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«Das Schweizer Kreuz ist uns zu aggressiv»

Die Bündner Outdoormarke Rotauf setzt «radikal» auf Swissness, verzichtet beim Marketing aber auf das Schweizer Kreuz. In der Schweiz könne man die Hersteller besser kontrollieren als im Ausland, sagt Peter Hollenstein, Geschäftsführer des KMU. Doch was tun angesichts der hohen Löhne?
«Zu Swissness zählt auch die Bergwelt»: Rotauf-Chef Peter Hollenstein am Rhein bei Chur. (Bild: Rotauf)

Herr Hollenstein, wie ist Ihr KMU bisher durch die Corona-Krise gekommen?


Sehr gut – wir haben den Umsatz gesteigert und konnten eine zusätzliche Person einstellen. Wir profitieren davon, dass lokale Produkte in der Krise beliebt sind und der Onlinehandel boomt. Allerdings ist die Herstellung der Produkte während der Corona-Krise schwieriger geworden.

Was war das Problem?


Unsere Partner waren unter Druck, weil einige ihrer Kunden Aufträge stornierten und die Lieferketten unterbrochen waren. Wegen nicht gelieferter Reissverschlüsse aus Japan stand zum Beispiel vorübergehend die Produktion eines Zulieferers still.

Während des ersten Lockdowns lancierte Rotauf eine Crowdfunding-Aktion, um der «Schweizer Textilindustrie unter die Arme zu greifen». Damit konnte man beispielsweise die Produktion von Rotauf-T-Shirts vorfinanzieren. Was war die Idee dahinter?


Manche unserer Zulieferer befürchteten, die Krise nicht zu überleben. Mit dem Crowdfunding wollten wir Gegensteuer geben und möglichst viele Aufträge hereinholen. Die Solidaritätswelle hat uns dann aber schon überrascht. Im Sommer nahmen wir mit dem Crowdfunding rund eine halbe Million Franken ein. So konnten wir auf Kurzarbeit verzichten – und waren so gut ausgelastet wie noch nie.

Was bedeutete das Crowdfunding für Ihre Zulieferer?


Einzelne Kleinstbetriebe kommen dank unseren Aufträgen gut über die Runden und können ebenfalls auf Kurzarbeit verzichten. Beispielsweise arbeiten wir mit einer kleinen Trachtennäherei zusammen: Statt Appenzeller Trachten zu schneidern, nähen und verkleben sie nun Outdoorjacken für uns. Aber allgemein gilt: Die Krise ist noch nicht vorbei. Im Verlauf der Pandemie waren immer wieder ganze Belegschaften in Quarantäne oder bezogen Kurzarbeit. Viele Schweizer Textilfirmen leiden weiterhin unter Umsatzeinbussen – und das in einer Industrie, die sich schon vor der Corona-Krise nur knapp über Wasser halten konnte.

Die Schweiz ist als Produktionsstandort teuer. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?


Damit wir gegenüber Mitbewerbern wie Mammut oder Arc’teryx preislich mithalten können, verzichten wir komplett auf den Vertrieb über Zwischenhändler. So sparen wir die Handelsmarge ein, welche im stationären Handel bis zu 60 Prozent betragen kann. Unsere Kleider verkaufen wir ausschliesslich über unseren Onlineshop. Auch unsere Budgets für Marketing und Administration halten wir auf dem absoluten Minimum. So können wir aus unserer Sicht trotz hoher Herstellungskosten faire Preise anbieten – aber günstig sind unsere Produkte nicht.

Welche Zukunft sehen Sie für die Schweizer Textilindustrie generell?


Die Schweizer Textilindustrie hat eine Zukunft. Wer langfristig überleben will, muss sich jedoch auf Nischen konzentrieren und innovativ bleiben. Wer dies tut, kann für Schweizer Qualität durchaus einen Aufpreis verlangen. Beispielsweise geniessen Schweizer Stoffhersteller im arabischen Raum ein hohes Ansehen, weshalb sie dort höhere Preise als die Konkurrenz verlangen können. Vielfach hapert es aber in der Kommunikation und der Vermarktung. Und in diese Lücke stossen wir als Rotauf.

Wir erzählen die Geschichte der Herstellung

Wie machen Sie das?


