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Abbau des internationalen Steuerwettbewerbs nach Schweizer Vorbild

Die Unternehmenssteuerpolitik der Schweiz steht international unter Druck. Dabei folgt die internationale Tendenz zur Steuerharmonisierung im Grunde dem Schweizer Vorbild.
Der Kanton Zug hat schweizweit die zweittiefsten Gewinnsteuern. Roche-Tower in Rotkreuz. (Bild: Keystone)

Tiefe Unternehmenssteuern sind ein zentraler Standortvorteil der Schweiz im globalen Wettbewerb. Bis zur Reform der Gewinnbesteuerung, die das Stimmvolk mit dem Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (Staf) im Jahr 2019 angenommen hat, gehörte die Schweiz insbesondere für privilegiert besteuerte Unternehmen international zu den steuergünstigsten Standorten. Der Wegfall dieser Privilegien ab Anfang 2020 wurde kompensiert durch ein neues Privileg für Lizenzgewinne, vor allem aber durch markant gesenkte kantonale Steuersätze.

Damit konnte die Schweiz ihre Standortattraktivität vorerst gut verteidigen. Doch werden Steuern als zentraler Standortvorteil der Schweiz auch in Zukunft Bestand haben? Ein Blick auf den Umgang der Schweiz mit dem inländischen Steuerwettbewerb lässt vermuten, dass die Bedeutung tiefer Steuern auch im globalen Standortwettbewerb sinken wird.

Schweizer Steuerpolitik kritisiert


Aus Sicht vieler Länder stellen die tiefen Unternehmenssteuern der Schweiz ein Problem dar. Die Schweiz gilt zusammen mit Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Singapur, Puerto Rico und Hongkong als Steueroase. Dank tiefer Unternehmenssteuern lassen sich viele multinationale Konzerne in der Schweiz nieder und versteuern ihre globalen Gewinne hier. Es wird vermutet, dass ein grosser Teil dieser günstig versteuerten Gewinne nicht durch echte Wertschöpfung vor Ort entstand, sondern durch Gewinnverschiebungen mittels manipulierter konzerninterner Transferpreise, Kreditzinsen oder Lizenzgebühren für geistiges Eigentum.[1]

Solche Gewinnverschiebungen in Steueroasen erodieren die Steuerbasis sowohl in den grossen Industrieländern wie auch in den Entwicklungsländern. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) starteten deshalb 2013 die gemeinsame Initiative «Base Erosion and Profit Shifting Project» (Beps), um die aus ihrer Sicht schädlichen Praktiken mittels 15 Massnahmenpaketen einzudämmen. Der Druck auf die Schweiz zur Aufhebung der kantonalen Steuerprivilegien ist eine direkte Folge dieser internationalen Initiative.

Seit der Gründung der Schweiz als föderalistisch organisierter Bundesstaat geniessen die Kantone und Gemeinden weitgehende Autonomie bei der Erhebung ihrer Steuern. Diese fiskalische Autonomie führte zu grossen Unterschieden bei der Steuerbelastung wie auch beim Steuersubstrat innerhalb der Schweiz. Die Schweiz hat jedoch wirksame Instrumente entwickelt, um die schädlichen Aspekte des Steuerwettbewerbs zu bändigen.

Kantonaler Steuerwettbewerb


Die Schweiz gehört zu den Ländern mit der am stärksten dezentralisierten Steuerpolitik. Etwa 40 Prozent des gesamten Steuerertrags entstehen bei Kantonen und Gemeinden.[2] Nur in Kanada mit seinen zehn Provinzen ist dieser Wert höher. Die Schweiz ist auch das Land mit der grössten faktischen Autonomie der Teilstaaten bei der Festlegung von Steuersätzen und Freibeträgen.[3]

Diese Dezentralisierung führt zu grossen Unterschieden bei der Steuerbelastung: 2018 war die Gewinnsteuer in Basel-Stadt mit 25,6 Prozent rund doppelt so hoch wie in Nidwalden mit 12,7 Prozent (siehe Abbildung 1). Noch deutlicher sind die Unterschiede beim Steuersubstrat: 2016 betrugen die versteuerten Gewinne pro Einwohner im Wallis 3800 Franken, im Kanton Zug 104’000 Franken – d. h., sie waren rund 27-mal grösser (siehe Abbildung 2).

