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Belastung durch SNB-Negativzins: Nur so viel wie nötig

Negativzinsen sind ein wichtiges geldpolitisches Instrument. Mit einem Freibetrag reduziert die SNB die Belastung durch den SNB-Negativzins.
Eine Ursache für die tiefen Zinsen liegt in der zunehmenden Alterung der Gesellschaft. Steg in Montreux. (Bild: Alamy)

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat den Negativzins im Januar 2015 eingeführt. Obwohl er sich als geldpolitisches Instrument bewährt hat, wird sein Nutzen in der öffentlichen Diskussion regelmässig infrage gestellt. Diese Zweifel drücken ein Unbehagen an den Anreizen  aus, die ein Tiefzinsumfeld mit sich bringt. Die Ursachen für die historisch tiefen Zinsen liegen aber ausserhalb der Kontrolle der SNB.

Negative Leitzinsen sind grundsätzlich eine Reaktion der Zentralbanken auf ein geldpolitisch herausforderndes Umfeld. In vielen Ländern verlangen die Inflationsaussichten eine lockere Geldpolitik – und dies in einer Phase, in der die globalen Zinsen aus strukturellen Gründen seit mehreren Jahrzehnten sinken (siehe Abbildung 1). Gründe dafür sind etwa der Rückgang der Produktivität sowie die demografische Entwicklung. So verstärkt die zunehmende Alterung in wichtigen Industrieländern den Anreiz zu sparen, wodurch das globale Zinsniveau sinkt. Auf diese strukturellen Rahmenbedingungen haben die Zentralbanken keinen Einfluss.

Doch das Tiefzinsumfeld erschwert es den Zentralbanken in der gegenwärtigen schwierigen Lage, die Geldpolitik genügend expansiv zu gestalten, denn die expansive Wirkung der Leitzinsen entfaltet sich nur, wenn diese unter dem Zins liegen, der Ersparnisse und Investitionen in ein Gleichgewicht bringt. Angesichts der Corona-Pandemie sowie der nach wie vor bestehenden Spätfolgen der globalen Finanzkrise sind tiefe Zinsen allerdings geldpolitisch notwendig, um die Inflation im Bereich der Preisstabilität zu halten.

Abb. 1: Renditen zehnjähriger Staatsanleihen verschiedener Industriestaaten




Quelle: SNB, Thomson Reuters / Die Volkswirtschaft

In der Schweiz kommt hinzu, dass der Negativzins hilft, die traditionelle Zinsdifferenz zum Ausland zumindest teilweise aufrechtzuerhalten. Die Zinsen lagen hierzulande in der Vergangenheit üblicherweise unter denjenigen der meisten Industriestaaten. Dies ist zum einen auf die tendenziell tiefere Inflation in der Schweiz zurückzuführen. Zum anderen gilt die Schweiz bei Anlegern als sicherer Hafen in stürmischen Zeiten. Aufgrund der höheren Sicherheit geben sich diese mit einer niedrigeren Verzinsung von Frankenanlagen zufrieden. Mit der globalen Finanzkrise von 2007/2008 verringerte sich die Zinsdifferenz zum Ausland allerdings markant, weil die geldpolitischen Zinsen im Ausland stärker als in der Schweiz gesenkt wurden. Dies trug zu unerwünschtem Aufwertungsdruck auf den Franken bei.

Entlastung durch Freibetrag


Vor dem Hintergrund, dass der Negativzins geldpolitisch notwendig ist, stellt sich die Frage, wie die Belastung des Bankensystems durch den Negativzins möglichst gering gehalten werden kann.

Die Nationalbank erhebt den Negativzins auf die Sichtguthaben, welche die Banken bei ihr halten. Damit sich der Negativzins von diesen auf den Geld- und Kapitalmarkt überträgt, genügt es, nur einen Teil der Sichtguthaben mit dem Negativzins zu belasten.

Indem nur ein Teil der Sichtguthaben belastet wird, reduziert sich für die Banken der Druck, die Kosten des Negativzinses auf ihre Kunden zu überwälzen. Dies verringert den Anreiz, dass die Kunden ihre Bankeinlagen ins Bargeld transferieren und damit einen Liquiditätsabfluss bei den Banken auslösen, was letztlich ihre Kreditvergabemöglichkeiten einschränken könnte.

