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Youtube als Sprungbrett für Politiker

In Taiwan nutzen Politiker das Videoportal Youtube erfolgreich im Wahlkampf. In der Schweiz ist hingegen noch keine digitale Revolution in Sicht.
Der Bürgermeister der taiwanischen Hauptstadt Taipeh, Ko Wen-je (Bildmitte, oben), mit Studierenden. (Bild: Alamy)

Als vor sechs Jahren die ehemalige Miss Schweiz Christa Rigozzi neben politischen Schwergewichten in der Sendung «Arena» für eine zweite Gotthard-Röhre warb, gab es neben Hohn und Spott auch Bewunderung. Ihr Auftritt provozierte starke Reaktionen. Bis heute ist dies eines der wenigen Beispiele in der Schweiz, die das Potenzial von sogenannten Influencern in der politischen Kommunikation aufzeigen. In anderen Ländern ist der Einfluss von Influencern in der Politik wesentlich ausgeprägter, wie anhand von Youtubern gezeigt werden kann.

In Deutschland hat der bekannte Youtuber Rezo im Vorfeld der Europawahl im Mai 2019 ein millionenfach angeklicktes Video mit dem Titel «Die Zerstörung der CDU» veröffentlicht. Das CDU-Video veröffentlichte er aber ohne Werbung – was bemerkenswert ist für Rezo, dessen Geschäftsmodell auf Werbeeinnahmen aus Unterhaltungsvideos beruht. Die CDU-Leitung unter der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer reagierte ziemlich unbeholfen und fand keine passende Antwort. Ein paar Monate nach dem Vorfall versuchte sich die Schwesterpartei CSU mit einem eigenen Youtube-Format. Bis heute zählt die CSU jedoch nur 6700 Abonnenten, und die Reaktionen sind tendenziell negativ.

Youtube in der Politik spielte bisher eher am rechten Rand des politischen Spektrums eine Rolle, wie die starke Präsenz der rechtspopulistischen Partei AfD auf Youtube in Deutschland oder der mittlerweile von Youtube verbannte Betreiber der ultrarechten Plattform Infowars, Alex Jones, in den USA zeigt. Jones hatte im vergangenen Wahlkampf sogar ein Exklusivinterview mit dem damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump erhalten.[1]

Digitalaffines Taiwan


Wohin der internationale Trend gehen könnte, zeigt Taiwan, wo kaum digitale Berührungsängste bestehen. Seit ungefähr zwei Jahren treten im asiatischen Inselstaat politische Kandidaten oder gewählte Politiker gemeinsam mit bekannten Youtubern auf. Als Pionier gilt unter anderem der Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh, Ko Wen-je, der bereits 2014 eine datengetriebene Kampagne lancierte und damit die politische Kampagnenplanung in Taiwan revolutionierte.[2] Ebenfalls erfolgreich auf Youtube war der ehemalige Bürgermeister von Kaohsiung und Präsidentschaftskandidat Han Kuo-yu. Beide traten vor den lokalen Wahlen 2018 in verschiedenen Youtube-Shows auf. Unter anderem beim Fitness-Influencer und Streamer Holger Chen, der auf Youtube über eine Million Abonnenten verfügt.

Im vergangenen Jahr entdeckte auch Präsidentin Tsai Ying-wen Youtube als politischen Kanal. Ein Hauptgrund waren wahrscheinlich ihre tiefen Popularitätswerte im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von Januar 2020. Zusammen mit Holger Chen besuchte sie zum Beispiel einen Kraftraum des Militärs oder liess sich im Rahmen ihrer Wahlkampagne von Youtuber Potter King interviewen. Da Potter King das umstrittene Video nicht löschen wollte, beendete seine chinesische Vermarktungsagentur die Zusammenarbeit mit ihm. Dadurch verlor er den Zugang zum attraktiven chinesischen Markt. Gleichzeitig machte ihn aber genau dieses Verhalten glaubwürdig in politischen Fragen.

Der Höhepunkt wurde Ende 2019 erreicht, als drei Youtuber eine eigene Partei gründeten. Einer von ihnen ist «Froggy», dem eine halbe Million Menschen auf Youtube folgen. Bereits 2018 wurde er als unabhängiger Kandidat in den Stadtrat von Taipeh gewählt.

Der Einzug von Youtubern in die Politik lief nicht ganz reibungslos ab. Holger Chen entschuldigte sich zum Beispiel 2019, dass er dem umstrittenen Präsidentschaftskandidaten Han Kuo-yu eine Plattform gegeben hatte. Jüngst wurde zudem bekannt, dass Politiker – darunter Präsidentin Tsai Ying-wen und ihr Gegenspieler Han Kuo-yu – für bis zu 10’000 Franken einen Auftritt in der Youtube-Show «The Night Night Show» erkaufen konnten.[3] Brian Tseng, der Moderator der Show, die über 1,2 Millionen Abonnenten zählt, erntete Kritik für sein Vorgehen. Es wurde ihm etwa vorgeworfen, er habe Geld angenommen, um Han Kuo-yu eine unkritische Plattform zu bieten.

