellschaft rasch in Verluste münden kann.

Die neuen OECD-Transferpreis-Vorgaben richten sich gegen substanzschwache Finanzgesellschaften. Internationale Unternehmen sollen ihre Finanzierungstätigkeiten möglichst am Hauptsitz oder einem anderen Standort mit zahlreichen wichtigen Funktionen ausüben. Schweizer Unternehmen möchten dies gerne tun – und zwar lieber heute als morgen. Dazu braucht es die Verrechnungssteuerreform. Ohne Reform sehen sich die Unternehmen gezwungen, ihre Tätigkeiten bei den ausländischen Finanzgesellschaften massiv auszubauen. Dieser Ausbau wird aller Voraussicht nach auf Kosten von Schweizer Arbeitsplätzen gehen.

Chance für die Schweiz

Können Bundesrat und Parlament hingegen die Reform der Verrechnungssteuer zügig abschliessen, profitiert die Schweiz. Denn: Schweizer Konzerne werden ihre Finanzierungstätigkeiten vom Ausland in die Schweiz verschieben. Gelingt es zudem, den Beteiligungsabzug (Schuldzinsenverlegung) im Rahmen der Reform leicht zu modifizieren, werden die Topholdings direkt an den Kapitalmarkt gelangen können. Konzerndarlehen werden als Folge aus der Schweiz vergeben, und die Zinsdifferenz zwischen Aktiv- und Passivdarlehen wird künftig dem Schweizer Fiskus zugutekommen.

Dem Vernehmen nach planen auch die ganz grossen Firmen, ihre Anleihen vermehrt aus einer Schweizer Einheit zu begeben, an der Börse SIX zu kotieren und bei diesen Schweizer Recht anstelle von englischem Recht anzuwenden. Auch Fremdwährungsobligationen dürften häufiger auf dem Schweizer Kapitalmarkt platziert werden und auch mittelgrossen Unternehmen mehr Optionen für die Finanzierung eröffnen. Die Reform stärkt somit den Schweizer Kapitalmarkt und den Konzernstandort Schweiz. Darüber hinaus beschert sie dem Fiskus Mehreinnahmen und den Schweizer Banken und Anwälten neue Aufträge. Auch ausländische Firmen werden aus der Schweiz heraus Anleihen begeben und ihre Tresorie- und Kapitalmarktfunktionen hier konsolidieren können.

Mass halten

Die Reform der Verrechnungssteuer im Obligationenbereich ist deshalb der Schlüssel zu der vom Bundesrat anvisierten Stärkung des Kapitalmarkts. Angesichts der folgenschweren OECD-Vorgaben tut der Bundesrat gut daran, die Reform nicht unnötig zu gefährden. Mit dem Entscheid, dass auch für in- und ausländische Fonds der Wechsel zum Zahlstellenprinzip gelten soll, hat er aber genau dies getan. Die geplante Regelung für Fonds verunmöglicht den Banken, die kostspieligen Zahlstellenfunktionen extern (etwa bei der SIX Group) anzusiedeln.

Der Entscheid des Bundesrats zu den Fonds ist zwar konsequent und verbessert die Steuersicherung. Die hohen Umsetzungskosten für Banken könnten jedoch dazu führen, dass die Reform von der Bankbranche bekämpft wird und scheitert. Dies ist für die Schweizer Industrie nicht hinnehmbar. Swissholdings ersucht deshalb den Bundesrat, für die Fonds eine andere Lösung vorzusehen.

Zitiervorschlag: Hess, Martin (2020). Verrechnungssteuer: Reform ist dringend. Die Volkswirtschaft, 21. April.