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Stellensuchende ohne Taggeldbezug – wer sind sie?

Die RAV beraten auch Stellensuchende, die keine Arbeitslosengelder beziehen. Nicht alle von ihnen sind zufrieden mit dem Angebot.
Praktikas erleichtern den Wiedereinstieg in die Berufswelt. Restaurantküche in Uster ZH. (Bild: Keystone)

Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) unterstützen alle Personen, die sich anmelden, bei der Suche nach einer neuen Stelle. Sie beraten also auch Stellensuchende, die keine Arbeitslosentaggelder beziehen (können). Im Auftrag des Bundes wurde die Situation dieser Gruppe untersucht.[1]

Die Studie, die sich auf Datenauswertungen, Befragungen und Fachgespräche stützt, beantwortet folgende Fragen: Wer sind die Stellensuchenden ohne Bezug von Arbeitslosenentschädigung? Welche nicht monetären Leistungen der RAV beziehen sie? Welche Bedürfnisse haben sie? Und schliesslich: Decken die heutigen Instrumente der RAV diese Bedürfnisse ab, oder braucht es weitere Angebote, um diese Stellensuchenden besser im Arbeitsmarkt zu integrieren?

Insgesamt machen Stellensuchende ohne Taggeldbezug etwa ein Fünftel aller beim RAV gemeldeten Stellensuchenden aus. Die Studie differenziert drei Gruppen: erstens Personen, die sich noch während der Kündigungsfrist beim RAV anmelden. Zweitens Ausgesteuerte, die direkt nach der Aussteuerung weiterhin beim RAV angemeldet bleiben. Drittens alle weiteren Stellensuchenden, die zumindest während einer Phase keine Arbeitslosenentschädigung beziehen.

Kantonale Unterschiede


Im Jahr 2017 haben im schweizerischen Durchschnitt 79 Prozent der Stellensuchenden Arbeitslosenentschädigung bezogen. Somit lag der Anteil der Stellensuchenden ohne Arbeitslosenentschädigung durchschnittlich bei 21 Prozent aller bei einem RAV angemeldeten Personen. Davon gehören je 9 Prozent zu den Gruppen 1 und 3 – sprich: Sie waren in Kündigung oder bezogen aus anderen Gründen phasenweise keine Arbeitslosenentschädigung. Deutlich kleiner ist die Gruppe 2: Ausgesteuerte machen nur 3 Prozent aller beim RAV gemeldeten Personen aus.

Je nach Kanton variiert der Anteil der Stellensuchenden ohne Arbeitslosenentschädigung zwischen 8 und 35 Prozent (siehe Abbildung). Die grossen Unterschiede hängen unter anderem mit kantonalen Regelungen zusammen. So gewähren etwa die Kantone Jura und Schaffhausen, die einen relativ grossen Anteil an Ausgesteuerten aufweisen, beispielsweise eine kantonale Arbeitslosenhilfe für ebendiese Gruppe. Der Bezug der Arbeitslosenhilfe bedingt dabei die Registrierung beim RAV.

RAV-Klientel: Anteile von Stellensuchenden mit und ohne Taggeldbezug




Anmerkung: Jahresdurchschnitt 2017. Jede stellensuchende Person wurde einmal pro Status, welchen er oder sie durchlaufen hat, berücksichtigt. Meldet sich beispielsweise eine Stellensuchende im Januar in Kündigungsfrist an und bezieht ab April 2017 Arbeitslosenentschädigung, wird sie sowohl bei «in Kündigung» als auch bei den Taggeldbeziehenden je einmal berücksichtigt.

Quelle: Arbeitslosenstatistik, Seco und AHV-Einkommensdaten, ZAS; Berechnungen des Studienteams / Die Volkswirtschaft

Viele Stellensuchende, die keine Arbeitslosenentschädigung beziehen, sind lediglich während zweier bis dreier Monate ohne Leistungsbezug beim RAV angemeldet. Einige von ihnen, insbesondere jene in Kündigung, beziehen danach Taggelder. Andere wiederum melden sich gänzlich ohne Taggeldbezug wieder vom RAV ab. Dies zum Beispiel, weil die Person bereits eine neue Stelle gefunden hat. Ein häufiger Grund für die Abmeldung ist auch die fehlende Aussicht auf Arbeitslosenentschädigung. Dies betrifft jene Stellensuchenden, bei denen der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung gänzlich fehlt – etwa, weil sie bisher in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sind oder diese schon lange zurückliegt. Insbesondere bei Personen, die bereits länger beim RAV angemeldet sind, spielen teilweise auch Frustration über die erfolglose Stellensuche sowie Unzufriedenheit mit den Leistungen der RAV eine entscheidende Rolle bei der Abmeldung.

Vergleich soziodemografischer Merkmale


Die Stellensuchenden in Kündigung weisen im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Ausbildung ein ähnliches Profil wie die Leistungsbeziehenden auf (siehe Tabelle). Diese Gruppe ist mehrheitlich zufrieden mit der Unterstützung durch die RAV. Das kann damit zusammenhängen, dass die RAV auf diese Klientel bereits gut ausgerichtet sind.

