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Firmengründungen im Höhenflug

2019 haben die unternehmerischen Gründungsaktivitäten in der Schweiz einen Höchststand erreicht. Die Rahmenbedingungen sind im Ländervergleich gut, und die gesellschaftliche Wahrnehmung hat sich gewandelt.
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Keine Angst vor dem unternehmerischen Scheitern: Immer mehr wagen den Sprung in die Selbstständigkeit. Koch am Zürcher Streetfood-Festival. (Bild: Keystone)

Der Einfluss junger agiler Unternehmen und ihr Verständnis von Unternehmertum stehen immer mehr im Fokus. So wurden schweizweit vielfältige lokale und nationale Projekte initiiert, um unternehmerisches Handeln zu fördern. Beispiele sind die Entrepreneurship-Programme des Innovationsförderers des Bundes Innosuisse oder die Impacthubs in verschiedenen Schweizer Städten. Grundsätzlich befinden sich die unternehmerischen Rahmenbedingungen in der Schweiz bereits heute auf hohem Niveau. Das zeigt der diesjährige Global Entrepreneurship Monitor (GE-Monitor)[1] (siehe Kasten). Gemäss dem Monitor weist die Schweiz bei den Rahmenbedingungen den höchsten Wert aller 54 Länder aus. Knapp dahinter folgen die Niederlande.[2] Weniger attraktiv sind die Rahmenbedingungen gemäss dem Index in anderen europäischen Ländern, den USA und in Kanada.

Rahmenbedingungen prägen Gründungen


Der indirekte Einfluss der Rahmenbedingungen auf die Zahl der Unternehmensgründungen ist unumstritten. Sie wird insbesondere auch durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt und die allgemeine Wirtschaftslage geprägt. Das bestätigt eine retrospektive Analyse der Monitor-Daten von 2002 bis 2019. Diese hat ergeben, dass die Firmengründungsaktivität (Total Early stage Entrepreneurial Activity, TEA) eher den jährlichen BIP-Wachstumsraten folgt, als dass sie diese vorhersagt.[3] Mit der TEA-Rate misst man den Anteil der Erwerbsbevölkerung, der in den letzten dreieinhalb Jahren eine unternehmerische Tätigkeit aufgenommen hat oder in den letzten zwölf Monaten aktiv in die Gründungsplanung involviert war. Bei rückläufiger Wirtschaftsleistung nimmt gemäss der Untersuchung die TEA-Rate ab, bei einem Wirtschaftsaufschwung nimmt sie zu.[4]

Ebenso ist die Zahl der Unternehmensgründungen von der Arbeitslosenzahl abhängig. Denn normalerweise führen steigende Arbeitslosenraten zu einer Zunahme der sogenannten Necessity Entrepreneurship – also zu Unternehmensgründungen aus der Not. Diese Zunahme führt selbstverständlich auch insgesamt zu einer höheren Gründungsaktivität. Doch nicht so in der Schweiz. Hierzulande bleiben solche Not-Gründungen bemerkenswert niedrig, selbst im Vergleich mit anderen einkommensstarken Volkswirtschaften. Das zeigte etwa die Finanzkrise: 2008 verlangsamte sich das Schweizer BIP-Wachstum, 2009 war es sogar negativ. In der Folge lag 2010 die TEA-Rate historisch tief. Die auf Not basierten unternehmerischen Aktivitäten nahmen trotz leicht verschlechtertem Arbeitsmarkt kaum zu.

Unternehmerischer Höchststand


2019 stieg die TEA in der Schweiz auf den höchsten Stand seit Beginn ihrer Messung vor 20 Jahren. Mit einer TEA-Rate von 9,8 Prozent übertrifft die Schweiz den bisherigen Höchststand von 2017 um 1,3 Prozentpunkte. Gegenüber 2002 liegt die Rate um 2,6 Prozentpunkte höher (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Unternehmerische Aktivitäten und Wirtschaftsentwicklung Schweiz (2002–2019)




Quelle: GE-Monitor (2020) / Die Volkswirtschaft

Die unternehmerischen Gründungsaktivitäten (TEA) sind in den meisten ausgewählten Volkswirtschaften[5] trotz Schwankungen tendenziell deutlich gestiegen. Das stärkste TEA-Wachstum verzeichneten die Vereinigten Staaten. Dort hat es sich von 8 Prozent im Jahr 2009 auf heute 17,4 Prozent mehr als verdoppelt. Auch die Niederlande verzeichneten während des letzten Jahrzehnts ein hohes Wachstum der TEA-Raten: Was 2009 mit 7,2 Prozent begann, erreichte 2018 mit 12,3 Prozent sein Allzeithoch.