Wir sind das kommunikative Bindeglied zwischen Konsumenten und Produzenten. Beispielsweise filmen wir die Hersteller und stellen die Videos auf unsere Website oder auf Instagram. Viele Produzenten kennen sich nicht mit den sozialen Medien aus.

Auf Instagram setzen Sie auf schöne Landschaftsbilder, auf denen man beispielsweise Eiskletterer in Rotauf-Kleidern sieht.


Wir gehen beim Marketing zwei Wege: Einerseits präsentieren wir die Outdoorkleider in der Schweizer Bergwelt – das löst Emotionen aus. Andererseits erzählen wir die Geschichte der Herstellung: Von welchen Schafen stammt die Merinowolle? Wer hat die Jacke hergestellt?

Was ist Swissness für Sie?


Swissness in der Textilbranche würde ich definieren als die lange Tradition und das Know-how. Viele unserer Partnerbetriebe sind über 100-jährig. Zu Swissness zählt aber auch die Bergwelt.

Als Vision streben wir 100 Prozent Swissness an

Damit man ein Kleidungsstück als «Swiss made» bezeichnen kann, müssen gemäss der Swissness-Gesetzgebung mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten im Inland anfallen. Wie hoch ist dieser Wert bei Rotauf?


Bei uns beträgt der Swissness-Anteil durchschnittlich etwa 85 Prozent.

Streben Sie 100 Prozent an?


Als Vision – praktisch ist das aber kaum möglich. Es gibt in der Schweiz schlicht zu wenig Rohstoffe. Wir haben keine Baumwolle und keine synthetischen Fasern. Ein gewisses Potenzial besteht zwar bei der Merinowolle und beim Industriehanf. Bis daraus eine Industrie wird, ist es aber ein langer Weg – bei der Merinowolle haben wir letztes Jahr in einem Pilotprojekt gerade mal 50 Kilogramm von Schweizer Schafen bezogen, und auch der Anbau von Industriehanf steckt noch in den Anfängen.

Die Swissness-Gesetzgebung ist seit vier Jahren in Kraft. Kritiker bezeichnen die Vorgaben als bürokratisch. Wie gross ist der Aufwand für Rotauf?


Die Gesetzgebung beschert uns kaum Mehraufwand. Da Swissness zu unserem Kerngeschäft gehört, erfassen wir standardmässig alle Komponenten in Stücklisten und berechnen den Wert der einzelnen Vorprodukte. Ich kann mir aber vorstellen, dass das für manche Firmen ein bürokratischer Aufwand ist.

Hat die Gesetzgebung den Geschäftsgang positiv beeinflusst?


Nein. Die Nachfrage hat meines Wissens nicht angezogen, ich war damals aber noch nicht bei Rotauf. Was wir jedoch bemerken, ist, dass viele Kunden wissen wollen, ob und wie wir mehr als 60 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz erzielen. Diese Schwelle ist aus ihrer Sicht etwas tief angesetzt.

Auch in Vietnam und China gibt es Top-Firmen

Die Swissness-Gesetzgebung will den Missbrauch der Marke Schweiz verhindern. Was halten Sie davon?


Ich finde das gut. Es gibt aber nach wie vor eine gesetzliche Grauzone. Manche Unternehmen schreiben statt «Swiss made» nun einfach «Swiss engineered» oder «designed in Switzerland» darauf. Dabei wäre es gar nicht so schwierig, die 60-Prozent-Schwelle zu erreichen – mit einem Verarbeitungsschritt in der Schweiz hat man diese oft schon überwunden.

Ist die Qualität in der Schweiz grundsätzlich besser als im Ausland?


Das Qualitätslevel ist insgesamt hoch. Aber auch in Vietnam und China gibt es Top-Firmen, die sich qualitativ nicht verstecken müssen.

Warum setzen Sie nicht auf diese günstigeren Zulieferer?


Nebst der Qualität sind für uns faire Arbeitsbedingungen und Umweltverträglichkeit wichtig. Wir wollen sicherstellen, dass bei der Produktion keine giftigen Chemikalien eingesetzt werden und dass die Näherinnen einen anständigen Lohn erhalten. Die externen Kosten der globalen Textilindustrie werden leider – statt auf die Konsumenten – meist auf die lokale Bevölkerung und die Natur überwälzt. Das ist nicht nachhaltig. Wir wollen aufzeigen, dass es auch anders geht.

