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Starker Trend zur Konzentration von Forschungs- und Entwicklungsausgaben

Der Anteil Firmen, die in Innovation investieren, sinkt in der Schweiz schon seit Längerem. Langfristig könnte dies die Wachstumsimpulse aus Forschung und Entwicklung abschwächen. Andere Länder sind hier besser positioniert.
Gerade für Industriefirmen gilt: Wer Impulse setzen will, kann nicht auf Forschung und Entwicklung verzichten. (Bild: Keystone)

In den letzten Jahrzehnten scheint es zunehmend schwieriger geworden zu sein, Innovationen hervorzubringen.[1] Die Unternehmen müssen immer mehr Mittel einsetzen, um erfolgreich neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln zu können. Dieser Trend kann langfristig die Innovationslandschaft eines Landes stark beeinflussen. Vergleicht man die Innovationsleistungen von verschiedenen Ländern, zeigen sich über die Zeit denn auch beträchtliche Unterschiede.

Bei international vergleichenden Innovationsanalysen wie dem Global Innovation Index oder dem European Innovation Scoreboard befindet sich die Schweiz in der Regel in einer Spitzenposition. Dies ist primär auf verschiedene innovationsrelevante Infrastrukturindikatoren zurückzuführen: beispielsweise das allgemeine Humankapital, das sich mit der Dichte an Doktoratsabschlüssen oder als «life-long learning» messen lässt, sowie diverse Patentindikatoren oder die Attraktivität des Hochschulsystems.

Im Gegensatz zu diesen sehr breit gefassten Studien fokussieren wir nur auf jene Innovationsindikatoren, welche die Verbreitung von Forschung und Entwicklung (F&E) im Unternehmenssektor sowie die dafür aufgewendeten Ressourcen messen. Die verschiedenen innovationsrelevanten Infrastrukturindikatoren werden in unserer Analyse explizit nicht berücksichtigt (siehe Kasten).

Dabei zeigt sich Erstaunliches: Die permanent guten Werte der Schweiz bei den Infrastrukturindikatoren widerspiegeln sich nicht zwingend in den Innovationsanstrengungen der Unternehmen. So sinkt etwa der Anteil Unternehmen mit F&E-Aktivitäten in der Schweiz deutlich. Demnach ist eine sehr gut ausgebaute, innovationsrelevante Infrastruktur eine notwendige, jedoch keineswegs eine hinreichende Bedingung für nachhaltige Innovationsanstrengungen von Unternehmen.

Neue Impulse setzen kostet


Von F&E-Aktivitäten spricht man bei angewandter Forschung mit direktem Bezug zu spezifischen Einsatzmöglichkeiten oder wenn bekannte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung von neuen Produkten und Verfahren genutzt werden. Typische Beispiele sind etwa die Herstellung neuartiger Medikamente, Maschinen oder elektronischer Instrumente. Der Einsatz von F&E ist in der Industrie deutlich häufiger verbreitet als im Dienstleistungssektor.

Zudem sind solche Aktivitäten üblicherweise teuer und riskant. Ein positiver Ertrag aus den Mitteln, die aufgewendet werden müssen, ist nicht garantiert. Angesichts der steigenden Anforderungen für die Entwicklung von technischen Neuerungen kann es für Unternehmen durchaus Sinn machen, zuerst abzuwarten und erst dann dem Pfad der jeweiligen Marktführer zu folgen. Für Unternehmen, die neue Impulse setzen wollen, führt jedoch kein Weg an der eigenständigen Entwicklung von Innovationen und daher an Investitionen in F&E vorbei.

In diesem Artikel messen wir die Verbreitung der F&E-Aktivitäten von Unternehmen über drei verschiedene Indikatoren: den Anteil Unternehmen mit F&E-Aktivitäten gemessen an allen Unternehmen, den Anteil der gesamten F&E-Ausgaben am Umsatz aller Unternehmen sowie den Anteil der innovativen Unternehmen, welche F&E-Kooperationen mit Hochschulen eingehen.

