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Ansteckungsgefahr bei den Staatsschulden!

Wenn die Staatsfinanzen entgleisen, haben Banken und Realwirtschaft ein Problem. Die Zinsen auf Staatsschulden, aber auch auf private Kredite steigen. Wie sich dabei in- und ausländische Banken unterscheiden, zeigt eine Studie der italienischen Zentralbank.

Eine Staatsschuldenkrise geht fast immer einher mit einer sich verschlechternden Wirtschaftslage.[1] Eine Ursache dafür liegt darin, dass Banken weniger Kredite an Unternehmen vergeben. Denn oft steigen in einer Staatsschuldenkrise nicht nur die Finanzierungskosten des Staates an, sondern auch jene der Banken. Wenn die Banken deshalb die Kreditvergabe einschränken oder die Zinsen erhöhen, kann es zu einer Kreditklemme kommen. Und diese wiederum schmälert die Nachfrage und verstärkt die Krise.

Die Ökonomen Marcello Bofondi, Luisa Carpinelli und Enrico Sette von der italienischen Zentralbank «Banca d’Italia» gehen der Frage nach, wie die Staatsschuldenkrise von 2011 die Kreditvergabe von Banken in Italien beeinflusste. Dabei betrachten sie sowohl die Kreditzinsen als auch das Wachstum des Kreditvolumens und vergleichen die Kreditvergabe italienischer Banken mit jener von Tochtergesellschaften und Niederlassungen ausländischer Banken in Italien. Ihre These ist, dass die Finanzierungskosten von Banken mit Hauptsitz in Italien aufgrund der Staatsschuldenkrise zunehmen, weil sie in grossem Umfang riskante heimische Staatsanleihen halten und die Investoren deshalb ein höheres Risiko wittern. Banken aus Ländern, in denen es keine Staatsschuldenkrise gab, sollten hingegen keinen Anstieg der Finanzierungskosten spüren.

Ausführlicher Datensatz

Die Forschergruppe nutzte für das Krisenjahr 2011 Daten aus dem italienischen Kreditregister, welches alle Bankkredite an italienische Unternehmen erfasst. Dabei unterscheiden sie zwischen einem Vorkrisenzeitraum (Januar–Juni) und einem Krisenzeitraum (Juli–Dezember). Ihr Datensatz umfasst gut 664’000 Bankkundenbeziehungen, von denen rund ein Viertel auf ausländische Banken entfällt. Die Studie berücksichtigt insgesamt 567 Banken, davon 49 ausländische. Zahlenmässig am stärksten vertreten sind dabei Banken aus Frankreich, Deutschland, den USA sowie Österreich.

Zunächst messen die Forscher die Veränderung der Finanzierungskosten des italienischen Staates gegenüber einem risikolosen Zinssatz, wobei deutsche Staatsanleihen als Referenz gelten. Die Zinsaufschläge italienischer Staatsanleihen stiegen von Juli bis Dezember 2011 sehr stark von rund zwei auf zirka fünf Prozent an. In den erwähnten vier Staaten, aus welchen die meisten ausländischen Banken kommen, nahmen hingegen die Zinsaufschläge während der Krise nicht oder nur geringfügig zu.

Die Kreditnehmer sind in den Branchen Dienstleistungen (ca. 50 Prozent), Industrie und Energieerzeugung (ca. 30 Prozent), der Bauwirtschaft (ca. 12 Prozent) sowie der Landwirtschaft (ca. 8 Prozent) tätig. In ihrer Analyse erfassen die drei Wissenschaftler nur jene Firmen, die sowohl von einer italienischen als auch von einer ausländischen Bank Kredite aufgenommen hatten. Weiterhin berücksichtigen sie Unterschiede (z. B. Grösse, Profitabilität) zwischen den Banken und zwischen den Unternehmen. Zudem stellen die Autoren auf Besonderheiten in der Beziehung zwischen Bank und Kunden ab, wie etwa die Dauer der Kundenbeziehung oder der Anteil der Kredite einer bestimmten Bank am gesamten Kreditvolumen eines Unternehmens. Dadurch können die Forscher systematische Unterschiede ausschliessen, die den Effekt der Staatsschuldenkrise verzerren könnten.

Starker Rückgang bei Kreditvergabe

Die Forscher analysieren das Kreditwachstum italienischer und ausländischer Banken. Die Abbildung zeigt, dass sich das Kreditwachstum bis zum Ausbruch der Krise im Juni 2011 ähnlich entwickelte und kaum zurückging. Danach nahm das Kreditwachstum italienischer Banken allerdings stark ab, während die ausländischen Banken die Kreditvergabe nur verzögert und wesentlich schwächer reduzierten.

