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Start-ups vorübergehend in Finanzierungsnöten

Weil persönliche Kontakte nicht möglich und Informationen nicht vorhanden waren, hat die Finanzierung von Jungunternehmen in der Corona-Pandemie vorübergehend gelitten. Doch mit der näher rückenden Distribution des Covid-Impfstoffs steigt das Interesse an Jungunternehmen.
Ausnahme Piëch Automotive: Das Zürcher Start-up hatte keine Finanzierungsschwierigkeiten. Ein Elektroauto des Fahrzeugherstellers am Automobil-Salon Genf 2019. (Bild: Keystone)

«Privatmarkt-Anlagen» sind in der gegenwärtigen Covid-Krise wieder in aller Munde. Dabei handelt es sich um Investitionen in meist kleine, vielversprechende Unternehmen, die noch nicht an der Börse kotiert sind und grosses Wachstumspotenzial haben. In der Schweiz gibt es bei den Privatmarkt-Beteiligungen unterschiedliche Teilmärkte, die sich angebots- wie auch nachfrageseitig stark voneinander unterscheiden. Einer davon ist der Markt für Wagniskapitalfinanzierungen (Venturecapital). Er ist für Jungunternehmen von grosser Bedeutung. Nach einer konzeptionellen Phase, die mit Geldern aus dem Angesparten der Gründer, aus einem Förderfonds oder aus dem Familien- und Freundeskreis finanziert wird, erfolgt der nächste Schritt häufig mit Mitteln von sogenannten Business Angels, welche das Start-up auch mit Know-how beraten und ihr Netzwerk zur Verfügung stellen. Auch sie stammen aus dem unmittelbaren Umfeld, meistens aus demselben Land. Für die Jungunternehmen setzt dies Nähe, Kommunikationsgeschick und viele Präsentationen voraus: Erstkontakte also, die im Lockdown vom Frühling 2020 völlig unterbrochen und im Grunde genommen während fast des gesamten letzten Jahres prinzipiell erschwert waren.

Bis Ende 2019 liessen sich Business Angels nur ungern auf reine Onlinepräsentationen ein. Denn zu ihrer sorgfältigen «Due Diligence»-Prüfung zählten jeweils der persönliche Kontakt, die Inspektion eines Prototyps sowie ein vertrauensbildendes Finanzierungsgespräch unter vier Augen. Vermutlich dürfte sich dies im Jahr 2020 dauerhaft geändert haben. Gewiss bleiben Wagniskapitalfinanzierungen nachhaltig digital – sowohl in der Anbahnung und der sorgfältigen Finanzierungsprüfung wie auch in den Verhandlungen. Ein Beispiel dafür sind die digitalen «Data Rooms», die bereits in einer frühen Phase Entscheidungsgrundlagen für alle Stakeholder bereitstellen. Wer damit vertraut ist, profitiert. Und das sind in erster Linie die erfahrenen Wagniskapital-Gesellschaften, deren Coaching in der Frühphase eines Jungunternehmens zentral ist.

Grosse Investitionsrunden schwierig


Ist das Start-up gereift und technologisches Know-how patentrechtlich gesichert, kann es sich um institutionelle Mittel bei Schweizer und bei ausländischen Venturecapital-Fonds bewerben. Das geschieht zunächst in einer ersten Finanzierungsrunde («Series A») und später in Folgerunden («Series B», «C» etc.). Sowohl in der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) wie auch in der Bio- und Medizinaltechnik waren im ersten Halbjahr 2020 relativ viele derartige Transaktionen zu beobachten. Im selben Zeitraum wies die Schweiz in diesen Branchen also eine erhöhte Resilienz auf. Im zweiten Halbjahr haben die Finanzierungen sogar wieder zugenommen, insbesondere auch die grossen Finanzierungsrunden, die in der Schweiz im ersten Halbjahr 2020 deutlich zurückgegangen sind. Dasselbe gilt für Europa und auch für Deutschland. Bei den Erstrundenfinanzierungen hat sich die Marktlage im zweiten und dritten Quartal 2020 spürbar verbessert. Es zeichnet sich in dieser Hinsicht insgesamt ein relativ erfreuliches Jahr ab.

Das gilt ebenso für die grossen Folgefinanzierungen. Wie üblich ist auch im laufenden Jahr der Grossteil des Venturecapitals nicht in Erstrunden-, sondern in Folgefinanzierungen geflossen. Diese sind mit geringeren Risiken behaftet, was mehr Kapital anzieht: Man kennt das Management, ist mit dem Geschäftsmodell vertraut, verfügt über ein adäquates Reporting, und teils sieht man bereits Umsätze oder positive Cashflow-Entwicklungen. 2020 waren diese Finanzierungen zunächst jedoch stark rückläufig. Der Grund: Oftmals werden sie von US-amerikanischen Finanzinvestoren dominiert, deren Reisetätigkeit seit März 2020 jedoch stark eingeschränkt blieb. Weil am Anfang der Corona-Krise vieles neu war, wurden die Verhandlungsprozesse verzögert.

