Suche

Abo

EU plant Leitplanken für Google & Co.

Mit dem «Digital Services Act» und dem «Digital Markets Act» hat die EU-Kommission kurz vor Weihnachten einen grossen Wurf lanciert: Das Gesetzgebungspaket soll den digitalen Raum umfassender regulieren als bisher.

EU plant Leitplanken für Google & Co.

Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb, an der Medienkonferenz vom 15. Dezember 2020. (Bild: Keystone)

Digitale Plattformen wie Facebook, Google und Amazon beherrschen den Markt zusehends. In vielen Staaten fehlt es an griffigen Gesetzen, zudem ist grundsätzlich umstritten, welche Regulierung für die digitale Wirtschaft sinnvoll ist. Im Dezember hat die EU-Kommission ihre Entwürfe für zwei neue Verordnungen – den «Digital Services Act» und den «Digital Markets Act» – veröffentlicht. Damit sollen digitale Märkte umfassender reguliert und geordnet werden, als dies bisher jemals der Fall war. Diskussionen sind daher vorprogrammiert.

Was galt in der EU bisher? Bisher wurden Plattformen in der EU von verschiedenen Regelwerken erfasst. Kernstück bildet die vor nunmehr 20 Jahren erlassene E-Commerce-Richtlinie, die ein System für den Umgang mit illegalen Inhalten im Internet vorsieht, sich ansonsten aber auf ein Minimum an Vorgaben beschränkt. Die fundamentalen gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten zwei Jahrzehnte haben nun Handlungsbedarf aufgezeigt – und so wurde in den letzten Jahren verschiedentlich am bisherigen System geschraubt und weitergebaut. Nebst medial viel beachteten Verschärfungen im Zusammenhang mit der Haftung für Urheberrechtsverletzungen durch Anbieter wie das Videoportal Youtube wurde etwa auch eine sogenannte Platform-to-Business-Verordnung in Kraft gesetzt, die Fairness und Transparenz für Händler auf Onlineplattformen und Suchmaschinen verbessern soll.

Nun sollen diese sektoriellen Vorgaben von einer umfassenden Regulierung eingerahmt werden. Die Konzentration vieler Vorgänge in der Hand einzelner Plattformen wie Facebook, Amazon und Google bereitet der EU Sorgen, und dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs, sondern auch hinsichtlich der Ausübung von Grundrechten im digitalen Raum. Stichworte sind hier etwa die freie Meinungsbildung im politischen Prozess, die durch Fake News bedroht wird, Diskriminierung und Gewaltaufrufe oder der Schutz der Privatsphäre.

Weitere Faktoren, die grosse Techfirmen noch mächtiger werden lassen und Markteintritte und Innovation zunehmend erschweren, sind aus Sicht der EU-Kommission die Nutzung riesiger Datenmengen und der Einsatz leistungsfähiger Algorithmen. Den Plattformen wird vorgeworfen, dass sie die vielen Daten nutzen, um auf Kosten neuer Wettbewerber in neue Märkte vorzustossen. Schon seit Jahren beobachtet die EU die grossen Plattformen argwöhnisch – dies zeigen die verschiedenen kartellrechtlichen Verfahren mit teils hohen Bussen, die die EU-Kommission ausgesprochen hat.

Selbstbewusste Union


Der gesetzgeberische Wille der Union wird von zwei weiteren Faktoren befeuert: Zum einen soll der Zersplitterung des Rechtsraumes durch nationale Regulierungen vorgebeugt werden. So läuft es den Interessen der EU und dem Binnenmarkt diametral entgegen, wenn multiple nationale Regelungen den länderübergreifenden Onlinehandel unterbinden. Zum anderen ist es erklärtes Ziel der EU, selbstbewusst den Techgiganten aus den USA entgegenzutreten: Unter dem Banner der «technologischen Souveränität» verfolgt die EU-Kommission daher verschiedenste Initiativen zur Stärkung der Unabhängigkeit Europas im Techbereich. Entsprechend ist das neue Gesetzespaket nur ein Element unter mehreren, das von diesem neuen Selbstverständnis zeugt. Der Digital Services Act und der Digital Markets Act ergänzen etwa die europäische Datenstrategie sowie Strategien in den Bereichen künstliche Intelligenz, 5G und Cybersicherheit.

