Rudolf Minsch, Dr. oec. HSG, Chefökonom und Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung, Economiesuisse, Zürich sowie ständiger Gastprofessor an der Fachhochschule Graubünden (FHGR), Chur
Die Corona-Krise ist noch für längere Zeit nicht ausgestanden. Die wirtschaftlichen Schäden sind gewaltig, und die öffentlichen Finanzen, noch bis vor Kurzem sehr solide, werden durch die Krise arg strapaziert. In letzter Zeit erfolgten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und gleichzeitig unterstützende Massnahmen für Unternehmen und deren Mitarbeitende in einem Ausmass, wie es die Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat. Diese Eingriffe drohen aus drei Gründen eine nachhaltige Veränderung mit sich zu bringen.
Erstens erhielten Exekutive und Verwaltung dank der ausserordentlichen Lage eine riesige Machtfülle wie noch nie in Friedenszeiten. Rasch konnten weitreichende Massnahmen beschlossen werden, ohne den mühsamen parlamentarischen Weg zu gehen. Die Machtfülle war in der ausserordentlichen Situation nötig, damit der Staat mit den rasanten Entwicklungen Schritt halten konnte und handlungsfähig blieb. Doch die Exekutive und die Verwaltung werden bei einer sich abzeichnenden Normalisierung der Lage die umfangreichen Entscheidungsbefugnisse wohl nur sehr ungern wieder preisgeben.
Zweitens könnte sich die Krise nachhaltig auf das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen auswirken. In der Krise wurde offenkundig, dass kantonale Alleingänge nicht zweckmässig sind. Es brauchte ein umfangreiches Krisenmanagement des Bundes, bei dem der Bundesrat eine zentrale Führungsrolle beanspruchte. Die Zentralisierung war nötig, um die Epidemie in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig birgt sie eine Gefahr: Unser gut austariertes föderales System könnte sich dahin gehend verändern, dass der Bund auch für Themen, die bisher durch die Kantone und die Gemeinden geregelt worden sind, die Verantwortung tragen möchte.
Rückkehr zur Normalität
Drittens schüttelte die Krise den mehr oder weniger robusten ordnungspolitischen Grundkonsens in der Schweiz gehörig durcheinander. Hier der Staat, welcher die Rahmenbedingungen setzt, dort die Wirtschaft, die das unternehmerische Risiko in guten und schlechten Zeiten selbst trägt. Während der Krise griff der Staat jedoch dirigistisch in die Wirtschaft ein und unterstützte gleichzeitig grosszügig besonders betroffene Kreise. Die Ausnahmesituation droht langfristig problematische Folgen für das Verhältnis von Staat und Wirtschaft zu haben, indem die Verantwortung verstärkt an den Staat abgegeben und der unternehmerische Freiraum der Unternehmen beschränkt werden könnte.
Die Teilung der Macht, der starke Föderalismus und das hohe Mass an unternehmerischer Eigenverantwortung sind wesentliche Erfolgsfaktoren der Schweiz. Diese gilt es nach der Krise so rasch als möglich wieder zu stärken. Insbesondere sind die Notrechtsmassnahmen wieder vollständig abzubauen und allfällige weitere Übergangsmassnahmen rechtzeitig zurückzufahren. Ebenso gilt es zentralistische Tendenzen abzuwehren.
Zitiervorschlag: Minsch, Rudolf (2020). Ändert Corona die Wirtschaftsordnung? Die Volkswirtschaft, 25. Mai.