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Onlinehandel im Aufwind

Das Wachstum des Onlineshoppings wird die Corona-Krise überdauern. Gut positioniert sind Unternehmen, die sowohl physisch als auch virtuell präsent sind.

Onlinehandel im Aufwind

Mitarbeiterin des Online-Gemüsehändlers Farmy mit einer Lieferung in Zürich. (Bild: Keystone)

Die Corona-Zeit mit all ihren Facetten hat dem Onlinehandel in der Schweiz kräftigen Schub verliehen. Zu Beginn des Lockdowns im März wurde bald den meisten Onlineanbietern bewusst: Da kommt etwas auf uns zu, was uns bis zum Letzten fordern wird. Die Umsätze im Internet-Detailhandel sind in der Gesamtbetrachtung über die Monate März bis Mai gegenüber der Vorjahresperiode um rund 50 Prozent gestiegen, im Monat April sogar um 70 Prozent.

Nach der ersten Pandemiewelle hielt der Wachstumstrend auf tieferem Niveau an. Für die ersten acht Monate weist der Onlinehandel gegenüber dem Vorjahr ein kumuliertes Plus von 33 Prozent aus (siehe Abbildung). Und das Jahr ist noch nicht zu Ende: Der Weihnachtsverkauf inklusive Black Friday ist normalerweise die wachstumsstärkste Saison im Onlinehandel.

Umsätze im Schweizer Onlinehandel (Januar bis August 2020)




Quelle: Distanzhandel.ch / Die Volkswirtschaft

Der Schluss liegt nahe: Online gewinnt, stationär verliert – aber ist dem wirklich so? Zum einen muss die Prozentzahl relativiert werden: Auf tieferer Basis hohe Wachstumsquoten zu realisieren, ist relativ einfach. Daher sind die absoluten Zahlen relevant. Für 2020 rechnen wir im digitalen Detailhandel gegenüber dem Vorjahr mit einem Plus von knapp 3 Milliarden Franken, wobei der grösste Teil auf den Nichtlebensmittelhandel entfällt.

Unterschiede nach Branchen


Auch für den stationären Handel sah es bis im Herbst aus, als dürfte das Jahr 2020 insgesamt glimpflich verlaufen.[1] Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Stark zulegen konnte der Bereich Food. In der Nichtlebensmittelsparte waren Do-it-yourself-Produkte, Innenausrichtung, Heimelektronik und Sportausrüstungen besonders gefragt. All diese Bereiche wuchsen auch online kräftig. Hart getroffen hat die Krise hingegen Anbieter von Textilien und Luxusgütern wie Schmuck und Uhren – und zwar sowohl stationär als teilweise auch online. In der Gesamtbetrachtung dürfte der Nichtlebensmittelhandel 2020 leicht unter Vorjahr abschliessen. Die Onlineanteile werden wohl in allen Sortimenten weiter steigen – auch in den schwächelnden Bereichen Textil und Uhren/Schmuck.

Trotz Lieferschwierigkeiten im Onlinehandel während des Lockdowns hat die Pandemie die seit Jahren zu beobachtende strukturelle Verschiebung zu mehr Onlineeinkäufen insgesamt verstärkt. Aber auch nach der Wiederöffnung im Sommer wurden fast 30 Prozent mehr Onlineeinkäufe getätigt als in der Vorjahresperiode. Vermutlich trägt die Maskenpflicht im Detailhandel in einzelnen Kantonen zum einen oder anderen zusätzlichen Prozent bei. Generell kann aber festgestellt werden, dass Konsumenten auch nach der Wiederöffnung mehr online bestellen und die einzelnen Warenkörbe mehr Produkte enthalten.

Online treibt stationär


Neben den reinen Onlinehändlern dürften dieses Jahr aber auch viele Omni-Channel-Anbieter zu den Gewinnern zählen. Diese Händler, die stationär und online präsent sind, konnten im Lockdown überproportionale Onlineumsatzzuwächse verzeichnen und vermochten so ihre stationären Verluste etwas zu lindern. Die Webpräsenz zahlte sich auch nach dem Lockdown aus: Anbieter, die auch über einen Onlineshop verfügen, profitierten besonders von stationären Nachholeffekten. Es macht den Eindruck, dass viele stationäre Einkäufe in der Lockdown-Endphase digital vorbereitet und danach stationär «umgesetzt» wurden, sodass einige Nichtlebensmittelhändler nicht nur online, sondern auch stationär über dem Vorjahr liegen.

Insofern können wir aus heutiger Sicht feststellen: Corona hat nicht nur den reinen Onlinehandel forciert; die Pandemie hat vielmehr auch das Kundenbedürfnis nach Omni-Channel-Angeboten aufgezeigt. Der Effekt funktionierte dabei in beide Richtungen: Sparten wie Do-it-yourself, Garten, Möbel und Sportgeräte, die online bisher ein stiefmütterliches Dasein gefristet hatten, erlebten wahre Höhenflüge – und die anfängliche Furcht vor Warenüberbeständen hat sich schnell in eine Haltung «Woher bekomme ich noch…?» gewendet.

Von Maslow und Masken


Gewisse Sortimente konnten hingegen selbst online nur wenig zulegen. Dazu zählen Textilien sowie Uhren und Schmuck. Einige spezialisierte Onlinehändler weisen in diesem Segment sogar Umsatzrückgänge gegenüber dem Vorjahr aus.

Was sind die Gründe? Zum einen dürfte die Nachfrage nach Luxusgütern abgenommen haben, da in der Krise Produkte gefragt waren, die Wohlbefinden und Sicherheit vermitteln. Wenn die maslowsche Theorie noch eines Beweises bedurft hätte, die Corona-Krise hat ihn im Handel geliefert. Was aber den viel grösseren Effekt gehabt haben dürfte und immer noch hat: Die neuen Bewegungsmuster, eingeschränkte Festivitäten und eine ausgefallene Saison haben im Modehandel – auch online – Konsequenzen. Mehr Homeoffice heisst weniger Businesskleidung. Weniger Hochzeiten, Theater und Ausgang wiederum bedeuten weniger Anzüge, weniger Halsketten und «fashionable Chic». Mit anderen Worten: Das Modejahr 2020 ist ins Wasser gefallen. Darüber hinaus macht Fashion-Shopping mit Maske vermutlich weniger Spass als früher, weshalb der Onlinehandel mit Mode trotzdem weiter zulegen dürfte.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Auf heutigen Erkenntnissen aufbauend, wird der digitale Einkauf im Jahr 2020 so stark wachsen wie in den drei vorhergehenden Jahren kumuliert. Für 2021 ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Onlinehandel die Corona-Krise mit gegenteiligen Effekten zu spüren bekommt. Wenn sich das Leben normalisieren sollte, ist es durchaus denkbar, dass der Bereich Textilien und Branchen wie Reisen, Gastro und Events von einer Überkompensation profitieren. Entsprechend vorsichtig und kurzfristig dürften Onlinehändler das Jahr 2021 planen.

  1. Siehe Beitrag von Sandra Wöhlert (GFK) in dieser Ausgabe. []

Zitiervorschlag: Patrick Kessler (2020). Onlinehandel im Aufwind. Die Volkswirtschaft, 19. November.