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Wege zu einem emissionsarmen Energiesystem

Derzeit erstellt das Bundesamt für Energie Szenarien für die Schweiz im Jahr 2050. Damit die Klimaziele erreicht werden, muss das Energiesystem umgebaut werden.
Schwimmende Solarpanels im Lac des Toules, Wallis. (Bild: Keystone)

Wie viel Energie wird in der Schweiz im Jahr 2050 benötigt – und in welcher Form? Wie verteilt sich der Energieverbrauch in Zukunft auf Haushalte, Verkehr, Dienstleistung und Industrie? Und wie muss das Schweizer Energiesystem umgebaut werden, um die Energieversorgung auch künftig sicherzustellen und gleichzeitig die Klimaziele 2050 zu erreichen? Antworten auf solche Fragen werden derzeit im Rahmen der Energieperspektiven 2050+ beim Bundesamt für Energie (BFE) erarbeitet. Die ersten Ergebnisse liegen voraussichtlich im Herbst 2020 vor.

Bis 2050 will der Bundesrat den Treibhausgasausstoss in der Schweiz auf netto null Emissionen absenken.[1] Da gut drei Viertel der Treibhausgasemissionen (ohne internationalen Flugverkehr) energiebedingt sind, ist die Dekarbonisierung des Energiesystems eine zentrale Voraussetzung, um die Klimaziele zu erreichen.

Grundlage für Politik


Die Energieperspektiven des Bundesamtes für Energie (BFE) bilden seit den Siebzigerjahren eine wichtige Grundlage für die Energie- und heute auch für die Klimapolitik der Schweiz. Im Jahr 2007 wurden die Energieperspektiven letztmals vollständig neu erstellt, 2012 wurden sie für die Energiestrategie 2050 aktualisiert und erweitert. Da sich seither viele wichtige Rahmenbedingungen geändert haben, werden die Energieperspektiven gegenwärtig neu erarbeitet. So hat sich 2017 die Schweiz im Übereinkommen von Paris zu langfristigen Klimazielen verpflichtet, und 2018 ist das totalrevidierte Energiegesetz in Kraft getreten.

Im Rahmen der neuen «Energieperspektiven 2050+» werden in Szenarien mögliche Entwicklungspfade des Schweizer Energiesystems erarbeitet, welche eine sichere Energieversorgung der Schweiz gewährleisten und gleichzeitig mit dem langfristigen Klimaziel von netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 vereinbar sind. Dabei werden unterschiedliche Technologiepfade betrachtet, die sich bezüglich Ausprägung verschiedener Technologietrends wie beispielsweise der Elektrifizierung oder der Rolle von biogenen und synthetischen Brenn- und Treibstoffen – flüssig oder gasförmig – unterscheiden.

Die Szenarien werden mit detaillierten Energiesystemmodellen berechnet, welche in einem ersten Schritt nachfrageseitig den Energiebedarf und in einem zweiten Schritt angebotsseitig die Energieversorgung der Schweiz in Jahresschritten bis ins Jahr 2060 modellieren. Da im Strombereich der Austausch mit dem Ausland zentral ist, wird der europäische Kraftwerkspark in die Modellierung einbezogen und der Kraftwerkseinsatz stundenscharf gemäss heutigem Strommarktdesign abgebildet.

Ausgangspunkt für die Szenarien zur nachfrageseitigen Entwicklung des Energiesystems sind die Bedürfnisse nach Wohnraum, Verkehrsleistung oder Wirtschaftsaktivität, welche letztlich durch das Bevölkerungswachstum sowie die individuellen Ansprüche von Bevölkerung und Wirtschaft getrieben werden (siehe Abbildung).

Energieperspektiven 2050+: Treiber, Nachfrage und Emissionen




Anmerkung: Bei der Energienachfrage und den Treibhausgasemissionen handelt es sich um hypothetische Kurven. Ergebnisse der Energieperspektiven 2050+ sind noch nicht verfügbar.

Quelle: ARE; BFE, BFS, Prognos/TEP Energy, Seco / Die Volkswirtschaft

Bevölkerung und BIP als Treiber


Die Bevölkerung und die Wirtschaftsleistung sind zentrale Treiber des Energiebedarfs, werden von diesem aber selber nicht respektive nur schwach beeinflusst. Deshalb werden die langfristigen Entwicklungen von Bevölkerung und Bruttoinlandprodukt (BIP) als Rahmendaten exogen den Energiesystemmodellen vorgegeben. BIP und Bevölkerung sind ebenfalls wichtige Treiber von weiteren für die Energienachfrage relevanten Rahmenentwicklungen – beispielweise den Branchenszenarien (Bruttowertschöpfung, Beschäftigte), der Entwicklung der Anzahl und der Grösse der Wohnungen sowie der Energiebezugsflächen oder der Verkehrsleistungen. Ausgehend von diesen und weiteren Vorgaben, wird in den Energieperspektiven beispielsweise berechnet, wie hoch der Energiebedarf in den verschiedenen Industriebranchen, der Raumwärmebedarf in privaten Haushalten oder die Treibstoffnachfrage der verschiedenen Fahrzeugklassen ausfallen.

Damit die verschiedenen Langfristszenarien der Bundesverwaltung kohärent und vergleichbar sind, gleicht die Bundesverwaltung die Rahmendaten untereinander ab. Dies ist wichtig, denn die Energieperspektiven stützen sich auf die Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS), auf die BIP-Szenarien des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sowie die Verkehrsperspektiven des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE). So wird sichergestellt, dass die verschiedenen Rahmendaten bei den Energieperspektiven eine konsistente «Welt» abbilden. Neben den nationalen Rahmenentwicklungen werden auch die internationalen Energie- und CO2-Preise exogen den Energiesystemmodellen vorgegeben.

Um auch die Auswirkungen des Umbaus des Energiesystems auf die Wirtschaftsentwicklung abzuschätzen, wird ein gesamtwirtschaftliches Modell eingesetzt. Dieses verknüpft sämtliche Sektoren der Volkswirtschaft untereinander. Dieses Modell baut auf den Ergebnissen der energiewirtschaftlichen Modelle auf und betrachtet unter anderem BIP-, Wohlfahrts- und Beschäftigungseffekte. Ergänzend werden auch die Sekundäreffekte (zum Beispiel die tieferen Gesundheitskosten aufgrund der geringeren Luftbelastung) abgeschätzt.

  1. Bundesrat (2019): Bundesrat will bis 2050 eine klimaneutrale Schweiz, Medienmitteilung vom 28. August. []

Zitiervorschlag: Giulia Lechthaler-Felber, Michael Kost, (2020). Wege zu einem emissionsarmen Energiesystem. Die Volkswirtschaft, 24. Juli.