Was ist der Grund für diesen plötzlichen Höhenflug der unternehmerischen Gründungsaktivitäten? Die ökonomischen Rahmenbedingungen, die üblicherweise die Gründungsquote beeinflussen, haben sich in der Schweiz bis vor der Corona-Krise nicht fundamental verändert. So ist beispielsweise die Situation auf dem nationalen Arbeitsmarkt seit einigen Jahren stabil: Die Arbeitslosenquote ist vergleichsweise niedrig, der Fachkräftemangel hoch, und die Opportunitätskosten für gut verdienende und hoch qualifizierte Beschäftigte beim Übergang in die unternehmerische Selbstständigkeit sind nicht merklich gesunken, sodass ein Wechsel in die Selbstständigkeit kaum attraktiver wurde.

Angesehene Unternehmer


Der Anstieg der Gründungsquote lässt sich folglich nicht aus der Veränderung der relevanten Rahmenbedingungen ableiten. Allerdings ist Unternehmertum in den Medien präsenter und positiver konnotiert als vor 20 Jahren. Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung hat sich verändert, wie der GE-Monitor verdeutlicht. Tatsächlich haben sich die Werte zwischen 2018 und 2019 markant verbessert. So gaben beispielsweise 2019 nur noch 24 Prozent der Befragten an, Angst vor dem unternehmerischen Scheitern zu haben. Bei 76 Prozent geniessen erfolgreiche Unternehmensgründer zudem ein hohes Ansehen in der Gesellschaft, und nach Ansicht von 63 Prozent der Befragten berichten die Medien hierzulande häufig über Gründungen.

Sind dies bereits Indizien für eine Start-up-Nation Schweiz? Nicht unbedingt. Denn gleichzeitig erachten nur 40 Prozent der Befragten die Gründung eines eigenen Unternehmens als gute Karriereoption. Zudem werden laut den Befragten in der Schweiz Geschäftsgelegenheiten vergleichsweise weniger wahrgenommen. Massgebend ist aber vor allem, dass die Schweizer TEA-Rate von 9,8 Prozent verglichen mit Kanada (18,2%), den USA (17,4%), Südkorea (14,9%), Israel (12,7%), Irland (12,4%) und Australien (10,5%) noch immer unterdurchschnittlich ist.

Die Anzahl Firmengründungen ist aber nicht der einzige Massstab für die unternehmerische Aktivität eines Landes. Ebenso wichtig sind das Profil der Gründer, ihre Wachstumserwartungen, die von ihnen anvisierten Innovationen sowie die internationalen Aktivitäten. Die Daten zur Überlebenswahrscheinlichkeit von Neugründungen sowie die Motive sind zusätzlich hilfreich.

Reichtum nicht Hauptantrieb


So ist für die Schweiz neben den unternehmerischen Gründungsaktivitäten auch die Rate des etablierten Unternehmertums («Established Business Ownership», EBO) entscheidend. Sie umfasst Unternehmen, die älter als dreieinhalb Jahre sind, und zeigt damit die Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmensgründungen an. Gemäss GE-Monitor belegt die Schweiz diesbezüglich den Spitzenplatz – noch vor den USA und den Niederlanden. Ausserdem stieg die Etablierten-Rate nirgends so schnell an wie in der Schweiz: nämlich von 8,4 Prozent im Jahr 2009 auf 11,6 Prozent im Jahr 2019. Seit 2002, als sie 6,8 Prozent betrug, ist sie stetig gewachsen und hat sich seither fast verdoppelt.

