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Hochschulwissen wirtschaftlich besser nutzen

Die Schweizer Universitäten gehören zu den besten der Welt und leisten wertvolle Grundlagenforschung. Doch das Wissen fliesst noch zu wenig in die Wirtschaft, wo es sich auszahlt.
Eine Physikerin experimentiert mit Laserstrahlen. Die Technischen Hochschulen Zürich und Lausanne gehören weltweit zu den Spitzenreitern in der Grundlagenforschung. (Bild: Keystone)

Heute befindet sich an jedem Innovationshotspot der Welt mindestens eine Weltklasseuniversität. Der Grund: Vom Wissen, das an diesen Hochschulen entsteht, profitiert insbesondere die lokale Wirtschaft – sei es durch innovative Angestellte, Forschungskooperationen mit der Privatwirtschaft oder Unternehmen, die an Universitäten gegründet wurden. Auch Schweizer Innovationen wie etwa der Klettverschluss oder die Erfindung des Internets sind oft das Resultat eines synergistischen Zusammenspiels zwischen Hochschule und Wirtschaft.

Universitäten in der Schweiz werden von der öffentlichen Hand stark unterstützt. Deshalb sei die Frage gestattet: Lohnt sich dieses Investment des Staates? Werden an Schweizer Unis auf höchstem Niveau Forschungsleistungen erbracht? Absolvieren Talente aus der ganzen Welt ihr Studium hier, und wird das daraus resultierende Innovationspotenzial schliesslich von der Wirtschaft aktiv ausgeschöpft? Falls ja, zahlt sich die staatliche Unterstützung aus: Dann erzeugen die Hochschulstandorte nämlich eine dynamische Sichtbarkeit, wecken das Interesse der Champions in der globalen Innovationswirtschaft und bewegen sie zur Zusammenarbeit am Standort Schweiz.

In einer Benchmarkstudie[1] im Auftrag der Luzerner Stiftung Fondation CH2048, die sich für eine global wettbewerbsfähige und verantwortliche Schweiz einsetzt, hat das Tessiner Beratungsunternehmen Tripleye anhand von rund 40 Leistungsindikatoren untersucht, wie der Transfer von Grundlagenwissen aus Schweizer Universitäten in die Praxis funktioniert. Für die Studie wurden die 8 grössten Schweizer Unis mit 22 Weltklasseuniversitäten in den USA, Europa und Asien verglichen.

Kleine Schweizer Unis


Lehre und Forschung kosten viel Geld. Die Aufwendungen pro Professor sind aber sehr unterschiedlich: Die ETH Zürich (ETHZ) und das amerikanische Massachusetts Institute of Technology (MIT) liegen mit rund 3,5 Millionen Franken an der Spitze der von uns untersuchten Universitäten. Bei den Schweizer Unis Freiburg und Genf, dem Imperial College in London oder der Universität Tokio sind es knapp 1 Million Franken pro Professor.

Zwischen dem finanziellen Aufwand und der Anzahl Studierenden einer Universität besteht kein Zusammenhang. Mindestens für die Schweiz, wo die Unis mit umfangreichen, von der Anzahl Studierenden abhängigen Subventionen unterstützt werden, ist das überraschend. Die Subventionierung der Universitäten dürfte weiter dazu beitragen, dass private Schenkungen und Legate in der Schweiz eine untergeordnete Rolle spielen. Ausnahme ist die ETHZ, wo solche Zuwendungen 2018 136 Millionen Franken ausmachten.

Die Schweizer Universitäten gehören im Benchmarkvergleich zu den kleinen bis mittelgrossen Hochschulen. Doch wer vermutet, dass deshalb das Betreuungsverhältnis entsprechend tief ist, der irrt. Während die kleinen amerikanischen Universitäten Princeton und Stanford weniger als zehn Studierende pro Professor aufweisen, sind es bei der Uni Genf mehr als zwanzig und bei der ETHZ sogar vierzig Studierende pro Professor.

Interessanterweise scheint sich ein unvorteilhaftes Betreuungsverhältnis mit vielen Studierenden pro Professor jedoch kaum negativ auf die Reputation einer Universität auszuwirken aus der Sicht der künftigen Arbeitgeber der Studierenden. Im Kern dürfte vielmehr die weltweite Anerkennung und Bekanntheit einer Hochschule ausschlaggebend sein. Und dazu zählen dank einem erfolgreichen Marketing etwa die US-Eliteuniversitäten, die englische Cambridge-Universität (Rang 2), das Imperial College London (Rang 7) und die Technische Universität München (Rang 18). Sie entfalten viel Strahlkraft und landen auf den vordersten Rängen, noch vor oder gleichauf mit den besten asiatischen Instituten in Japan, Singapur oder China. In der Schweiz schafft es einzig die ETHZ unter die besten 50. Momentan liegt sie auf Platz 27.

