Würde ich wieder Volkswirtschaftslehre studieren? Diese Frage beschäftigt mich mehr als auch schon. Das liegt einerseits daran, dass Covid-19 uns Volkswirten wieder einmal deutlich die Grenzen unseres Tuns und Könnens aufgezeigt hat. Andererseits musste ich in all den Jahren meiner Tätigkeit immer wieder feststellen, dass unser Job leider meist auf Prognosen reduziert wird – und da sehen wir nicht gut aus. Tatsächlich kann niemand die Zukunft, nicht einmal die nähere, exakt voraussehen, und doch ist das Prognosegeschäft eine meiner Haupttätigkeiten. Das ist weniger ein Angebots-, sondern mehr ein Nachfragephänomen. Menschen haben Unsicherheit nicht gern und suchen dann nach Orientierungshilfen. Und Prognosen versprechen zumindest solche.
Während meines Studiums an der Universität Konstanz, einer sogenannten Eliteuniversität, die Wert auf eine solide Mathematikausbildung legt, glaubte ich noch fest daran, dass es mit komplexen Modellen und Methoden möglich sein würde, sehr gute Punktprognosen der Zukunft zu liefern. Die Modelle, die wir pauken mussten, waren dermassen komplex, dass es kaum möglich war, einem Laien zu erläutern, wie die Ergebnisse zustande kommen. Doch ich glaubte damals allen Ernstes, dass ich als ausgebildeter Ökonom mit dem mir vermittelten Rüstzeug irgendwann mal in der Lage sein würde, das ultimative Makromodell zu bauen, das alle anderen prognostisch aussticht. Ich war nicht der Einzige, der das dachte damals.
Die Praxis lehrte mich das Gegenteil. Es gibt eigentlich kein besseres oder schlechteres Modell. Denn wer in einem vermeintlich schlechteren Modell die besseren Annahmen trifft, wird am Ende vielleicht genauere Ergebnisse erzielen als jemand mit einem noch so tollen Modell, das mit den falschen Vorgaben gefüttert wird. Statistiker sprechen im letzteren Fall scherzhaft von «Garbage in, Garbage out» – was für ökonometrische Modelle voll zutrifft. Will ich beispielsweise das BIP des Jahres 2021 modellbasiert prognostizieren, dann muss ich das Modell mit Werten füttern, die ebenso in der Zukunft liegen, zum Beispiel der Inflationsrate oder der Zinskurve. Was das heisst, kann sich jeder denken. Wir nennen das dann «Prognoserisiko» oder unschöner ausgedrückt «Prognosefehler».
Eine weitere Illusion, die ich verloren habe, ist, dass man nur genug Daten braucht, um ein sauberes Modell zu erhalten. Mit Daten meinen wir im Research Zeitreihen, also möglichst viele Beobachtungen über einen möglichst langen Zeitraum. Problematisch ist nicht die fehlende Anzahl Daten, sondern deren Qualität. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist eine Übung, die so lange dauert, bis sie abgeschlossen ist, dass sich dann kaum mehr jemand dafür interessiert. Für Modellierungen ist man daher auf offizielle BIP-Quartalsschätzungen angewiesen, welche aber alle drei Monate Revisionen unterzogen werden, die auch schon mal mit einem Vorzeichenwechsel einhergingen. Trotzdem: Ich würde wieder VWL studieren, denn das Studium schafft eine breite Grundlage für noch so viele Berufsfelder. Nur den Modellen würde ich weniger Beachtung schenken.