Tendenz zur Konvergenz


Der Anteil Unternehmen mit F&E-Aktivitäten hat sich über die letzten Jahre international etwas angeglichen (siehe Abbildung 1). Einerseits weil sich in den einst führenden Ländern Schweiz und Deutschland die Anteile verringert haben, andererseits weil in Österreich, Frankreich und teilweise auch in Italien die Anteile steigen. Einen besonders starken Anstieg verzeichnen die Niederlande, welche hinter Finnland auf dem zweiten Platz liegen. Mehr oder weniger unverändert bleibt Schweden, dessen Anteil weiterhin konstant hoch ist. Der beobachtbaren Konvergenz entzieht sich nur Finnland: Dort ist es gelungen, den Vorsprung sogar noch weiter auszubauen.

Abb. 1: Anteil Unternehmen mit Forschung und Entwicklung nach Ländern (2002–2016)




Quelle: Eurostat, KOF / Die Volkswirtschaft

Schweiz: Wenige Firmen investieren viel


Bei den gesamten F&E-Ausgaben als Anteil am Umsatz aller Unternehmen zeigen sich ebenfalls unterschiedliche Entwicklungen (siehe Abbildung 2). Während Schweden die Anteile über den gesamten Untersuchungszeitraum konstant auf hohem Niveau halten konnte, konnten Unternehmen in Deutschland, Österreich und vor allem in der Schweiz ihre F&E-Ausgaben im Vergleich zum Umsatz deutlich erhöhen. In Finnland und in Frankreich haben sich die Anteile von einem ehemals relativ hohen Niveau tendenziell verringert. Lediglich Italien zeigt auf niedrigem Niveau nur geringe Veränderungen über die Zeit.

Abb. 2: F&E-Ausgaben als Anteil des Umsatzes nach Ländern (2002–2016)




Quelle: Eurostat, KOF / Die Volkswirtschaft

Die beiden Indikatoren aus Abbildung 1 und 2 zeigen kontrastierende Muster: Zum einen beobachten wir eine Gruppe von Ländern, wo der Anteil der F&E-aktiven Unternehmen abnimmt, während gleichzeitig der Umsatzanteil der F&E-Ausgaben zunimmt. Das bedeutet, dass sich die steigenden F&E-Anstrengungen zunehmend auf eine geringere Zahl von Unternehmen konzentrieren. Diese Entwicklung sehen wir in Deutschland und vor allem in der Schweiz.

Genau umgekehrt ist es in Ländern wie Finnland oder Frankreich. Dort nimmt der Anteil der F&E-aktiven Unternehmen zu, der durchschnittliche Umsatzanteil der F&E-Ausgaben nimmt jedoch ab. Mit anderen Worten: Die F&E-Anstrengungen haben sich auf eine grössere Anzahl Unternehmen verteilt.

Ein drittes Muster zeigt sich in Österreich und bis 2012 auch in den Niederlanden: Dort nimmt sowohl der Anteil F&E-aktiver Unternehmen als auch der Umsatzanteil der F&E-Ausgaben zu. Einzig in Schweden bleibt die Situation auf konstant hohem Niveau: und zwar beim Anteil F&E-aktiver Unternehmen wie auch beim F&E-Umsatzanteil.

Gemessen am Anteil der F&E-aktiven Unternehmen hat die Schweiz ihre Spitzenposition, welche sie noch um das Jahr 2000 innehatte, also verloren. Momentan befindet sie sich im Mittelfeld der europäischen Vergleichsländer. Allerdings hat sich der Umsatzanteil der F&E-Ausgaben in der Schweiz stark erhöht, aktuell liegt die Schweiz damit knapp vor Österreich auf Platz zwei, jedoch deutlich hinter Schweden. Auch hier gleichen sich die Schweiz und Deutschland: Beide Länder büssten ihre früheren Spitzenplätze beim Anteil der F&E-aktiven Unternehmen ein, konnten ihre F&E-Ausgaben jedoch erhöhen.