Die Verfügbarkeit eines möglichst grossen Talentpools ist für einen kompetitiven Innovationsstandort extrem wichtig. Doch das bewährte duale Bildungssystem sorgte in der Schweiz lange Zeit für vergleichsweise tiefe Studierendenzahlen und Abschlussquoten. Mit der Reform des Berufsbildungs- und Fachhochschulsystems änderte sich die Lage radikal. Seit 2006 nimmt die Anzahl der Studierenden stark zu, und die Schweiz hat in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen inzwischen eine der höchsten Bachelor-Abschlussquoten in der OECD. Dabei ist das Wachstum an den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich (ETHZ) und Lausanne (EPFL) besonders ausgeprägt – an der EPFL hat sich die Zahl seit 2006 fast verdoppelt. Verantwortlich für dieses Wachstum sind insbesondere die ausländischen Studierenden.

Spitze bei Grundlagenforschung


Veröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften verbunden mit möglichst vielen Zitationen in der Literatur gehören zum akademischen Alltag und sind mitentscheidend bei der Genehmigung von Forschungsgesuchen. Die Schweizer Universitäten zeichnen sich durch eine qualitativ hochstehende Grundlagenforschung aus. Doch auch hier sind die Unterschiede zwischen den Hochschulen erheblich. Führend sind die ETHZ und die EPFL. Beide haben massgeblichen Anteil an den meistzitierten Publikationen weltweit und sind deshalb auf den vorderen Rängen zu finden (siehe Tabelle).

Zu den relevantesten Forschungsbereichen für die Wirtschaft zählen die klinische Medizin, die Pharmazie, die Biologie, die Erdwissenschaften, die Physik sowie die Computer- und Ingenieurwissenschaften. In dreien – nämlich in Computer- und Ingenieurwissenschaften, Physik sowie Erdwissenschaften – ist die ETHZ unter den 50 Besten der Welt. Die EPFL ist in zwei dieser Bereiche unter den Top 50, die kantonalen Universitäten Basel, Bern, Genf und Zürich je in einem dieser Bereiche[2].

Im zukunftsträchtigen Bereich der Mathematik und der Computerwissenschaften konnten die beiden Technischen Hochschulen ihre Position jüngst leicht verbessern, die Universität Zürich hingegen büsste deutlich an Terrain ein und markiert mit Rang 250 wie die anderen kantonalen Universitäten das Schlusslicht im Benchmark.

Interessanterweise sorgte die qualitativ hochstehende Grundlagenforschung in der Schweiz zwischen 1980 und 2015 auch in der Patentliteratur für eine hohe Resonanz. 2019 ist das aber nur noch bei der ETHZ und der EPFL der Fall. Die Universität Zürich ist in unserer Benchmarkstudie vom 6. auf den 14. Rang zurückgefallen, und die restlichen kantonalen Universitäten sind ausserhalb des Rankingbereichs der Top 100.

Hochschul-Ranking gemäss meistzitierten Publikationen weltweit (2014–2017)


































Rang Hochschule
1. MIT (USA)
2. Stanford University (USA)
3. Harvard University (USA)
4. Princeton University (USA)
6. UC Berkeley (USA)
12. University of Cambridge (GB)
14. EPF Lausanne
18. Columbia University New York
22. Imperial College London
24. ETH Zürich
29. University of Washington
81. Uni Genf
85. National University of Singapore
91. Uni Zürich
94. Uni Basel
96. Karolinska Institut (SE)
115. TU Denmark
147. Uni Kopenhagen
157. Uni Heidelberg
167. Uni Lausanne
195. Uni Bern
207. Technion Haifa
261. University of Hong Kong
297. Hebrew University Jerusalem
298. TU München
364. Lund University (SE)
477. University of Tokyo
607. Shanghai Jiao Tong University
732. Seoul National University
k. A. Uni Freiburg


Anmerkung: k. A. = keine Angabe. Absoluter Rang basierend auf dem Anteil aller wissenschaftlichen Publikationen unter den 1 Prozent am meisten zitierten Publikationen.

Quelle: CWTS Leiden Ranking (2019).

Forschungskooperationen: Basel vorne


Spannend ist auch die Forschungszusammenarbeit zwischen Unis und Wirtschaft. Die Universität Basel liegt hier vorne: 9 Prozent aller Publikationen der Uni Basel stammen aus einer wissenschaftlich-privatwirtschaftlichen Kooperation. Den kleinsten Anteil hat die Universität Bern mit 5,5 Prozent. Die gute Basler Position ist primär auf die Biomedizin und die Pharmazie zurückzuführen. Auch die Universität Zürich gehört hier zu den weltbesten 50 Hochschulen. Die ETHZ gehört bei den Forschungskooperationen mit Ausnahme der Biomedizin in allen wichtigen Fachbereichen zu den besten zehn im Benchmark, und die EPFL liegt im vordersten Drittel. In Mathematik und den Computerwissenschaften befinden sich sämtliche kantonale Universitäten auf den Schlussrängen hinter dem 400. Platz.[3]

Interessant sind auch die finanziellen Kennzahlen: So nahm etwa die EPFL 2018 mit 70 Millionen Franken mehr durch Forschungskooperationen ein als die ETHZ (60 Mio. Fr.). Die diesbezüglichen Einkünfte der Universität Zürich von 122 Millionen Franken beeindrucken, die 45 Millionen Franken der Universität Basel hingegen nicht.