Aus diesen Überlegungen gewährt die Nationalbank jeder Bank einen sogenannten Freibetrag, der vom Negativzins ausgenommen ist. Der Freibetrag bemisst sich am Mindestreserveerfordernis, das sich aus den kurzfristigen Verpflichtungen – wie beispielsweise den Kundeneinlagen einer Bank – ableitet. Er geht aber über die Mindestreserve hinaus.

Mindestreserve als Berechnungsgrundlage


Das Mindestreserveerfordernis ist aus zwei Gründen eine geeignete Berechnungsgrundlage für den Freibetrag. Erstens ist es ein Abbild der Kundenbedürfnisse einer Bank: Eine Bank benötigt Sichtguthaben bei der SNB, um Kundenzahlungen ausführen zu können. Wie gross die Zahlungen sind, hängt von den Kundeneinlagen der Bank ab – und diese sind der Hauptbestimmungsfaktor der Mindestreserve. Banken mit relativ hohen Kundeneinlagen in Franken weisen auch relativ hohe Sichtguthaben bei der SNB auf (siehe Abbildung 2). Der zweite Grund ist, dass die Mindestreserve eine etablierte regulatorische Kennzahl mit geldpolitischem Hintergrund ist, die für alle Banken zeitnah zur Verfügung steht.

Vom Freibetrag zieht die SNB den Bargeldbestand einer Bank ab. Denn sonst könnten die Banken den Negativzinszahlungen ausweichen, indem sie die Bargeldbestände erhöhen.

Abb. 2: Kundeneinlagen und Sichtguthaben bei der SNB (Durchschnitte von 2014 bis 2018)




Quelle: SNB, Berechnungen Lenz und Schlegel / Die Volkswirtschaft


Durch den Freibetrag wird die direkte Belastung des Bankensektors durch den Negativzins auf das Nötige begrenzt. Ohne den Freibetrag wären für alle Bankengruppen die Zinszahlungen an die SNB und damit die Notwendigkeit einer Überwälzung auf die Kunden deutlich höher.

Im internationalen Vergleich entlastet die Freibetragsregelung in der Schweiz den Bankensektor deutlich. Beispielsweise hatte die Europäische Zentralbank (EZB) ursprünglich nur die einfache Mindestreserve von ihrem Negativzins ausgenommen. Dadurch war einige Jahre lang die überwiegende Mehrheit der Sichtguthaben bei der EZB vom Negativzins betroffen. Inzwischen hat auch die EZB einen Freibetrag eingeführt, der über das Mindestreserveerfordernis hinausgeht.

Nutzen grösser als Kosten


Trotz aller Umsicht in der Ausgestaltung der Negativzinsregelung ist es unvermeidlich, dass den Banken durch den Negativzins Kosten entstehen und sie diese teilweise auch an einige Kunden weitergeben. Die Gewährung eines Freibetrags sorgt aber dafür, dass diese Überwälzung so gering wie möglich gehalten wird, ohne dass dabei die geldpolitische Wirkung des Negativzinses wesentlich geschmälert wird. Auch für Sparer und Pensionskassen sind negative Zinsen in direkter Wirkung unangenehm. Indirekt aber stabilisiert der Negativzins die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz und stiftet so für alle einen grossen Nutzen.

Der Negativzins hat sich in der Schweiz bewährt. Er ist notwendig, um die Geldpolitik der SNB expansiv gestalten zu können. Doch auch wenn die Nationalbank noch Spielraum für weitere Zinssenkungen hat, kann sie den Zins nicht beliebig senken. Deshalb spielen auch die Interventionen am Devisenmarkt, bei denen Devisen gekauft und dafür Franken verkauft werden, in der SNB-Geldpolitik eine zentrale Rolle. Zusammen tragen die beiden Instrumente dazu bei, dass die Preisstabilität in der Schweiz gewährleistet werden kann. Ohne diese unkonventionellen Massnahmen wäre der Aufwertungsdruck auf den Franken deutlich höher, was sich negativ auf die Inflation und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Schweiz auswirken würde.

Zitiervorschlag: Carlos Lenz, Martin Schlegel, (2020). Belastung durch SNB-Negativzins: Nur so viel wie nötig. Die Volkswirtschaft, 21. September.