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Meinungsbildung: Bedeutung von Onlinemedien wächst

Die öffentliche Meinung wird immer mehr beeinflusst durch die sozialen Medien, wo journalistische Standards fehlen. Gleichzeitig leidet die Medienvielfalt in der Schweiz auf Ebene der Regionen. Die Politik ist gefordert – aber wie sieht eine kluge Medienpolitik aus?
Der Anteil Radiohörer ist in allen Altersgruppen gleich gross. «Echo der Zeit»-Sprecherin Simone Hulliger im SRF-Radiostudio. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Medienlandschaft befindet sich im Umbruch. Nur noch in wenigen Regionen gibt es heute eine eigenständige Regionalzeitung, die nicht zu einem der grossen Verlage gehört. Eine zweite Zeitung gibt es, wenn überhaupt, nur noch in den grossen Zentren. Immer mehr Regionalzeitungen werden für die überregionalen Inhalte von einer Zentralredaktion beliefert. Vor allem jüngere Personen bilden sich ihre Meinung zunehmend in den sozialen Medien statt aus journalistisch aufbereiteten Quellen. Diese Entwicklungen haben Auswirkungen darauf, wie wir Informationen wahrnehmen, uns als Gesellschaft orientieren und wie politische Entscheide gefällt werden. Deshalb ist es für Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung essenziell, diese Tendenzen in der Schweizer Medienlandschaft auf der Basis von Fakten nachverfolgen zu können. Denn erst eine systematische Beobachtung bietet eine fundierte Basis für medienpolitische Entscheide.

Ein solches Instrument ist der Medienmonitor Schweiz. Dieser wird seit 2017 jährlich im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) erstellt, um die Entwicklung der Schweizer Medienlandschaft systematisch abzubilden und transparent zu machen. Mit dem Medienmonitor kann über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt werden, wer Meinungsmacht in der Schweiz hat und wie sich diese entwickelt. Meinungsmacht ist das Potenzial, Meinungen zu beeinflussen. Medienangebote und -unternehmen können Meinungsmacht ausüben, wenn sie mit ihren redaktionellen Angeboten überzeugen, wenn sie ein grosses Publikum erreichen oder beides zusammen (siehe Kasten).

Konzentration der Meinungsmacht


Grundsätzlich hat die Schweiz gemäss den Autoren des Medienmonitors auch 2019 nach wie vor eine vielfältige Medienlandschaft. Dennoch zeigt der Medienmonitor klare Tendenzen, dass sich die Meinungsmacht konzentriert. Vor allem auf Ebene der Regionen zeigt sich der zunehmende Einfluss der grossen Schweizer Medienkonzerne. Unabhängige Verlage verschwinden zunehmend, oder sie werden in die Redaktionssysteme der grossen Unternehmen integriert. Der Grund dafür ist wirtschaftlicher Art: Für die Unternehmen ist es profitabler, in Angebote zu investieren, die sich an ein zahlenmässig grösseres Publikum richten, als in ausschliesslich regional ausgerichtete Publikationen.

Ein Gegengewicht zu den stärksten, kommerziell orientierten Schweizer Medienkonzernen bilden die Service-public-Angebote der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG): Die SRG ist in allen untersuchten Regionen das meinungsmächtigste Angebot. Diese starke Stellung ist allerdings für die Meinungsbildung unproblematisch. Denn im Gegensatz zu den rein kommerziellen Angeboten ohne Leistungsauftrag ist die SRG gemäss Konzession zu inhaltlicher Vielfalt und zu ausgewogener Berichterstattung verpflichtet.

Junge nutzen soziale Medien


Die klassischen Medien Radio, TV und Print haben nach wie vor ein grosses Potenzial, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Am grössten ist dieses beim Fernsehen – und zwar in allen Altersgruppen ausser bei den 15- bis 29-Jährigen (siehe Abbildung). Am meisten verliert die Presse an Meinungsbildungspotenzial, doch dieser Rückgang wird teilweise von den journalistischen Onlineangeboten der Verlage aufgefangen.