Kreditwachstum in- und ausländischer Banken in Italien (Januar–Dezember 2011)

 Quelle: Bofondi u.a. (2018), Abb. 3

Die Schätzungen der Forscher bestätigen diesen Zusammenhang: Das Kreditwachstum ausländischer Banken war in der Krise rund drei Prozentpunkte höher als jenes der inländischen Banken. Berücksichtigt man weitere Faktoren wie die Kundenbeziehungen zwischen Banken und Unternehmen, betrug der Unterschied im Kreditwachstum immer noch 1,7 Prozentpunkte. Beide Ergebnisse sind ökonomisch bedeutsam, da die Kreditvergabe in Italien während der Krise um durchschnittlich 6,6 Prozent sank.

Um ihre Ergebnisse zu überprüfen, verwenden die Forscher unter anderem einen Datensatz, der neben den ausländischen nur die 50 größten italienischen Banken umfasst. Diese beiden Bankengruppen sind besonders gut vergleichbar und unterscheiden sich hauptsächlich in den Beständen italienischer Staatsanleihen. Auch mit diesem Datensatz bestätigen sich die quantitativen Ergebnisse.

Organisationsform entscheidend

Ausländische Banken sind in Italien entweder mit eigenständigen Tochtergesellschaften oder mit Niederlassungen vertreten. Tochtergesellschaften sind den italienischen Banken bezüglich Geschäftsmodell und Netzwerk sehr ähnlich, während Niederlassungen nur in bestimmten Regionen und Marktsegmenten tätig sind. Beeinflusst auch die Organisationsform ausländischer Banken deren Kreditvergabe während der Krise? Die Ergebnisse zeigen, dass dieser Aspekt eine wichtige Rolle spielt: Die Kreditvergabe zwischen italienischen Banken und den Tochtergesellschaften ausländischer Banken war sehr unterschiedlich. Letztere vergaben während der Krise signifikant mehr Kredite. Banken hingegen, die nur mit unselbständigen Filialen (d. h. Niederlassungen) vertreten waren, verhielten sich ähnlich wie italienische Banken.

Inwieweit konnten Unternehmen das geringere Kreditangebot italienischer Banken durch zusätzliche Kredite von ausländischen Banken kompensieren? Die Ergebnisse hierzu sind äußerst aussagekräftig: Unternehmen, die sich bei ausländischen Banken finanzierten, wiesen ein höheres Kreditwachstum auf. Ein Unternehmen, welches sich vor der Krise (um eine Standardabweichung) stärker bei ausländischen Banken finanzierte, konnte sein Kreditwachstum in der Krise um 0,8 Prozentpunkte steigern, im Vergleich zu Unternehmen, die stärker von italienischen Banken abhängig waren. Dieser Effekt ist umso bedeutender, da die Kreditvergabe während der Krise um durchschnittlich 3,8 Prozent schrumpfte. Insgesamt allerdings konnten italienische Unternehmen die geringere Kreditvergabe italienischer Banken nur teilweise durch Kredite ausländischer Banken kompensieren.

Ausländische Banken fordern tiefere Zinsen

In einem letzten Schritt prüften die Forscher, wie sich die Staatsschuldenkrise in Italien auf die Kreditzinsen auswirkten. Wenn der Wert der Staatsanleihen sinkt, müssen die Banken hohe Verluste verdauen, nicht aber ihre ausländischen Konkurrenten aus sicheren Ländern. Die Ergebnisse zeigen, dass ausländische Banken in der Krise um 0,21 Prozentpunkte tiefere Zinsen für kurzfristige Überziehungskredite forderten als inländische Banken. Bei den  langfristigen Krediten waren die Zinsen von ausländischen Banken in Italien um 0,15 Prozentpunkte tiefer.

Die vorliegende Studie illustriert am Beispiel Italiens, wie eine Staatsschuldenkrise den Bankensektor anstecken kann, in der Folge die Kreditvergabe durch heimische Banken verringert, Kreditzinsen erhöht und dadurch die Realwirtschaft trifft. Unternehmen können dies nur teilweise kompensieren, indem sie sich stärker bei ausländischen Banken verschulden.

  1. Dieser Artikel basiert auf dem wissenschaftlichen Artikel von Bofondi, Carpinelli, Sette (2018). []

Literaturverzeichnis

 


Bibliographie

 

Zitiervorschlag: Johannes von Möllendorff (2020). Ansteckungsgefahr bei den Staatsschulden!. Die Volkswirtschaft, 28. August.

Serie: Next Generation

Dieser Artikel ist Teil der Reihe «Next Generation». Darin fassen herausragende Studierende der Universität St. Gallen aktuelle und bedeutende Forschungsresultate von international renommierten Wirtschaftswissenschaftlern kompakt zusammen. Betreut und herausgegeben wird die Reihe von Christian Keuschnigg, Professor für Nationalökonomie und öffentliche Finanzen. Weitere Artikel der Reihe finden Sie hier oder auf der Website der Universität St. Gallen.