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Gesundheitsvorsorge: Von der Natur lernen

Die Prävention fristet in der Gesundheitspolitik ein Schattendasein. Das kommt uns teuer zu stehen.

Gesundheitsvorsorge: Von der Natur lernen

Ein gesunder Lebensstil entlastet das Gesundheitswesen. Laufgruppe bei Winterthur. (Bild: Keystone)

Das Frühjahr 2020 wird als Corona-Frühling in die Geschichte eingehen: Die Pandemie, vor der die Experten schon viele Jahre gewarnt hatten, brach tatsächlich über die ganze Welt herein. Mit gravierenden Folgen für die Gesundheit, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft.

Post Corona wird die Welt eine andere sein. Das gilt wohl nirgends so sehr wie im Gesundheitsbereich. Die Politik ist auf allen Ebenen gefordert. Nun herrscht plötzlich Ungewissheit – nicht nur was den Terminkalender von Bundesrat und Parlament angeht, sondern auch was die Inhalte betrifft. Dazu gehört nicht zuletzt die Frage, ob Kostendämpfung noch der richtige Fokus ist.

Ein ausschliesslich kostengünstiges Gesundheitssystem ist kein gesundes Ziel. Was wir brauchen, sind Effizienz und Leistungsfähigkeit. Mit jedem investierten Franken sollte möglichst viel Wirkung erzielt werden. Dafür braucht es eine langfristige Perspektive. Zudem muss unser Gesundheitssystem für neue Gefahren gewappnet sein. Erst recht, wenn wir diese schon heute deutlich am Horizont erkennen.

Daher sollte es in der künftigen Gesundheitspolitik nicht nur um Krankheiten gehen. Also nicht nur ums Heilen, sondern auch ums Gesundbleiben. Den Spruch «Vorsorgen ist besser als heilen» kennt jeder. Aber wenn wir den Expertenbericht zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung anschauen, dann finden wir zu diesem Thema fast nichts. Es wird einzig erwähnt, Gesundheitsförderung wirke indirekt. Eine indirekte Wirkung muss jedoch keineswegs unbedeutend sein. Das macht uns die Natur vor.

Der richtige Nährboden


Wissen Sie, was Rhizobien sind? Das sind wachstumsfördernde «Knöllchenbakterien» im Wurzelgeflecht von bestimmten Pflanzen. Klee wächst dank Rhizobien schnell und fast überall. Deshalb setzt man ihn in der Landwirtschaft als Gründüngung ein, damit andere Pflanzen, die danach auf dem Boden angesät werden, bessere Bedingungen vorfinden. Denn auf einem gesunden Boden wächst alles besser. Also eine indirekte Wirkweise, die mit kleinem Aufwand unglaublich grosse Wirkung entfaltet.

Und genau das sollte unsere Vorgehensweise in der Gesundheitspolitik sein: einen Boden vorbereiten, der über viele Nährstoffe verfügt und so ein blühendes Ökosystem hervorbringt, das wächst und gedeiht und dabei widerstandsfähig gegen Krankheiten bleibt.

Auf Prävention setzen


Gerade die Covid-19-Pandemie zeigt, wie wichtig der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung ist. Viele Menschen – darunter auch viele unter 65-Jährige – leiden an chronischen, nicht übertragbaren Krankheiten. Die Ursachen dieser Krankheiten liegen nicht zuletzt auch in unserem Lebensstil.

Das heisst, wir können etwas dagegen tun, damit diese Krankheiten gar nicht erst entstehen oder die Auswirkungen gemildert werden. Der Schlüssel dazu heisst Gesundheitsförderung und Prävention. Wenn es um Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen geht, dann liegt hier wohl eines der grössten Potenziale. Die Niederlande investieren 5,5 Prozent ihrer Gesundheitskosten in Prävention. In der Schweiz sind es lediglich 2,1 Prozent – womit sie unter dem OECD-Schnitt von 2,7 Prozent liegt. Wenn wir hingegen weiterhin mit Scheuklappen nur versuchen, die Kosten zu dämpfen, werden wir am Ende kein leistungsfähigeres Gesundheitssystem haben.

Dabei gilt es zu präzisieren: Prävention und Gesundheitsförderung sind nicht per se effizient, sie müssen auch effizient betrieben werden. Dafür braucht es Know-how und professionelle Strukturen. So werden Innovationen ermöglicht. Zudem verbessert sich die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren, und die Effizienz wird dank regelmässiger Evaluation optimiert. Das sind seit je die Hauptaufgaben von Gesundheitsförderung Schweiz (siehe Kasten). Wir sind eine wichtige Schaltzentrale eines ausbaufähigen Systems, in dem sich Kantone, Gemeinden, Leistungserbringer, Versicherer sowie Nichtregierungsorganisationen und Non-Profit-Organisationen gemeinsam für dasselbe Ziel einsetzen: mehr Gesundheit für mehr Menschen.

Föderalismus als Chance


Besonders wichtig ist dabei das Zusammenwirken der Kantone. In unserem Land wird vieles zuerst im Kleinen ausgiebig getestet und kritisch durchleuchtet. Dies mit vergleichsweise grossem Aufwand. Der stark verwurzelte Föderalismus und die Mehrsprachigkeit machen es dabei nicht immer einfach, gute Projekte flächendeckend auszurollen. Doch wenn alle Akteure mitwirken, können diese vermeintlichen Nachteile in Vorteile umgewandelt werden. Sobald wir sehen, was tatsächlich wirkt, können wir es auch guten Gewissens gemeinsam weiterführen, optimieren und verankern. Die Covid-19-Pandemie hat uns wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist, eine gesunde Balance zu finden – zwischen zentraler Steuerung und föderalistischer Selbstbestimmung.

Jedoch kann auch das beste System aus eigener Kraft nicht viel erreichen. Vielmehr ist es auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Deshalb geht es bei Gesundheitsförderung und Prävention keineswegs um Bevormundung. Das Ziel der Bemühungen ist, die gesunden Kräfte in der Bevölkerung zu mobilisieren. Mit Anreizen und Unterstützung kann die Eigenverantwortung gefördert werden. Auch dies führt uns die Pandemie mit aller Deutlichkeit vor Augen: Ohne Eigenverantwortung geht in unserer liberalen Gesellschaft gar nichts. Und das ist auch gut so.

Künftig sollten wir die Mittel da einsetzen, wo langfristig die beste Wirkung erzielt wird. Die Vernachlässigung von Gesundheitsförderung und Prävention können wir uns nicht mehr leisten.

Zitiervorschlag: Thomas Mattig (2020). Gesundheitsvorsorge: Von der Natur lernen. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.

Für eine gesündere Schweiz

Gesundheitsförderung Schweiz ist eine privatrechtliche Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu verbessern. Zusammen mit den Kantonen setzt Gesundheitsförderung Schweiz kantonale Aktionsprogramme zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten, die beispielsweise durch Bewegungsmangel verursacht werden, um und multipliziert sie durch die Mitfinanzierung von bis zu 50 Prozent. Weiter fördert die Stiftung die psychische Gesundheit in Unternehmen (betriebliches Gesundheitsmanagement). Zudem setzt sie auf Pilotprojekte im kurativen Bereich, die konkreten Innovationen zum Durchbruch verhelfen sollen. Ein wesentliches Ziel ist es, die Menschen zu informieren, zu befähigen und zu motivieren, die eigene Lebensweise gesund zu gestalten.