Meinungsmacht nach Medium und Altersgruppe (2018/2019)




Quelle:  Medienmonitor Schweiz / Die Volkswirtschaft

 

Anders die Jungen: Bei den 15- bis 29-Jährigen haben die sozialen Medien klar das grösste Potenzial, die Meinung zu beeinflussen, gefolgt von Radio, journalistischen Onlinemedien und der Presse. Das Fernsehen, das bei allen anderen Altersgruppen das grösste Meinungsbildungspotenzial hat, liegt bei ihnen auf dem letzten Platz. Das Meinungsbildungspotenzial der sozialen Medien nimmt stetig zu. Im Vergleich zu Radio, Fernsehen, Presse und journalistischen Onlinemedien ist die Zunahme der Meinungsmacht vor allem auf die hohe Reichweite dieser Angebote zurückzuführen. Die Nutzung zu Informationszwecken steht bei den sozialen Medien nicht im Vordergrund.

Dennoch ist der Abfluss an Meinungsmacht hin zu den sozialen Medien problematisch. Denn bei den unter 30-Jährigen kann so ein Meinungsklima entstehen, das nicht in erster Linie journalistisch geprägt ist. Der Grund: Über die Social-Media-Plattformen können grundsätzlich alle Personen und Organisationen öffentlich kommunizieren.

Die Plattformen überwachen dabei einzig, dass die von ihnen gesetzten Regeln eingehalten werden. Das unterscheidet sie von journalistischen Medien mit einer professionellen Redaktion, deren Mitarbeitende der Wahrheit verpflichtet sind und sich an medienethische Standards der Branche[1] halten. Dazu gehört beispielsweise der Grundsatz, dass eine Meldung auf mindestens zwei unabhängigen Quellen beruhen muss, bevor sie verbreitet wird, dass Quellen transparent gemacht werden, dass eine angeschuldigte Person zu Vorwürfen Stellung nehmen kann und dass Fakten und Kommentare erkennbar getrennt werden.

Die sozialen Medien ermöglichen damit auch die Verbreitung unwahrer, irreführender, diskriminierender und rassistischer Inhalte oder von Aufrufen zu Gewalt durch Dritte, die in den journalistischen Medien nicht aufgenommen würden. Solche Inhalte können Misstrauen säen und zu gesellschaftlichen Spannungen führen.

Politik ist gefordert


Diese Entwicklung muss die Politik ernst nehmen und weiterhin beobachten. Der Staat ist gefordert, für die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Medienbranche günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine verlässliche, vielfältige Medienlandschaft in allen Regionen zu erhalten. Die Politik hat diese Dringlichkeit erkannt und diskutiert derzeit ein Massnahmenpaket zur Unterstützung der Medien.[2]

Für ein direktdemokratisches Land wie die Schweiz ist es besonders wichtig, dass die Bevölkerung sich eine freie Meinung bilden kann. Zur Befriedigung ihrer Informationsbedürfnisse sollen Bürger und Bürgerinnen deshalb unterschiedliche Medien zur Auswahl haben, die Themen, Meinungen und Akteure vielfältig abbilden und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Dies ist auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive gefordert: Gemäss der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit[3] muss der Staat eine vielfältige Medienordnung gewährleisten. Die Medien können ihre wesentliche Meinungsbildungs- und Kontrollfunktion nur wirksam wahrnehmen, wenn sie möglichst vielfältige Ansichten und Themen in die Öffentlichkeit tragen.

Das betrifft auch das Mediennutzungsverhalten der unter 30-Jährigen, die mehrheitlich online kommunizieren. Damit setzt sich der Trend fort: weg von Zeitung und Fernsehen und hin zu Onlineangeboten und sozialen Medien. Damit auch diese Altersgruppe Zugang zu zuverlässigen Informationen hat, muss die Medienförderung des Bundes angepasst werden und auch Onlineangebote mit einbeziehen. Nur so kommt sie der gesamten Bevölkerung zugute.

Beim Service public der SRG wurde dieser Anspruch mit der angepassten Konzession von 2019[4] bereits umgesetzt: Junge Menschen sollen besser erreicht werden. Die SRG wird verpflichtet, Angebote bereitzustellen, die eine altersgerechte Orientierung bieten und die Beteiligung der jungen Menschen am politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben fördern. Sie muss ihre Angebote auch online in geeigneter Form verbreiten können.

Regionale Printmedien fördern


Der Medienmonitor zeigt aber noch eine andere Entwicklung: Der Einfluss der grossen Konzerne in den Regionen nimmt zu. Deshalb muss die Politik die Medienförderung auch über den Service public hinaus an die veränderten Nutzungsgewohnheiten und Rahmenbedingungen anpassen.