In Ihrem früheren Job waren Sie Nachhaltigkeitsverantwortlicher bei Mammut – was waren dort Ihre Erfahrungen?


Es gibt durchaus auch Erfolge bei der Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten. Aber letztlich ist es ein Kampf gegen Windmühlen: Aus der Schweiz heraus die Produktion in Vietnam zu kontrollieren und die Produkte zurückzuverfolgen, ist extrem schwierig. Zudem sind die Wege in der Schweiz viel kürzer: In einer Stunde sind wir bei all unseren Zulieferern, die wir persönlich kennen und deren Sprache wir verstehen.

Outdoorkleider sind oft chemiehaltige Hightechprodukte, was eine potenzielle Gefahr für die Umwelt darstellt. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?


Da besteht in der Tat ein Zielkonflikt. Es wäre einfacher, bei wasserabweisenden Jacken das schädliche PFC einzusetzen. Da wir aber darauf verzichten wollen, ist die Produktion anspruchsvoller: Farbe, Stoff und Ausrüstung müssen besser aufeinander abgestimmt werden, und das Regenwasser perlt etwas weniger gut ab. Oder bei der Merinowolle plastifizieren wir die einzelnen Fasern nicht – was ein gefundenes Fressen für Motten im Kleidungsschrank ist und mehr Pflege bedarf. Dafür kommen die antibakteriellen Eigenschaften der Wolle besser zur Geltung: Man riecht weniger nach Schweiss.

Eine Mütze aus Schweizer Merinowolle kostet bei Ihnen 169 Franken. Sie ist damit fast doppelt so teuer wie eine Rotauf-Mütze aus Bio-Merinowolle aus Südamerika. Wer bezahlt diesen Aufpreis?


Das sind Fans, denen die Geschichte der Schweizer Merinoschafe gefällt und die grossen Wert auf lokale Produktion von Bekleidung legen. Es ist klar: Die breite Masse sprechen wir damit nicht an.

Wer ist denn der typische Rotauf-Kunde?


Die Spannbreite ist gross. Unsere Kunden sind zwischen 25- und 80-jährig und kaufkräftig. Derzeit gibt es noch leicht mehr Männer in der Kundschaft. Die Hauptgründe, warum jemand bei uns kauft, sind die lokale Produktion in der Schweiz und die Nachhaltigkeit.

Verkaufen Sie auch ins Ausland?


Praktisch nicht. 95 Prozent unserer Kundschaft wohnen im Inland.

Planen Sie eine Expansion ins Ausland?


Wir sehen momentan im Inland noch genügend Potenzial. Eine Expansion ins Ausland ist momentan nicht geplant.

Es fällt auf, dass bei Ihrer Marke das Schweizer Kreuz fehlt. Warum?


Wir verzichten bewusst darauf. Das Schweizer Kreuz ist uns zu aggressiv: Wir Schweizer sind zwar patriotisch, hängen das aber nicht gerne an die grosse Glocke. Ganz im Gegensatz zu skandinavischen Ländern, wo oft eine kleine Landesflagge im Logo eingenäht ist.

Ihr Verzicht auf das Schweizer Kreuz ist also ein Understatement?


Ja. Alle Eingeweihten wissen, dass Rotauf aus der Schweiz stammt. Wir überlegen uns derzeit aber, wie wir Swissness besser sichtbar machen könnten. Das Schweizer Kreuz kommt dafür aber nicht infrage.

Zitiervorschlag: Stefan Sonderegger (2021). «Das Schweizer Kreuz ist uns zu aggressiv». Die Volkswirtschaft, 25. März.

Peter Hollenstein und Rotauf

Der 38-jährige Peter Hollenstein leitet seit vergangenem Herbst den Outdoor-Bekleidungshersteller Rotauf. Nach seinem Studium der Betriebswissenschaften an der Universität St. Gallen arbeitete er als Corporate-Responsibility-Manager bei der Outdoormarke Mammut. In seiner Freizeit ist er oft in seiner Berghütte im Berner Oberland anzutreffen. Die Marke Rotauf gibt es seit 2011. Das KMU mit Sitz in Chur beschäftigt sechs Mitarbeitende und gehört der Bündner Firma Flink.