Schild der verschwörungsideologischen Q-Anon Bewegung an einer Kundgebung in den USA. (Bild: Keystone)
Steckt der US-Milliardär Bill Gates hinter der Corona-Pandemie? Ist der Investor George Soros schuld an der Flüchtlingskrise? Waren die Amerikaner gar nie auf dem Mond? Und ist Ex-Präsident Barack Obama gar nicht in den USA geboren? Verschwörungstheorien sind zu einem medialen Schlagwort geworden. Sie haben grösstenteils den Sinn, durch den Blick hinter die Kulissen vorher Unerklärliches erklärbar zu machen. Verschwörungstheorien unterstellen häufig, dass korrupte Eliten die Zügel in der Hand haben und schlussendlich machen können, was sie wollen. Viele Anhänger von Verschwörungstheorien glauben an geheime «Netzwerke», die hinter verschlossenen Türen Gesetze beeinflussen. Sie stellen demgemäss oft die Fragen «Wer ist schuld?» und «Wem hat das genützt?».
Verschwörungstheoretiker degradieren ganze Regierungen zu Instrumenten dieser Netzwerke, und Politik sehen sie als Vollzug eines Plans mächtiger Hintermänner. Auch Lobbyismus deuten sie als bewussten, regelgeleiteten Plan einer Verschwörung von Mächtigen, die ihre Identität geheim halten wollen. Im Kern solcher Verschwörungstheorien finden sich Strippenzieher, die hinter den Kulissen bestimmen, was wirklich passiert. Neben Persönlichkeiten wie Politikern sind dies häufig Wirtschaftstreibende oder Unternehmer. Wichtig für Verschwörungstheoretiker ist, deren Identität offenzulegen.
Anschliessend kommt ein weiteres Stilmittel von Verschwörungstheorien zum Zuge: Den nun namentlich Bekannten wirft man vor, dass sie nur scheinbar Gutes im Schilde führen, in Wahrheit jedoch einem geheimen Plan folgen, der gegen das Gemeinwohl gerichtet ist. Entsprechend böse Absichten werden etwa Bill und Melinda Gates unterstellt, sie würden die Armut nur «vordergründig» bekämpfen.[1]
Die Problematik von Verschwörungstheorien mit dieser Ausrichtung ist, dass diese von vornherein Interessenpolitik als Verschwörung deuten. Gemäss dieser Denkweise funktioniert das demokratische System eben nicht, weil es unterwandert wurde.
Boom im 18. Jahrhundert
Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen – auch wenn man ob der medialen Berichterstattung meinen könnte, dass wir heutzutage in einem konspirativen Jahrhundert leben. Zumindest seit der Antike finden sich Verschwörungstheorien im politischen und gesellschaftlichen Diskurs als Strategie sowie als Sinngenerierung. Sie treten vermehrt in Krisenzeiten, also in Zeiten von Unsicherheit, auf. Die wirkmächtigsten Verschwörungstheorien haben häufig eine antisemitische Prägung. Insbesondere der angebliche Einfluss von jüdischen Geldgebern im Hintergrund ist ein Stereotyp der (europäischen) Kulturgeschichte – heutzutage finden sich zum Beispiel in verschiedenen kulturellen Repräsentationen verschwörungstheoretische Anspielungen auf die Familie Rothschild.[2]
Ein Boom hinsichtlich Verschwörungstheorien fand im 18. Jahrhundert statt. Im Vordergrund vieler Debatten dieser Zeit standen die Nützlichkeit des aufklärerischen Denkens und die Rolle der Wirtschaft und der Unternehmer im Hinblick auf ihr gesellschaftliches Wirken. Gerade Jesuiten, die sogenannte Indianerreduktionen in Übersee unterhielten, unterstellte man in verschiedenen europäischen Ländern, dass sie «habgierig» seien, sich also bereicherten, oder von Rom gelenkt sein würden. Letztlich bezeichnete man sie als «Staat im Staat». Dies ist ein gängiges Motiv von Verschwörungstheorien. Heutzutage ist häufig die Rede von einem «deep state», also einer international ausgerichteten Organisation im Untergrund, die die Geschicke des Staates bestimmt. Im 18. Jahrhundert wurde die öffentliche Hetze gegen die Jesuiten so stark, dass sich Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 gezwungen sah, den Orden aufzuheben.
«Skandalöses» Königshaus
Viele Verschwörungstheorien des 18. Jahrhunderts richteten sich direkt gegen den Einfluss aufklärerischer Wirtschaftsweisen. Ein häufiges Feindbild waren die sogenannten Physiokraten – eine ökonomische Gruppierung, die den Landwirtschaftssektor als wichtigste volkswirtschaftliche Basis betrachtete. Am Vorabend der Französischen Revolution erschienen zahlreiche verschwörungstheoretische Texte, in denen dem Minister und überzeugten Physiokraten Anne Robert Jacques Turgot unterstellt wurde, Anhänger einer gross angelegten Verschwörung der Aufklärer zu sein.
Der Auslöser war Turgots Wirtschaftspolitik: Er hatte den Getreidemarkt liberalisiert, um das Staatsdefizit zu reduzieren. In der Folge brach Panik aus, und die Mehlpreise stiegen stark an. Bald hiess es, korrupte Spekulanten und Interessengruppen, die sich gegen das Gemeinwohl verschworen hatten, seien dafür zuständig, dass die Mehlpreise ins Unermessliche steigen würden. In sogenannten Mehlkriegen gingen Tausende auf die Strasse, Turgot wurde entlassen und der Getreidehandel wieder staatlich reguliert.
Für das französische Königshaus war der Schaden aber angerichtet: Kritiker forderten immer lauter politische Reformen. Vermehrt erschienen «Skandalchroniken», also Geschichten über das skandalöse und korrupte Handeln des französischen Königshauses. Mit anderen Worten: Verschwörungsdenken ist stark mit moralischer Empörung verbunden.
Transparenz als Gegenmittel
Diese historischen Beispiele zeigen eindrücklich: Verschwörungstheorien über Lobbyisten oder Interessenpolitik folgen Mustern. Oft stehen der Vorwurf eines «deep state» sowie die Profitgier von Unternehmern und Spekulanten – zulasten des Volkes – im Raum. Weitere wiederkehrende Elemente sind korrupte Eliten, internationale Netzwerke und eine moralische Empörung.
Heisst dies aber nun, dass Verschwörungstheorien, die sich mit dem Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen befassen, ins Reich der Mythen zu verbannen sind? Nein, keineswegs. Natürlich gibt es genügend Beispiele, welche starke Einflüsse beweisen. Viel eher sollte man daran denken, dieses Phänomen multiperspektivisch zu betrachten und zu entskandalisieren. Transparenz und geregelte Legalisierung waren schon immer die Antagonisten des Geheimen und der Verschwörung.
Literaturverzeichnis
- Butter, Michael (2018). Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien.
- Compact Education Group (2020). Leitfaden Verschwörungstheorien.
- Routlege (2020). Routledge Handbook of Conspiracy Theories, Michael Butter und Peter Knight (Hrsg.).
Bibliographie
- Butter, Michael (2018). Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien.
- Compact Education Group (2020). Leitfaden Verschwörungstheorien.
- Routlege (2020). Routledge Handbook of Conspiracy Theories, Michael Butter und Peter Knight (Hrsg.).
Zitiervorschlag: Oberhauser, Claus (2020). Die DNA der Verschwörungstheorien. Die Volkswirtschaft, 19. Oktober.