RAV-Klientel nach soziodemografischen Merkmalen








  Taggeldbeziehende In Kündigung Ausgesteuerte Weitere ohne Taggeldbezug
Anteil 45+ 34% 35% 44% 29%
Anteil Frauen 44% 46% 43% 45%
Anteil aus Drittstaaten 15% 16% 21% 24%
Anteil ohne nachobligatorische Ausbildung 23% 19% 28% 29%


Quelle: Arbeitslosenstatistik, Seco und AHV-Einkommensdaten, ZAS, Berechnungen des Studienteams / Die Volkswirtschaft

Demgegenüber sind die Ausgesteuerten vielfach älter, stammen häufiger aus Drittstaaten und weisen relativ häufig keine nachobligatorische Ausbildung auf. Die Kantone behandeln Ausgesteuerte unterschiedlich: Wie bereits erläutert, gewähren ihnen gewisse Kantone eine Arbeitslosenhilfe. In anderen Kantonen wurden Ausgesteuerte – zumindest in Einzelfällen – von den RAV abgemeldet, ohne ihnen weitere Unterstützung anzubieten.

Die dritte Gruppe, die weiteren Stellensuchenden ohne Taggeldbezug, ist sehr heterogen. Zu ihr gehören beispielsweise junge Menschen, die neu ins Berufsleben einsteigen, oder Personen, die nach einer längeren Pause – etwa für die Kinderbetreuung – wieder ins Erwerbsleben einsteigen möchten. Auch Sozialhilfebeziehende können sich beim RAV anmelden. Eine andere Untergruppe sind Personen, die als Asylsuchende in die Schweiz gekommen sind und nie zuvor in der Schweiz gearbeitet haben. Ein weiteres Beispiel sind Personen, die aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit Krankentaggelder beziehen. Viele Stellensuchende in der dritten Gruppe können keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend machen. Insgesamt sind Personen dieser dritten Gruppe eher jünger, stammen häufiger aus Drittstaaten und weisen vergleichsweise häufig keine nachobligatorische Ausbildung auf. Nur wenige von ihnen melden sich nach der Abmeldung vom RAV innerhalb eines Jahres wieder an. Das deutet darauf hin, dass sie entweder langfristige Stellen gefunden haben, sich gänzlich aus der Erwerbstätigkeit zurückziehen oder bei der Stellensuche auf die Unterstützung der RAV verzichten.

Ungleiche Möglichkeiten


Welche Leistungen beziehen Stellensuchende ohne Arbeitslosenentschädigung beim RAV? Diese Frage haben wir sowohl den Betroffenen als auch den zuständigen Personalberatenden der RAV gestellt. Gemäss Letzteren hat sich die Haltung gegenüber den Stellensuchenden ohne Taggeldbezug im Laufe der Zeit stark verändert: Während sie früher weniger Aufmerksamkeit als Taggeldbeziehende erhielten, werden sie heute seitens RAV weitgehend gleichbehandelt. So erhalten sie in ähnlichem Umfang Beratung und Stellenvermittlungen wie andere Stellensuchende.

Einschränkungen gibt es jedoch teilweise beim Besuch von arbeitsmarktlichen Massnahmen – wie beispielsweise Sprachkursen und finanziell unterstützten Praktika: Personen ohne Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung haben kaum Zugang zu Angeboten, die durch die Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Sowohl Stellensuchende als auch Personalberatende würden jedoch mehr Möglichkeiten zur Teilnahme begrüssen. Hier sehen wir Potenzial – auch vor dem Hintergrund, dass deutliche Unterschiede zwischen den Kantonen bestehen: Einige finanzieren viele Angebote, andere nur sehr zurückhaltend.

Verbesserungspotenzial: Beratung


Stellensuchende ohne Taggeldbezug beurteilen die RAV-Beratung häufig als nicht oder als wenig hilfreich. Diese kritische Einschätzung mag sowohl aus fehlender Qualität als auch aus fehlender Beratungszeit resultieren. Schwierigkeiten bei der Beratung sind teilweise darauf zurückzuführen, dass sich ein Teil der Stellensuchenden ohne Taggeldbezug in ihren Lebenssituationen systematisch von der restlichen RAV-Klientel unterscheidet. Die Erkenntnisse der Studie deuten darauf hin, dass Stellensuchende ohne Taggeldbezug tendenziell mehr gesundheitliche Probleme haben oder sich in schwierigeren sozialen Situationen befinden. Oft wären daher der Abbau der Frustration und der Aufbau des Selbstvertrauens die wichtigsten Themen in der Beratung. Die Studie empfiehlt daher, die Möglichkeit spezialisierter Personalberatender zu prüfen (sofern nicht bereits institutionalisiert).

Weitere Empfehlungen, welche im Rahmen der Studie ausgearbeitet wurden, zielen darauf ab, Erwartungen und Möglichkeiten bereits im Vorfeld der Beratungsgespräche zu klären und die Abläufe der Arbeitsmarktbehörden noch stärker auf die Bedürfnisse der Stellensuchenden ohne Arbeitslosenentschädigung auszurichten. Steht beispielsweise ausschliesslich die Abklärung eines Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung im Vordergrund, scheint die Involvierung der RAV nicht zwingend im heutigen Umfang nötig.

  1. Liechti, David und Mirjam Suri (2020). Wiedereingliederung von Nichtleistungsbeziehenden, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), mandatiert von der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung (AK ALV). []

Zitiervorschlag: David Liechti, Mirjam Suri, (2020). Stellensuchende ohne Taggeldbezug – wer sind sie. Die Volkswirtschaft, 20. Oktober.