Barbara Gisi, Direktorin Schweizer Tourismus-Verband, Bern
Naturkatastrophen, Terroranschläge und wirtschaftliche Verwerfungen – allesamt Krisen, unter denen der Schweizer Tourismus im 21. Jahrhundert gelitten hat. Keine war jedoch so einschneidend wie die gegenwärtige.
Vor 9/11 war der Terrorismus für die Touristiker zwar kein Fremdwort, aber erst nach den Anschlägen in den USA verwandelte er sich in ein globales Risiko. So dachte man zumindest. Denn in der Folge liessen diverse Vorfälle in Europa – etwa der Zuganschlag in Madrid oder der U-Bahn-Terror in London – die These aufkommen, dass die Schweiz als eines der sichersten Länder nicht betroffen sein würde, sondern im Gegenteil sogar Gäste willkommen heissen könnte, die nicht mehr in die von Anschlägen betroffenen europäischen Länder reisen wollten. Diese These hat sich nicht bewahrheitet. Insbesondere Gäste und Tour-Operator aus fernen Quellmärkten hatten im Zuge des Verzichts, die betroffenen Länder in ihre Programme aufzunehmen, auch gleich die Schweiz beiseitegelassen.
Auch mit Epidemien sah sich der Tourismus bereits konfrontiert: Nur ein Jahr nach dem Schock von 9/11 brach in Südchina das Sarsvirus aus. Dessen Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme, die Wirtschaft und den Tourismus waren so enorm, dass die internationalen Gesundheitsvorschriften in kürzester Zeit komplett revidiert wurden. Parallel dazu wurde in der Schweiz die Totalrevision des Epidemiengesetzes beschlossen. Im Nachhinein ein Segen, denn dieses hat es dem Bundesrat während der Corona-Krise ermöglicht, speditiv, auf solider gesetzlicher Grundlage und in geregelter Zusammenarbeit mit den Kantonen notwendige Massnahmen zu ergreifen.
Die nächste Baisse aus Sicht des Tourismus folgte 2009 in Form der Finanzkrise, welche die Schweiz doppelt traf: Einerseits kamen weniger Gäste aus Europa infolge gesunkener Kaufkraft, andererseits verteuerte der erstarkte Franken die Hochpreisinsel Schweiz zusätzlich.
Ein Virus als Spielverderber
Trotz dieser Vorkommnisse hielt sich der Schweizer Tourismus wacker und registrierte seit 2009 jährlich steigende Zahlen. Im Jahr 2019 standen wir mit fast 40 Millionen Übernachtungen ganz knapp vor einem Rekord in Sachen Logiernächte. Das Coronavirus machte dem Vorhaben, diese Zahl im laufenden Jahr zu übertreffen, einen Strich durch die Rechnung. Was aktuell geschieht, ist mit bisherigen Krisen nicht vergleichbar.
Die Corona-Krise ist nicht nur drastischer, sondern auch nachhaltiger als alle anderen. Eine der Schwierigkeiten bei der Rückgewinnung von Gästen für die Schweiz könnte eine latente «Asia-Phobie» sein. Diese lag schon vor Corona aufgrund der temporären Häufung asiatischer Gäste an gewissen touristischen Hotspots «in der Luft» und könnte sich aufgrund des Ausbruchsortes des Virus – obwohl nicht gerechtfertigt – akzentuieren.
Vorerst wird man sich in der Schweiz über inländische Gäste freuen, die aus Vorsicht oder aufgrund geschlossener Grenzen Ferien machen. Langfristig werden diese die ausbleibenden Gäste aus den Fernmärkten aber nicht ersetzen können. Ob und allenfalls wann sich das globale Reiseverhalten wieder in die bekannten Muster einfügt, ist unklar und dementsprechend eine enorme Herausforderung für den Schweizer Tourismus.
Zitiervorschlag: Gisi, Barbara (2020). Prägendste Krise der Tourismus-Geschichte. Die Volkswirtschaft, 25. Mai.