Abb. 1: Gewinnsteuern nach Kantonen (2018)




Anmerkung: Die Abbildung zeigt Reingewinn- und Kapitalbelastung (in Prozent des Gewinns vor Abzug der bezahlten Steuern) durch Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern sowie die direkte Bundessteuer im Kantonshauptort für eine ordentlich besteuerte Aktiengesellschaft mit 2 Mio. Kapital und 8% Rendite.

Quelle: ESTV (2019a) / Die Volkswirtschaft

Abb. 2: Versteuerte Gewinne pro Einwohner, nach Kantonen (2016)




Anmerkung: Die Abbildung zeigt versteuerte Reingewinne (nach Abzug der bezahlten Steuern) berechnet aus den Erträgen der direkten Bundessteuer mit einem Steuersatz von 8,5%.

Quelle: ESTV (2019b) / Die Volkswirtschaft

Eingeschränkter Steuerwettbewerb der Kantone


Trotz grosser Autonomie der Kantone und Gemeinden bei der Festsetzung der lokalen Steuerbelastung wird der Steuerwettbewerb in der Schweiz heute mit griffigen Instrumenten eingeschränkt. Es ist davon auszugehen, dass die Unterschiede in der Steuerbelastung in den Kantonen und Gemeinden ohne diese Leitplanken deutlich ausgeprägter wären.

Eines dieser Instrumente ist die formelle Steuerharmonisierung. Seit 1990 definiert das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) die Steuerbasis in der Schweiz und legt die Grundsätze fest, nach denen die kantonale Gesetzgebung zu gestalten ist. Für die einheitliche Umsetzung des StHG sorgen die sogenannten Kreis- und Rundschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Das StHG beschränkt die Möglichkeit, die Steuerlast spezifisch für Unternehmen zu senken, die besonders stark auf die Steuerbelastung reagieren.[4] Die Kantone und Gemeinden können damit nur über den Steuertarif (Steuersätze und Abzüge) in Wettbewerb miteinander treten. Die formelle Steuerharmonisierung verringert damit den Anreiz für Kantone und Gemeinden, Steuern zu senken, und vermindert so den Steuerwettbewerb.

Seit 2008 verfügt die Schweiz über einen starken Finanzausgleich zwischen den Kantonen (NFA); auch dieser mindert den Wettbewerb. Im Jahr 2020 werden die 7 finanzstärksten Kantone (ZH, SZ, OW, NW, ZG, BS, GE) den 19 finanzschwachen Kantonen im Rahmen des horizontalen Ressourcenausgleichs gesamthaft 1,7 Milliarden Franken überweisen.[5] Der Ressourcenausgleich macht Steuersenkungen für finanzstarke und finanzschwache Kantone weniger attraktiv und vermindert somit den Steuerwettbewerb.[6]

Ein weiteres Instrument ist die formelbasierte Ertragsaufteilung: Gewinne von schweizweit tätigen Unternehmen werden in allen Kantonen besteuert, in denen das Unternehmen tätig ist. Diese sogenannte Steuerausscheidung ist nicht im Steuergesetz geregelt, sondern beruht auf der Rechtsprechung des Bundesgerichts und auf den Präzisierungen der Kreisschreiben der Schweizerischen Steuerkonferenz. Die Unternehmensgewinne werden aufgrund objektiver branchenspezifischer Kriterien (Hilfsfaktoren) wie etwa Umsatz, Löhne und kapitalisierter Mietzinse auf die Kantone aufgeteilt. Dadurch verliert der Steuersatz am Sitz des Unternehmens seine Bedeutung, und der Steuerwettbewerb wird gedämpft.

