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Reform der Stempelabgaben und der Verrechnungssteuer lohnt sich

In der jetzigen Form sind Verrechnungssteuer und Stempelabgaben ineffizient. Von einer Reform würde nebst dem Finanzplatz auch der Werkplatz Schweiz profitieren.
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Viele Anleger meiden den Schweizer Kapitalmarkt aus steuertechnischen Gründen. (Bild: Shutterstock)

Dem Wirtschaftsstandort Schweiz wird meist ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ein Aspekt, bei dem die Schweiz gegenüber den wichtigsten Konkurrenten jedoch weniger gut abschneidet, ist das steuerliche Umfeld für den Kapitalmarkt. Als ineffizient gilt insbesondere das gegenwärtige System aus Verrechnungssteuer und Stempelabgaben. Dieses beeinflusst die Finanzierungsentscheidung von Unternehmen genauso wie die Spartätigkeit oder das Versicherungsniveau der privaten Haushalte.

Aus Standortsicht erweisen sich die Abwanderungseffekte in der Unternehmensfinanzierung und dem institutionellen Anlagegeschäft auf andere Finanzmärkte als nachteilig (Wertschöpfungsabfluss ins Ausland). Hierdurch werden auch Wachstumspotenziale verschenkt, da vielversprechende Geschäftsfelder in der Schweiz nur eingeschränkt oder gar nicht bewirtschaftet werden können (geringerer Wertschöpfungszufluss aus dem Aus- und Inland). Die Umgehungsaktivitäten bewirken zudem ineffiziente Kostenstrukturen und eine suboptimale Nutzung von Skaleneffekten. Dies macht sich vor allem am Werkplatz Schweiz negativ bemerkbar.

Im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) haben wir evaluiert, was eine umfassende, zielgerichtete und für den Bundeshaushalt finanzierungsneutrale Reform der Stempelabgaben und der Verrechnungssteuer bewirkt.[1] Stempelabgaben und Verrechnungssteuer sind insofern wesensverwandt, als sie hauptsächlich auf kapitalmarktbezogene Aktivitäten erhoben werden. Hierbei kommt es teilweise zu sich überschneidenden und verstärkenden Effekten. Eine trennscharfe Zurechnung der Rückwirkungen auf spezifische Finanzgeschäfte ist nicht immer möglich.

Um das gesamtwirtschaftliche Potenzial einer Reform der Stempelabgaben und der Verrechnungssteuer zu schätzen, stützten wir uns auf makroökonomische Modellrechnungen. Gemäss dem Hauptszenario steigt das Niveau des schweizerischen Bruttoinlandprodukts (BIP) innerhalb von zehn Jahren um rund 1,4 Prozent. Die Zahl der in der Schweiz Erwerbstätigen nimmt im selben Zeitraum um 22’000 Personen zu. Unterstellt werden hierbei ein Wegfall der Stempelabgaben – aber unter Beibehaltung des Versicherungsstempels – und eine umfassende Reform des Verrechnungssteuersystems.

Künftige Einkommens- und Beschäftigungsgewinne fallen nicht nur im Finanzsektor an. Auch andere Branchen und die Gesamtwirtschaft profitieren. Stimulierende Effekte resultieren vor allem aus den verbesserten Standortbedingungen. Dies äussert sich zunächst in steigenden Investitionen und in wachsenden Nettoexporten bei Dienstleistungen. Der damit verbundene Einkommenszuwachs und die daraus resultierenden Beschäftigungsimpulse wirken sich nachgelagert auch positiv auf den privaten Konsum aus.

Verrechnungssteuer entscheidend


Das grösste Potenzial verorten wir in einer Reform der Verrechnungssteuer. Zwar ist eine Zuteilung der Reformbeiträge nach Steuerarten nicht immer trennscharf möglich. Werden die ausschliesslich und eher durch die Verrechnungssteuer geprägten Bereiche zusammengenommen, trägt die Abschaffung der Verrechnungssteuer nach unserer Einschätzung rund 1 Prozentpunkt zum Gesamteffekt von 1,4 Prozentpunkten bei (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Gewinn beim BIP-Niveau dank Reform nach Steuerarten




Quelle: BAK Economics / Die Volkswirtschaft


Der verbleibende Wertschöpfungsgewinn von immerhin 0,4 BIP-Prozentpunkten nach zehn Jahren ist grösstenteils der Abschaffung der Umsatzabgabe zuzurechnen. Während der ersten zwei Jahre liegen die zu erwartenden Reformgewinne bei der Umsatzabgabe sogar höher als bei der Verrechnungssteuer (bei Gegenfinanzierung). Vor allem im Depotgeschäft sind nach Abschaffung der Umsatzabgabe bereits kurzfristig nennenswerte Repatriierungen in die Schweiz zu erwarten. Die für die hiesige Wirtschaft wesentlich bedeutsameren positiven Standortwirkungen der Verrechnungssteuer brauchen eine gewisse Zeit, bis sie voll zur Geltung kommen. Hinzu kommt, dass bei der Verrechnungssteuer vor allem ausländische Akteure entlastet werden. Der als Gegenfinanzierungsmassnahme unterstellte Konsumverzicht bei den Bundesausgaben wirkt kurzfristig dämpfend auf das Bruttoinlandprodukt.