Illusorische Interaktion


Die Wirkung von Influencern lässt sich anhand eines medienpsychologischen Konzepts aus den 1950er-Jahren erklären. Im Zuge des aufkommenden Fernsehens hatten die US-Psychologen Donald Horton und Richard Wohl das Konzept der «parasozialen Interaktion und Beziehung» entwickelt. Damit beschrieben sie, wie zwischen Fernsehzuschauern und TV-Persönlichkeit eine illusorische wechselseitige Beziehung entstehen kann, die technisch bedingt aber nur einseitig ist. Hervorgerufen wird die Beziehung durch eine scheinbare Interaktion der TV-Persönlichkeit mit den Fernsehzuschauern.

Fast 70 Jahre später – mit dem Aufkommen von sozialen Medien wie Youtube oder Twitch, bei denen das bewegte Bild im Zentrum steht – hat das Konzept wieder an Bedeutung gewonnen. Im Gegensatz zum Fernsehen kann jedoch der Kontakt zwischen den Zuschauern und dem Influencer direkt auf demselben Medium hergestellt werden. Grösstenteils wird allerdings nur indirekt – etwa über Likes oder Kommentare – kommuniziert.[4] Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass ein Influencer direkt auf einen Kommentar reagiert, was bei den Zuschauern das Gefühl verstärkt, dass man wirklich mit dem Influencer interagieren kann.

Wegen dieser Beziehung zwischen Zuschauern und Influencer können auch politische Empfehlungen eine grosse Wirkung erzeugen. Die vermittelte Botschaft sollte aber mit den «Werten» des Influencers übereinstimmen. Bei Potter King in Taiwan war dies etwa der Fall. Besonders wirksam ist die Kommunikation, wenn Influencer selbst plötzlich aus intrinsischen Motiven aktiv werden, wie das CDU-Video von Rezo aus Deutschland eindrücklich zeigt.

Fehlt diese Motivation hingegen, hinterfragen die Zuschauer eher die Motive und werden sich bewusst, dass sie gerade manipuliert werden. In Taiwan umgehen manche Politiker das Problem, indem sie sich inhaltlich stark an den Kontext des Youtubers anpassen. Anstatt über Politik wird dann etwa über Essen geredet. Politik wird zur Unterhaltung. Für Zielgruppen, die sich kaum für politische Inhalte interessieren, funktioniert das erstaunlich gut. Dies ist wohl kulturell bedingt: Auch der normale Wahlkampf gleicht oftmals einer grossen Unterhaltungsshow, wenn sich Politiker auf Bühnen ihren Anhängern präsentieren. In Taiwan ist der Einfluss von Youtubern somit also wenig überraschend, da diese zur politischen Kultur passen.

Instagram mit Potenzial


Die Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass Youtuber politischen Einfluss haben können, wenn sich ihr Image mit der politischen Nachricht deckt, kommerzielle Interessen nicht im Vordergrund stehen und sie einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Bei Christa Rigozzi traf dies grösstenteils zu, da sie auch mehrsprachig agieren konnte – was bei Schweizer Influencern eher eine Ausnahme ist.

Insbesondere auf Youtube ist der sprachübergreifende heimische Markt begrenzt. Während in Deutschland und Taiwan Youtuber ein Millionenpublikum erreichen, spielen in der Schweiz nur Gaming-Youtube-Kanäle in dieser Liga. Einige erfolgreiche Schweizer Influencer finden sich hingegen auf Instagram. Sie könnten bei gewissen politischen Themen aktiv werden.[5] Die Veganerin Anja Zeidler startete zum Beispiel eine Onlinepetition gegen das Freihandelsabkommen mit Brasilien, da sie der Fleischindustrie eine Mitschuld an den Waldbränden im Amazonas unterstellte.

Trotzdem: Aufgrund der Mehrsprachigkeit, der kleinen Grösse sowie der politischen Kultur wird es in der Schweiz in naher Zukunft höchstwahrscheinlich nicht zu einer Influencer-Revolution in der politischen Kommunikation kommen.

  1. Siehe «New York Times» (2020); Kaiser und Rauchfleisch (2018; 2019); Rauchfleisch und Kaiser (2017; 2020). []
  2. Rauchfleisch und Chi (2020). []
  3. Siehe Hioe (2020). []
  4. Siehe Rihl und Wegener (2019). []
  5. Siehe Räss (2019). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Adrian Rauchfleisch (2020). Youtube als Sprungbrett für Politiker. Die Volkswirtschaft, 21. Oktober.