Die Schweiz kennt im Prinzip keinen landesweiten Mindestsatz für kantonale Steuersätze. Die Kantone erhalten jedoch für die Erhebung der direkten Bundessteuer (DBSt) auf Unternehmensgewinne und Haushaltseinkommen einen Anteil von 21,2 Prozent an den im Kanton entstandenen Erträgen der DBSt.[7] Der Kantonsanteil der DBSt wirkt sich aus wie eine kantonale Steuer: Er wächst mit dem kantonalen Steuersubstrat und fliesst ganz dem Kanton zu. Der Kantonsanteil setzt damit faktisch einen kantonalen Mindeststeuertarif auf Gewinne und Einkommen. Da die direkte Bundessteuer auf Unternehmensgewinne zurzeit 8,5 Prozent beträgt, resultiert daraus ein kantonaler Gewinnsteuersatz von 1,8 Prozent. Auch ein solcher Mindeststeuersatz verringert den Steuerwettbewerb, da ein sogenanntes Race to the Bottom damit ausgeschlossen wird.

Letztlich schränkte auch die zunehmende Zentralisierung den Wettbewerb unter den Kantonen ein. Im 20. Jahrhundert wurden dem Bund immer mehr Aufgaben übertragen, entsprechend stiegen auch die direkten und indirekten Bundessteuern. Mit der Kriegssteuer von 1915 bis 1940, der Wehrsteuer und der Warenumsatzsteuer ab 1941, der direkten Bundessteuer ab 1982 sowie der Mehrwertsteuer ab 1995 wurden die steuerlichen Kompetenzen des Bundes stetig ausgebaut. Die vom Bund erhobenen Steuereinnahmen werden allerdings nicht nur für Aufgaben des Bundes verwendet, sondern zum Teil an die Kantone verteilt. So stammen fast 3,5 Milliarden Franken im Rahmen des NFA 2020 aus der Bundeskasse. Alle diese Zentralisierungsschritte führten zu einer geringeren Bedeutung der lokalen Steuereinnahmen und damit zu einer Dämpfung des Steuerwettbewerbs.

Schweiz als globales Vorbild?


Die wettbewerbsbeschränkenden Massnahmen, welche die OECD und die G20 in der Beps-Initiative vorschlagen, folgen den Instrumenten, die die Schweiz schon seit Jahrzehnten anwendet. So zielt zum Beispiel die Beps-Massnahme 5 auf internationale Steuerpraktiken ab, die aus Sicht der OECD und der G20 den Steuerwettbewerb auf schädliche Weise befeuern. Im Fokus stehen insbesondere als unfair empfundene Ermässigungen für multinationale Konzerne. Die Massnahme hat somit die gleiche Zielsetzung wie das Steuerharmonisierungsgesetz in der Schweiz. Sie ist auch der Auslöser dafür, dass die Schweizer Steuerprivilegien unter Druck gerieten und 2019 im Rahmen der Staf abgeschafft wurden.

Bis heute existiert kein supranationaler Finanzausgleich, der wie der Schweizer NFA Mittel von finanzstarken an finanzschwache Länder umverteilt. Der mit 63,4 Milliarden Euro dotierte Kohäsionsfonds der Europäischen Kommission hat jedoch eine ähnliche Stossrichtung, da nur Länder mit einem Bruttosozialprodukt von weniger als 90 Prozent des EU-Durchschnitts unterstützt werden. Die Schweiz zahlte zwischen 2007 und 2017 selber einen Erweiterungsbeitrag von 1,3 Milliarden Franken und unterstützte so «auf ihre Weise» das EU-Ziel, die wirtschaftliche und soziale Kohäsion zu stärken. Seit der Finanzkrise von 2007 wird in der Europäischen Union die Einführung eines echten Finanzausgleichs diskutiert. Im Zuge der Corona-Krise erhielt diese Diskussion neuen Auftrieb.