Ausnahmen gibt es


Mit überzeugenden Konzepten blieben vereinzelte grosse Runden immer noch möglich. Wenn ein vielversprechender Deal mit der digitalen, der elektronischen oder der biotechnologischen Zukunft verbunden ist, sind auch weiterhin Transaktionen in einer Höhe von mehr als 100 Millionen Franken möglich. Allerdings liegt hier die Leaderrolle fast immer bei amerikanischen Wagniskapital-Fonds. In Europa gibt es bis auf wenige Ausnahmen wie die Zürcher Venturecapital-Firma Lakestar, die Genfer Index Ventures und den Europäischen Investitionsfonds (EIF) nach wie vor kaum solche grösseren Fonds.

Noch 2019 konnte die in der Schweiz gegründete Firma Get Your Guide mit Hauptsitz in Berlin dank eines US-Wagniskapital-Fonds eine grosse Finanzierungsrunde im dreistelligen Millionenbereich abwickeln. Die Firma betreibt eine Website, auf der Touristen Führungen und Ausflüge buchen sowie Eintrittskarten reservieren können. 2020 musste sich das Unternehmen Corona-bedingt radikal verkleinern. Mit einer Wandelanleihe im Umfang von 114 Millionen Euro (grösstenteils aus dem Ausland) wurde das Unternehmen im vierten Quartal 2020 doch noch über Wasser gehalten.

Ein positiveres Jahr hatte Piëch Automotive. Das mit hochkarätigen Automobilfachkräften besetzte Zürcher Start-up aus dem Umfeld der Porsche-Familie konnte sich Investitionen sichern, um einen neuartigen E-Sportwagen zu kreieren. Auch dass eine zukünftige Folgefinanzierung des Unternehmens erfolgreich sein wird, bezweifelt kaum jemand. Denn der Investor Peter Thiel – einer der Ersten, die in Facebook investiert haben – ist ebenfalls mit einem gewichtigen Anteil engagiert. Solche Start-ups dürften aber weniger von Wagniskapital-Fonds als vielmehr von kapitalstarken Family-Offices getragen werden, deren Zweck die Verwaltung des privaten Vermögens der Eigentümerfamilie ist.

Im Biotech-Bereich ragte die Basler Firma Vectivbio mit einer Finanzierungsrunde von 110 Millionen Dollar heraus. Die vierzehn Investoren waren allesamt ausländische Wagniskapital-Fonds, und vier davon hatten bereits vorher investiert. Die Firma entwickelt Medikamente für Patienten mit schweren seltenen Krankheiten. Die Finanzierungsrunde wird zur Unterstützung des Phase-III-Programms von Vectivbios führendem Präparat Apraglutid zur Behandlung des Kurzdarmsyndroms verwendet. Zudem dienen die Mittel  Kommerzialisierungsaktivitäten sowie der Entwicklung weiterer Medikamente.

Für die Erprobung von Präparaten war das Jahr 2020 wenig erfreulich, weil sich die Patientenrekrutierung wegen Covid-19 als hürdenreich erwies. Gerade bei seltenen Krankheiten fehlten manchmal die Möglichkeiten, die Behandlungsformen physisch zu besprechen, weil es sich bei den Beteiligten typischerweise um ausgewählte, über Europa verteilte Universitätskliniken handelt. Die internationale Reisetätigkeit blieb über längere Zeit eingeschränkt, der grenzüberschreitende Verkehr von Präparaten erschwert, und Konferenzen wurden abgesagt respektive online abgehalten. Dadurch wurden zentrale Innovationssprünge verzögert, die erfahrungsgemäss gleichermassen aus systematischen wie auch aus beiläufigen Treffen von Forscherinnen und Forschern entstehen.

Staatliche Investitionsfonds stabilisieren


Das zeigt sich auch bei den Patentanmeldungen. Sowohl in der Schweiz wie auch in ganz Europa ist 2020 ein spürbarer Rückgang ersichtlich. Doch selbst wenn die Finanzierungen gegenüber dem Vorjahr je nach Branche um rund 15 bis 25 Prozent gesunken sind, halten sie sich im Mehrjahresvergleich auf hohem Niveau. Das berichtete im Oktober der europäische Branchenverband Invest Europe. Diese Stabilisierung hängt auch damit zusammen, dass in einigen Ländern staatliche Ankeraktionäre vorhanden sind, die in der Corona-Krise gezielt die Finanzierung von Start-ups aufrechterhalten mussten: In Deutschland ist das KFW, in Frankreich Bpi France, in Grossbritannien Innovate UK und in der Europäischen Union der EIF.

Zu hoffen bleibt, dass sich die Wagniskapital-Bewegung (Fundraising, Finanzierung und Exits) in Europa weiterentwickelt. Denn die Fondsmanager leisten in der Regel nicht nur Finanzierung, sondern begleiten die Start-ups frühzeitig in die jeweiligen Schlüsselmärkte. Doch die Zeichen stehen nicht nur gut. Insbesondere die Exits haben 2020 gelitten. Zu einem Exit kommt es bei einem Verkauf an einen Wettbewerber oder an einen Konzern. Doch die Fusionen und Übernahmen haben im laufenden Jahr nachgelassen, obwohl gerade sie ein hervorragendes Argument im Fundraising sind. Im Jahr 2021 dürften die Übernahmen und Börsengänge allerdings wieder deutlich zunehmen.