Die Abschaffung der Emissionsabgabe bewirkt gemäss unseren Modellrechnungen nur geringe gesamtwirtschaftliche Effekte. Allerdings ist hier zu bedenken, dass die Emissionsabgabe ein grösseres Investitions- und Innovationshemmnis darstellen könnte, als es mit unseren Modellsimulationen abbildbar ist. So profitieren möglicherweise innovative Start-ups davon.

Gemeinden und Kantone profitieren


Für den Bund ist die Reform am Anfang mit Mindereinnahmen von über 3 Milliarden Franken verbunden – dies entspricht knapp 5 Prozent der aktuellen Bundesausgaben (siehe Abbildung 2). Um der Schuldenbremse gerecht zu werden, wurde für die Simulationsrechnung unterstellt, dass der Bund Mindereinnahmen mit einer entsprechenden Reduktion der Konsumausgaben begegnet. Die so gegenfinanzierte Steuerreform zeitigt langfristig positive Effekte auf die gesamten öffentlichen Finanzen. In Relation zum BIP reduziert sich die gesamte Staatsverschuldung im Zeitfenster von zehn Jahren um 1 Prozentpunkt.

Abb. 2: Rückwirkung der Steuerreform auf öffentliche Finanzen




Anmerkung: Abweichung in Mio. Fr. gegenüber dem Basisszenario, Angaben real, bereinigt um Preiseffekte.

Quelle: BAK Economics / Die Volkswirtschaft

In der mittel- bis längerfristigen Perspektive zählen vor allem die Kantone und Gemeinden zu den Gewinnern. Sie profitieren von den höheren realen Steuererträgen. Auf Ebene des Bundes ist die Reform im betrachteten Zeitraum hingegen noch nicht selbstfinanzierend. Allerdings ist auch hier im Zeitablauf infolge der regeren Wirtschaftsdynamik eine klare Verbesserung der Einnahmensituation in Richtung Selbstfinanzierung zu erkennen.

Im Ergebnis unserer Analysen ist eine Reform des gegenwärtigen Systems aus Stempelabgaben und Verrechnungssteuer gesamtwirtschaftlich selbst bei eher verhaltenen Annahmen bezüglich der zu erwartenden realwirtschaftlichen Effekte lohnenswert (siehe Kasten). Gerade im Zusammenspiel mit der aktuellen Reform der Unternehmensbesteuerung würde ein günstiges steuerliches Umfeld für Firmen mit hohem Wachstums- und Innovationspotenzial entstehen.

Schrittweises Vorgehen?


Sollte die weitreichende Steuerreform nicht in einem Zug umsetzbar sein, bieten sich auch eine kleinere Reform oder ein schrittweises Vorgehen an. Diesbezüglich haben wir in einem weiteren Analyseschritt die Auswirkungen eines etappierten Reformvorgehens analysiert. Hierbei werden zunächst Reformschritte unterstellt, welche den Schweizer Fremdkapitalmarkt stärken. Zeitlich um drei Jahre versetzt, erfolgen zusätzliche Reformmassnahmen zur Stärkung des Eigenkapitalmarktes.

Wie sich zeigt, fällt die positive gesamtwirtschaftliche Wirkung des schrittweisen Vorgehens nach zehn Jahren fast genauso hoch aus, wie es bei einer umfassenden und simultan durchgeführten Reform der Fall ist. Zudem bewirkt die Etappierung in den ersten drei Jahren deutlich geringere Einnahmenausfälle des Bundes. Allerdings ist das etappierte Vorgehen temporär mit spürbar geringeren gesamtwirtschaftlichen Effekten verbunden, als es bei gleichzeitig umgesetzten Reformmassnahmen der Fall ist.

  1. BAK Economics (2019). Volkswirtschaftliche Auswirkungen einer Reform der Stempelabgaben und Verrechnungssteuer, Studie im Auftrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung. []

Zitiervorschlag: Bill-Körber, Alexis; Grass, Michael (2020). Reform der Stempelabgaben und der Verrechnungssteuer lohnt sich. Die Volkswirtschaft, 21. April.

Denken in Szenarien

Unsere Modellsimulationen unterliegen einer Reihe von Annahmen hinsichtlich der von einer Reform ausgelösten Primäreffekte. Die Annahmen wurden aus empirisch abgestützten Plausibilitätsüberlegungen sowie Expertengesprächen mit Vertretern verschiedener Finanzmarktinstitutionen und Industrieunternehmen hergeleitet. Gleichwohl bleibt die Unsicherheit bezüglich der zu erwartenden Effekte hoch. Um diesen Unsicherheiten Rechnung zu tragen, hat BAK ergänzend zum Hauptszenario zwei alternative Szenarien berechnet: ein optimistisches und ein pessimistisches Szenario. Bei günstigeren Annahmen ergibt sich im Zeitfenster von zehn Jahren ein zusätzlicher BIP-Gewinn von rund 1 Prozentpunkt (2,5% höheres BIP-Niveau). Im pessimistischeren Szenario ergibt sich im Zeitfenster von zehn Jahren eine reale BIP-Steigerung von 0,7 Prozent.