Wenig ausgewiesene Innovationen


An manchen Universitäten sind die Forschenden aufgefordert, ihre Erfindungen zu deklarieren. Andere Hochschulen veröffentlichen nicht einmal Zahlen dazu. Technische Hochschulen wie die ETHZ verzeichnen mit rund 200 Deklarationen die höchsten Werte im Benchmarkvergleich. Bei der Universität Lausanne ist es mit 25 Deklarationen lediglich ein kleiner Bruchteil davon. Praktisch deckungsgleich mit den Erfindungsdeklarationen ist die Zahl der Patentanmeldungen. Mit Ausnahme der Universität Zürich sind die Patentanmeldungen bei den kantonalen Universitäten so tief, dass keine unter den Top 100 ist. Bei der ETHZ und der EPFL überrascht, wie tief der Anteil der Patentanmeldungen bei den Ingenieur- und Computerwissenschaften im Vergleich zur klinischen Medizin und der Pharmazie ist.

Auch im Bereich Start-up sieht es wenig erfreulich aus. Ein Blick auf die Venturecapital-Aktivitäten an den Universitätsstandorten zeigt, dass die Anzahl Venturecapital-Vereinbarungen und das investierte Kapital des Benchmarkersten die Schweizer Standorte Basel, Genf, Lausanne und Zürich um den Faktor 50 bis 100 übertrifft. Das Resultat beim Vergleich von 1000 Start-up-Standorten ist ähnlich wie beim Venturecapital. Die Veränderung zwischen 2017 und 2019 deutet jedoch darauf hin, dass mindestens die Regionen Basel und Lausanne betreffend Start-ups im globalen Vergleich aufholen.

Von Start-ups unterscheiden muss man die Spin-offs. Im Gegensatz zu Start-ups werden Spin-offs von den Universitäten initiiert und erst später als eigenständige Unternehmen ausgegliedert. Leider publizieren nicht alle universitären Hochschulen Zahlen dazu. Die EPFL liegt heute praktisch gleichauf mit der ETHZ, was Spin-offs angeht. Und der ausgeprägte Aufwärtstrend der beiden ETH seit 2006 ist vielversprechend. Ihre gut 20 Spin-offs dürfen sich sehen lassen – ganz im Gegensatz zu den kantonalen Universitäten, wo es nur null bis fünf pro Jahr sind (siehe Abbildung).

Der Innovationserfolg ist mit einem Spin-off aber noch nicht sichergestellt. Erst muss sich zeigen, ob sich ein Jungunternehmen am Markt behaupten kann. Jeder Start-up-Gründer träumt deshalb von einer sogenannten Unicorn Valuation. Eine solche bedeutet, dass das Jungunternehmen vor einem Börsengang oder einem Exit mit über einer Milliarde Dollar bewertet wird. Ende 2019 gab es weltweit 350 solche «Unicorns», davon zwei in Deutschland und eines in Japan. In der Schweiz waren es immerhin vier, wobei eines davon ein Spin-off der EPFL ist.

Insgesamt vermittelt der internationale Vergleich der Universitäten dank einer Vielzahl von Leistungsparametern ein differenziertes Bild. Bei den im globalen Wettbewerb stehenden universitären Hochschulen der Schweiz gibt es sowohl Stärken als auch Schwächen. Doch in Anbetracht einer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft ist es wichtig, dass hochschulseitig die Symbiose zwischen Universität und Wirtschaft noch stärker gefördert und Defizite abgebaut werden.

Anzahl Spin-offs ausgewählter Universitäten (2018)




Anmerkung:  k. A. = keine Angaben. Bei den Unis Bern und Freiburg fehlen Angaben auf den Websites. Es wurde daher der entsprechende Wert von Startup.ch verwendet.

Quelle: Webseiten der Universitäten, Startup.ch / Die Volkswirtschaft

  1. Die vollständige Studie kann auf CH2048.ch heruntergeladen werden. []
  2. Universität Basel: Pharmazie; Universität Bern: Erdwissenschaften; Universität Genf: Physik; Universität Zürich: Biologie. []
  3. CWTS Leiden Ranking (2019)[]

Zitiervorschlag: Christoph von Arb (2021). Hochschulwissen wirtschaftlich besser nutzen. Die Volkswirtschaft, 02. März.