Doch was sind die Motivation der Unternehmensgründer und ihre Pläne für die Zukunft? Rund die Hälfte der aktiven Gründer oder bereits etablierten Unternehmerinnen aus der Schweiz betrachtet Selbstständigkeit lediglich als alternative Beschäftigungsmöglichkeit. 43 Prozent wollen dadurch einen Unterschied in der Welt machen. Das gilt insbesondere für Gründerinnen. Hinsichtlich dieser Motivationen bewegt sich die Schweiz im Durchschnitt der Länder mit hohen Einkommen. Im globalen Vergleich markant unterdurchschnittlich ist jedoch der Schweizer Anteil Unternehmer, die nach «grossem Wohlstand oder sehr hohem Einkommen» streben (38,1%). Auch «eine Familientradition weiterführen» ist nur für 17 Prozent ein Motivationsfaktor. Zum Vergleich: In Deutschland und Irland ist dieser Anteil mit rund 69 Prozent deutlich wichtiger. Allerdings wäre es für die Schweiz wesentlich, dass mehr Unternehmer die Nachfolge als Gründungsantrieb sehen. Denn Übernahmegründungen könnten auf der vorhandenen Reputation aufbauen und so das für die Schweiz essenzielle KMU-System stärken.

Volatile Wachstumserwartungen


Etwas mehr als die Hälfte der Unternehmer schätzt es als realistisch ein, dass sie in den nächsten fünf Jahren mindestens einen neuen Arbeitsplatz schaffen. Von diesen Unternehmern erwarten die meisten, dass die Anzahl neuer Arbeitsplätze nicht höher als fünf betragen wird. Ähnliche Erwartungen haben Unternehmer in Deutschland, Israel, Schweden, Italien, Grossbritannien und den Vereinigten Staaten.

Nur 28 Prozent der TEA-Beteiligten erwarten ein hohes Arbeitsplatzwachstum von sechs oder mehr neuen Arbeitsplätzen in den nächsten fünf Jahren. Ähnlich hoch ist dieser Anteil in Grossbritannien (28,4%) oder den Vereinigten Staaten (32,5%). Nur in Irland (40,9 %) sind die Erwartungen noch höher.

Der Anteil Gründer, die ein hohes Arbeitsplatzwachstum erwarten, ist in der Schweiz seit Beginn der GEM-Umfrage allerdings ausnehmend volatil. Sein Allzeittief erreichte er 2010, im Nachgang zur Finanzkrise, mit nur 9,4 Prozent der Befragten. Nach stetigem Wachstum sind die Wachstumserwartungen von 33,2 Prozent 2017 leicht abgeflaut. Je nachdem, wie lange die aktuelle globale Corona-Krise dauert und wie sie sich auswirkt, ist ein weiterer Rückgang zu erwarten. Zu analysieren ist dann, ob dieser Rückgang konjunktureller oder struktureller Natur ist.

Internationale Kundschaft


Der GE-Monitor misst anhand der Zahl ausländischer Kunden, welche die Start-ups erwarten, auch den Grad der Internationalisierung. Insgesamt erwarten zwei Drittel der neu gegründeten Start-ups in der Schweiz, auch mit ausländischen Kunden Umsatz zu erwirtschaften. Gut ein Viertel davon weist einen starken Internationalisierungsgrad auf, d. h., diese Unternehmen erwarten, mehr als ein Viertel ihrer Einnahmen mit ausländischen Kunden zu generieren. Bei knapp 40 Prozent betragen die erwarteten ausländischen Einnahmen weniger als ein Viertel. Damit haben Schweizer Unternehmen in der Frühphase eine ausgesprochen hohe internationale Ausrichtung verglichen mit anderen Nationen (siehe Abbildung 2).

Im Allgemeinen ist der Anteil exportorientierter Unternehmen in kleinen, insbesondere europäischen Volkswirtschaften grösser. Neben der Schweiz führen Schweden, Irland und Slowenien die Liste der stark exportorientierten Start-up-Nationen an. Aber auch Länder mit recht grossen heimischen Märkten wie Grossbritannien und Deutschland rangieren weit vorne. Wenig exportorientiert sind jedoch Start-ups in Südkorea, den USA und Norwegen.

Abb. 2: Tatsächliche und angehende Firmengründungen (TEA) nach Internationalisierungsgrad (2019)




Quelle: GE-Monitor 2020, Baldegger et al. (2020) / Die Volkswirtschaft

Aufholbedarf bei Digitalisierung


In den letzten Jahren und insbesondere nach der globalen Finanzkrise 2007/2008 ist auch in der Schweiz zu erkennen, dass die Gesellschaft sich nicht mehr allein auf Grossunternehmen oder den Staat als Jobmotor verlassen kann. Vielmehr ist ein agiles unternehmerisches Ökosystem mit kleinen und mittleren Unternehmen als Katalysator der Wirtschaft zu fördern.