Unternehmen investieren lieber direkt


In Europa zeichnet sich ein anderer deutlicher Trend ab: Immer mehr Finanzierungen verlaufen nämlich über nicht traditionelle Kanäle für Wagniskapital wie langfristig engagierte Family-Offices, serielle Unternehmerpersönlichkeiten und Corporate Venturecapital.

Insbesondere die zunehmende Entwicklung von Corporate Venturecapital (CVC) liess sich durch Covid-19 nicht aufhalten. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die sich mit Fonds oder separierten Eigenmitteln direkt auf den Markt begeben, um sich den Zugang zu innovativen Jungunternehmen zu sichern. Firmen, die so investieren, nehmen in der Schweiz zu. Zu den bekannten CVC-Investoren wie Nestlé, Roche, Novartis, Swisscom, Post und Zürcher Kantonalbank gesellten sich die Versicherer Bâloise, Helvetia und Vaudoise, die Krankenkasse CSS, die Berner Kantonalbank sowie die Schweizer Börse SIX.

Interessant ist zudem, dass in der Schweiz seit einem Jahr die rekordhohe Zahl von rund 20 Wagniskapital-Fonds um frische Finanzierungsmittel ringt. In Europa gibt es derzeit sogar knapp 300 sogenannte Firsttime-Venturecapital-Fonds, die nun erstmals in Start-ups investieren wollen und sich derzeit bei allerlei Investoren im Fundraising befinden. Im Gegensatz zu den USA sind die Pensionskassen dabei höchstens am Rande involviert; mit ihrer Unterstützung ist deshalb kaum zu rechnen. In den meisten Schweizer Wagniskapital-Fonds liegt der Investitionsanteil von Pensionskassen bei null Prozent. Und in den Anlagen aller Schweizer Pensionskassen macht Wagniskapital nur rund 0,2 Prozent aus, obschon es seit acht Jahren die bestrentierende Anlageklasse Europas ist.

Unternehmenskäufe könnten zunehmen


Deutlich höher gewichten die Pensionskassen Private Equity, das heisst, es werden Mittel für Beteiligungen an nicht kotierten Unternehmen zur Verfügung gestellt. Hier liegt der Anteil im durchschnittlichen Pensionskassenportfolio mittlerweile bei 2,5 Prozent. Allerdings fliesst das entsprechende Geld selten in Schweizer Unternehmen. Meistens sind es global ausgerichtete Fonds mit einer globalen Anlagetätigkeit. Dabei stehen Management-Buy-outs – so nennt sich eine Firmenübernahme durch das Management unterstützt mit Private-Equity-Mitteln – insbesondere von hoffnungsvollen reiferen Unternehmen mit erheblichem Wachstumspotenzial im Vordergrund.

Unklar bleibt, weshalb viele Pensionskassen das grosse Wertschöpfungspotenzial kaum nutzen. Jedenfalls weisen die transparenten Privatmarktgefässe des auf Private Equity spezialisierten Schweizer Vermögensverwalters Partners Group seit mehr als zehn Jahren eine rund 3 Prozent höhere Nettorendite als der Aktienmarkt auf. Und Europas erfahrenster Investor, der Europäische Investitionsfonds, erzielte seit 2012 mit jährlich 13,9 Prozent Nettorendite (IRR) sogar höhere Renditen als die meisten US-amerikanischen Vergleichsfonds.

Die Schweiz ist im Private-Equity-Bereich bisher vor allem zum Anlageziel geworden. Das Zürcher Bankensoftware-Unternehmen Avaloq, an welchem der amerikanische Private-Equity-Fonds Warburg Pincus seit 2017 massgeblich beteiligt war, wurde im Oktober 2020 mit einem hohen Gewinn für 2,05 Milliarden Franken an den japanischen Technologiekonzern NEC Corporation veräussert.

Die aktuelle Corona-Krise hat viele Konzerne dazu gebracht, ihr Portfolio strategisch zu überprüfen. Solange die Marktunsicherheiten gross waren, liessen sich jedoch nicht die gewünschten Verkaufserlöse erzielen. Deshalb kann damit gerechnet werden, dass ab Frühjahr 2021 – respektive wenn sich die Erfolge in der Behandlung wie auch bei der Distribution der wirksamen Impfstoffe immer stärker manifestieren – zahlreiche Transaktionen stattfinden werden, die mit Private-Equity-Geldern finanziert werden. Denn für Buy-outs ist grundsätzlich genügend Liquidität («Dry Powder») vorhanden, aber die anlegerische Disziplin der erfahrenen Marktteilnehmer wie etwa Partners Group und Capvis aus dem Kanton Zug sowie LGT Capital Partners aus dem Kanton Schwyz mahnt zur Zurückhaltung.

Zitiervorschlag: Maurice Pedergnana (2020). Start-ups vorübergehend in Finanzierungsnöten. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.