Mehr Kooperationen mit Hochschulen


Hohe technische Ansprüche bei der Entwicklung von Innovationen kann es für Unternehmen attraktiv machen, sich das notwendige Know-how vermehrt über Forschungskooperationen mit Hochschulen einzuholen. So auch in der Schweiz: Hierzulande hat sich der Anteil innovativer Unternehmen mit solchen F&E-Kooperationen deutlich erhöht. Nur Österreich verzeichnet einen stärkeren Anstieg (siehe Abbildung 3). Die Zusammenarbeit mit Hochschulen kann sich positiv auf das Unternehmenswachstum auswirken. So zeigt sich etwa, dass Unternehmen, die Kooperationen mit Hochschulen eingehen, deutlich höhere Umsätze mit Marktneuheiten generieren.[2] Somit sind Hochschulen ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität eines Forschungsstandortes. Sie helfen F&E-treibenden Unternehmen, ihre starke Stellung im globalen Innovationsmarkt zu halten.

Abb. 3: Veränderung F&E-Kooperationen/Innovationskooperationen mit Universitäten und Fachhochschulen (2002–2016)




Quelle: Eurostat, KOF / Die Volkswirtschaft
Die Zahlen für die Schweiz beziehen sich auf F&E-Kooperationen, die Zahlen für die europäischen Vergleichsländer betreffen Innovationskooperationen, welche auch Zusammenarbeiten im Innovationsbereich über andere Kanäle als F&E-Kooperation einschliessen.

Ursachen unbekannt


Die genauen Ursachen für den sinkenden Anteil F&E-aktiver Unternehmen in der Schweizer Wirtschaft sind momentan noch nicht bekannt. In den bisherigen Innovationsumfragen der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich wurden allerdings regelmässig «hohe Kosten», «lange Amortisationsdauer» und «leichte Kopierbarkeit» als die wichtigsten Innovationshemmnisse genannt. Diese haben im Zeitablauf jedoch nicht speziell an Bedeutung gewonnen.

Um die effektiven Gründe für den Rückgang der F&E-aktiven Unternehmen und die Konzentration der F&E-Aktivitäten im Detail zu untersuchen, hat die KOF im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ein entsprechendes Forschungsprojekt gestartet. Erste Resultate sollten gegen Ende 2020 verfügbar sein. Die weitere Entwicklung der F&E-Landschaft sollte von der Politik unbedingt im Auge behalten werden. Denn innovative Produkte und Dienstleistungen, welche über F&E entwickelt wurden, wirken sich positiver auf das Umsatzwachstum aus.[3] Der Rückgang des Anteils der F&E-aktiven Unternehmen in der Schweiz und Deutschland könnte daher zur Folge haben, dass innovationsbedingte Wachstumsimpulse dort künftig schwächer ausfallen als in Ländern mit einer positiveren Innovationsdynamik wie beispielsweise den Niederlanden oder in Finnland.

  1. Bloom et al. (2017). []
  2. Siehe Arvanitis et al. (2008). []
  3. Siehe Spescha und Woerter (2019). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Martin Wörter, Andrin Spescha, (2020). Starker Trend zur Konzentration von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Die Volkswirtschaft, 22. Mai.

Datengrundlage

Die Daten über die europäischen Länder stammen aus der Datenbank des statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat). Diese werden seit 2004 über den Community Innovation Survey (CIS) erhoben. Die Daten für die Schweiz werden von der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im Rahmen von Innovationsumfragen erhoben. Die Basis in allen gezeigten Grafiken sind alle Unternehmen eines Landes, welche gemäss Eurostat in den innovationsrelevanten Branchen aktiv sind. Es werden dabei nur Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten berücksichtigt. Die Referenzzeiträume für die Schweiz weichen in den ersten vier Beobachtungszeiträumen leicht von den übrigen Ländern ab: nämlich 2000–2002, 2003–2005, 2006–2008, 2009–2011. Für detailliertere methodische Informationen zur Schweiz siehe Spescha und Wörter (2018).