Wie der GE-Monitor zeigt, ist eine stärkere Vernetzung der KMU innerhalb der Gründerwelt unerlässlich. Sie schafft langfristig persönliche Beziehungen und neue Netzwerke, von denen die Unternehmer bei einer Unternehmensnachfolge profitieren können. Familienunternehmen haben zudem Aufholbedarf bei der Digitalisierung. Hier haben sie die Möglichkeiten noch nicht gänzlich ausgeschöpft. Bei einer Firmennachfolge sind in den nächsten Jahren deshalb entsprechende Entwicklungen zu erwarten, insofern als die nächste Generation als digital versiert gilt.

Laut ersten Untersuchungen von diesem Sommer für den kommenden GE-Monitor fordern Experten und Gründer eine gezielte Zusammenarbeit zwischen Jungunternehmen und Staat, um Ideen und Regulierungen besser abzustimmen. Es zeigen sich aber auch die Stabilität der schweizerischen Gründerszene und ihr Bemühen, das unternehmerische Potenzial auszuschöpfen und die Veränderungen als Opportunität zu sehen. Dazu müssen neue Geschäftsmodelle entwickelt oder an die neue Situation angepasst werden, um die Produkte und Dienstleistungen in den neuen Märkten erfolgreich zu vermarkten.

  1. Siehe Bosma und Kelley (2019). []
  2. Bosma et al. (2020), S. 71. []
  3. Siehe Bosma und Kelley (2019). []
  4. Die TEA beinhaltet auch Personen, die in den letzten zwölf Monaten eine unternehmerische Tätigkeit beendet haben. []
  5. Darunter sind etwa: Brasilien, Chile, Deutschland, Griechenland, Iran, Irland, Kolumbien, Kroatien, Niederlande, Schweden, Schweiz, Slowenien, Spanien, Taiwan, USA, Grossbritannien. []

Literaturverzeichnis

  • Baldegger, R., Gaudart, R., Wild, P. (2020). Global Entrepreneurship Monitor 2019/2020: Report on Switzerland. Fribourg: School of Management.
  • Bosma, N., Hill, S., Ionescu-Somers, A., Kelley, D., Levie, J., Tarnawa, A. (2020). Global Entrepreneurship Monitor. Babson College, Smith College, and the Global Entrepreneurship Research Association (GERA).
  • Bosma, N., Kelley, D. (2019). Global Entrepreneurship Monitor: 2018/2019 Global Report. Babson Park, MA: Babson College; Santiago, Chile: Universidad del Desarrollo; Seoul, Südkorea: Korea Entrepreneurship Foundation.

Bibliographie

  • Baldegger, R., Gaudart, R., Wild, P. (2020). Global Entrepreneurship Monitor 2019/2020: Report on Switzerland. Fribourg: School of Management.
  • Bosma, N., Hill, S., Ionescu-Somers, A., Kelley, D., Levie, J., Tarnawa, A. (2020). Global Entrepreneurship Monitor. Babson College, Smith College, and the Global Entrepreneurship Research Association (GERA).
  • Bosma, N., Kelley, D. (2019). Global Entrepreneurship Monitor: 2018/2019 Global Report. Babson Park, MA: Babson College; Santiago, Chile: Universidad del Desarrollo; Seoul, Südkorea: Korea Entrepreneurship Foundation.

Zitiervorschlag: Baldegger, Rico J. (2020). Firmengründungen im Höhenflug. Die Volkswirtschaft, 10. November.

Global Entrepreneurship Monitor

Der Global Entrepreneurship Monitor ist die bedeutendste internationale Studie zu Unternehmertum. In der Studie werden alljährlich über 50 Länder analysiert. Seit 2009 organisiert die Hochschule für Wirtschaft Freiburg den darin enthaltenen Länderteil zur Schweiz mit Partnern. Dafür werden schweizweit rund 2500 Personen befragt. Die Rahmenbedingungen wurden von Experten beurteilt. Die Studie vermittelt seit zwei Jahrzehnten ein vertieftes Verständnis darüber, wie sich die unternehmerischen Aktivitäten entwickeln, wie die Gesellschaft gegenüber dem Unternehmertum eingestellt ist und was die individuellen Charakteristiken der Unternehmer sind.