Anfang 2019 schlugen OECD und G20 im Rahmen der Beps-Massnahme 1 vor, einen Teil des Gewinns multinationaler Konzerne neu nach Umsatz auf die Länder des Absatzmarktes aufzuteilen. Dieser «Pillar One» genannte Vorschlag ist eine formelbasierte Ertragsaufteilung ähnlich der Steuerausscheidung zwischen den Kantonen.[8] Er zielte ursprünglich auf die Digitalindustrie (Suchmaschinen, soziale Medien, Online-Marktplätze, Cloud-Dienste etc..), wurde in der Zwischenzeit aber auf sogenannte Consumer-Facing Businesses ausgeweitet. Genannt werden z. B. Händler von Automobilen oder von Markenartikeln in der Elektronik-, der Luxus-, der Textil- und der Nahrungsmittelindustrie.[9] Dem neuen Regime sollen jedoch nur multinationale Konzerne mit grossem Umsatz (über 750 Mio. Euro) unterstellt werden. Die über 135 Länder des sogenannten Inclusive Framework der OECD/G20 beabsichtigen, bis Ende 2020 einen Konsens zu erreichen. Eine solche Reform würde die Schweiz mit ihren vielen international tätigen Unternehmen schwer treffen. Das Finanzdepartement geht von jährlichen Einbussen zwischen 1 und 5 Milliarden Franken aus.[10] Schwerwiegender als die direkten finanziellen Verluste wäre aber der Wegzug von multinationalen Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze.

In einem zweiten Teil («Pillar Two») der gleichen Massnahme schlagen OECD und G20 zudem eine internationale Mindestbesteuerung von multinationalen Konzernen vor. Ein solcher Mindestsatz, der deutlich über den aktuellen Steuersätzen der Tiefsteuerländer läge, würde auch die Schweiz betreffen und ihren steuerlichen Standortvorteil schmälern. Es ist allerdings unklar, ob sich die mehr als 135 Länder des Inclusive Framework auf einen verbindlichen Mindestsatz einigen können.

Eine globale Zentralisierung von Steuerkompetenzen ist bestimmt kein Szenario der näheren Zukunft. Es ist jedoch denkbar, dass sich die Europäische Union auf direkte europäische Steuern einigen könnte. Kurz- und mittelfristig ist in dieser Hinsicht jedoch kein Druck auf die Schweiz zu erwarten.

Andere Vorteile pflegen


Die Schweiz hat seit der Gründung des Bundesstaates den Steuerwettbewerb laufend mit wirksamen Instrumenten eingeschränkt. Die Bestrebungen der internationalen Gemeinschaft zur Regulierung des globalen Steuerwettbewerbs folgen dieser Entwicklung. Es ist deshalb zu erwarten, dass diese Bestrebungen zunehmen und den internationalen Steuerwettbewerb nachhaltig schwächen werden.

Die Schweiz wird immer weniger auf tiefe Steuern als zentralen Standortvorteil bauen können. Damit werden andere Standortfaktoren wie Unternehmergeist, gut ausgebildete Fachkräfte, universitäre Spitzenforschung, bürgernahe Politik und eine vielfältige Kulturlandschaft an Bedeutung gewinnen. Diese Stärken müssen noch mehr als bisher gepflegt werden.

  1. Siehe Tørsløv, Wier und Zucman (2020). []
  2. Siehe OECD, Fiscal Decentralisation Database[]
  3. Siehe Brülhart, Bucovetsky und Schmidheiny (2014). []
  4. Die Auslandgewinne internationaler Konzerne in der Schweiz sind gemäss Schätzungen von Martin Daepp und David Staubli etwa siebenmal steuerempfindlicher als die Gewinne von inländischen Unternehmen. Siehe ESTV (2018). []
  5. Mehr Informationen auf EFV.admin.ch. []
  6. Vor der Reform des Nationalen Finanzausgleichs im Rahmen der Staf von 2019 konnte es sogar vorkommen, dass einem Kanton von jedem zusätzlichen Steuerfranken mehr als ein Franken via NFA wieder verloren ging. Siehe Schaltegger und Leisibach (2019). []
  7. Bis Ende 2019 betrug der Kantonsanteil noch 17 Prozent. Und der kantonale Gewinnsteuersatz 1,4 Prozent. []
  8. Die Ähnlichkeit geht so weit, dass «Amount C» in den Vorschlägen der OECD/G20 an das Präzipuum (ein spezieller Gewinnanteil für den Hauptsitzkanton) der Schweizer Steuerausscheidung erinnert. []
  9. Siehe OECD/G20 (2020). []
  10. Siehe NZZ (2019). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Kurt Schmidheiny (2020). Abbau des internationalen Steuerwettbewerbs nach Schweizer Vorbild. Die Volkswirtschaft, 16. Juni.