Konkret bedeutet dies, dass die gedruckte Presse im Strukturwandel unterstützt werden sollte. Dazu beabsichtigen Bundesrat und Parlament, die indirekte Presseförderung über die Zustellermässigung der Post auszubauen. Gerade kleinere, unabhängige Verlagshäuser erhalten durch den Ausbau der indirekten Presseförderung nochmals Zeit, um sich an die geänderten wirtschaftlichen Bedingungen (sinkende Einnahmen aus Werbung und Abonnementen) anzupassen. Dort, wo noch unabhängige und funktionsfähige redaktionelle Organisationen bestehen, erhöht sich mit der Massnahme die Chance, dass diese eine Zukunft haben.

Der zunehmenden Konzentration von Meinungsmacht bei den grossen Medienkonzernen soll zudem ein Vorschlag des Ständerates entgegenwirken: Die Zustellermässigung soll künftig degressiv ausgestaltet werden. Abonnierte Zeitungen und Zeitschriften, die regional ausgerichtet sind, erhalten so pro ausgeliefertem Exemplar einen höheren Unterstützungsbeitrag als Publikationen mit grosser Reichweite.

Gleichbehandlung für Onlinemedien


Zusätzlich debattiert das Parlament derzeit auch über eine zeitlich beschränkte Unterstützung für abonnierte Onlinemedien. Obwohl immer mehr Menschen journalistische Onlineangebote nutzen und diese für die Meinungsbildung an Bedeutung gewinnen, ist die Zahlungsbereitschaft im Internet geringer als für ein Zeitungsabonnement. Auch die Werbeeinnahmen fallen im Internet tiefer aus als in gedruckten Zeitungen, da die Einnahmen aus digitaler Werbung zu einem grossen Teil zu den ausländischen Technologiekonzernen fliessen.

Zudem braucht es besonders für die unter 30-Jährigen, für die Social-Media-Angebote bei der Meinungsbildung immer wichtiger werden, attraktive Alternativen im Internet, die Informationen nach journalistischen Standards aufbereiten. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich ihre Meinung zunehmend in einem Klima bilden, das mit irreführenden Informationen, diskriminierenden und rassistischen Inhalten oder Aufrufen zu Gewalt durchsetzt ist.

Damit sich Onlineangebote von traditionellen Medienhäusern wie auch neue Angebote trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen etablieren können, will der Bundesrat diese baldmöglichst unterstützen. Um der zunehmenden Konzentration in den Regionen entgegenzuwirken, soll auch diese Förderung degressiv ausgestaltet sein und somit konzernunabhängige Medienangebote bevorzugen.

  1. Siehe Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten auf Presserat.ch. []
  2. Siehe Massnahmenpaket zugunsten der Medien auf Bakom.admin.ch. []
  3. Siehe Art. 16 und 17 BV. []
  4. Siehe Medienmitteilung: «Neue SRG-Konzession: Mehr Service public» vom 29.08.2018 auf Bakom.admin.ch. []

Zitiervorschlag: Susanne Marxer, Simona Schmid, (2021). Meinungsbildung: Bedeutung von Onlinemedien wächst. Die Volkswirtschaft, 23. Februar.

Methodik des Medienmonitors

Der Medienmonitor misst die Meinungsmacht von Medienangeboten anhand der Markenleistung und der Marktmacht. Die Markenleistung wird mittels einer standardisierten Befragung erhoben und gibt an, wie glaubwürdig, kompetent, sympathisch und relevant das Publikum ein Medienangebot einschätzt, kurz: ob das Medium überzeugt. Die Marktmacht bemisst sich anhand der Nutzung der einzelnen Angebote und basiert mehrheitlich auf Sekundäranalysen der offiziellen Nutzungsdaten der Branchen (Wemf, Mediapulse sowie eigene Erhebungen für die sozialen Medien). Zudem fliesst in den Index der Meinungsmacht mit ein, wie wichtig ein Medienangebot aus Sicht des Publikums für seine Informationsgewinnung ist.

Die Studie misst allerdings keine absolute Wirkung, sondern vergleicht das relative Einflusspotenzial von unterschiedlichen Medien für die Meinungsbildung. Die Zahlen geben also ein Bild davon, wie stark die Mediengattungen, Unternehmen und einzelnen Angebote im Vergleich zueinander die Meinungsbildung beeinflussen können. Unter Medienmonitor-Schweiz.ch ist die ganze Publikation frei zugänglich, und die Daten sind einfach abrufbar. Mit den Beteiligungen ist dort auch systematisch abgebildet, zu welchem Konzern ein bestimmtes Medienangebot gehört.