Radikale Regulierung


Inhaltlich beruhen die beiden Entwürfe auf drei Säulen. Erstens soll die Verantwortlichkeit für illegale Inhalte im digitalen Raum umrissen und die Position des Konsumenten verbessert werden. Damit verfolgt der Digital Services Act weiterhin die gleiche Stossrichtung wie die bisherige E-Commerce-Richtlinie, die besagt, dass Provider nicht für illegale Inhalte haften, sofern sie eine Reihe von Voraussetzungen einhalten. Dies dürfte durchaus im Sinne der grossen Techfirmen sein, welche ein immenses finanzielles Interesse daran haben, nicht proaktiv Inhalte kontrollieren zu müssen. Das Verfahren des sogenannten Notice-and-Action – des Entfernens illegaler Inhalte auf Anzeige hin – wird aber eingehender reguliert und vereinheitlicht. Deutlich umfassender als bisher sind die Bestimmungen zu Nutzerrechten, Aufsicht, Durchsetzung und Reporting. Hinzu kommen Vorgaben in Bezug auf die Personalisierung von Inhalten mithilfe von Algorithmen und das Ausspielen personalisierter Werbung: Hier müssen Nutzer unter anderem darüber informiert werden, anhand welcher Kriterien ihnen personalisierte Werbung angezeigt wird.

Zweitens gibt der Digital Markets Act grossen Onlineplattformen, die eine «Gatekeeper»-Funktion aufweisen, gesonderte neue Verhaltenspflichten vor. Als Gatekeeper bezeichnet die EU-Kommission Plattformen, die eine Kombination von Kriterien erfüllen, die auf eine grosse Bedeutung im Markt und eine «verhärtete» Marktposition hinweisen (darunter mehr als 45 Millionen aktive Endbenutzer in der EU). Trotz einer auffälligen Nähe zum Kartellrecht und zum Konzept der Marktbeherrschung geht es um die Einführung eigenständiger, neuer Kriterien.

Weit geht die EU-Kommission auch bei der dritten Säule – der Aufsicht über die Akteure im digitalen Raum. So haben alle Mitgliedsstaaten für die Umsetzung des Digital Services Act eine nationale Behörde zu bestellen, und auch im Rahmen des Digital Markets Act sind umfassende Audit- und Sanktionsbefugnisse vorgesehen. Bussen können unter anderem bis zu 10 Prozent des jährlichen Umsatzes umfassen, und als Ultima Ratio soll sogar die Abspaltung von Unternehmensteilen angeordnet werden können.

Verbotene Praktiken


Gewisse strittige Praktiken will die Kommission mit sogenannten Blacklists gleich vorab verbieten. Ein Verbot soll etwa sicherstellen, dass Google und andere Suchmaschinenbetreiber ihre eigenen Produkte in den Suchtreffern nicht gegenüber der Konkurrenz bevorteilen. Ferner soll Amazon den Händlern, die dort aktiv sind, kostenfrei und in Echtzeit Zugang zu denjenigen Daten gewähren, die bei der Konsultation der Angebote des jeweiligen Händlers durch Amazon-Nutzer anfallen.

Weiter ist der EU-Kommission die Vorabinstallation von Apps auf Mobiltelefonen und Tablets ein Dorn im Auge: Bereits 2018 hatte sie in einem kartellrechtlichen Verfahren gegen Google wegen vorinstallierter Apps auf Android-Mobiltelefonen eine hohe Busse ausgesprochen. Mit dem neuen Vorschlag ist diese Begünstigung der eigenen Apps nun zwar weiterhin möglich, verboten ist es jedoch, den Nutzern die nachträgliche Löschung der entsprechenden Apps zu verunmöglichen.

Lange wurde intensiv spekuliert, wie der Gesetzesentwurf der EU-Kommission aussehen würde. Nun wissen wir dies zwar; der Gesetzgebungsprozess hat damit aber erst seinen Anfang genommen. Es wird an EU-Parlament und -Rat sein, darüber zu befinden – in einem Verfahren, das voraussichtlich mindestens eineinhalb bis zwei Jahre dauern wird und bei dem auch in inhaltlicher Hinsicht noch wesentliche Änderungen möglich sind. Klar ist aber bereits jetzt: Die EU ist gewillt, stärker und selbstbewusster als bisher die Onlinewelt zu gestalten und tief in bestehende Strukturen einzugreifen – mit dem Potenzial, die digitale Wirtschaft zu revolutionieren.

Zitiervorschlag: Esther Zysset (2020). EU plant Leitplanken für Google & Co.. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.