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Ingenieurin mit Familie: Geht das?

Technische Berufe sind nach wie vor häufig Männerdomänen. Damit die hoch qualifizierten Frauen Beruf und Familie vereinbaren können, müssen alle am gleichen Strick ziehen. Auch die Partner.
In technischen Berufen richten die Arbeitgeber die Stellenprofile noch zu wenig an den Bedürfnissen der Frauen aus. (Bild: Alamy)

Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen machen die Erfahrung, dass es schwierig wird, wenn sie Kinder bekommen und im Beruf verbleiben wollen. Die Herausforderungen sind vielfältig: Die Kinder kommen oft zu einem Zeitpunkt, wo man im Berufsleben eigentlich vollen Einsatz zeigen müsste, wenn man aufsteigen oder sich spezialisieren möchte. Der meist ebenfalls gut ausgebildete Partner ist beruflich genauso stark eingespannt; zudem sind Teilzeitstellen in technischen Berufen nicht überall möglich. Gerade in Berufsfeldern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (Mint) sind die Arbeitgeber wenig auf berufstätige Eltern vorbereitet. Im Alltag mit den Kindern erleben die Mint-Frauen, dass nach wie vor die Auffassung herrscht, dass sich hauptsächlich die Mütter um die Kinder kümmern sollen. Im schlimmsten Fall gelingt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht – und die hoch qualifizierten Frauen gehen der Arbeitswelt verloren.

Zwar gibt es zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereits eine Fülle von Ratgebern. Nur scheint keiner richtig auf die Situation von Frauen in technischen Berufen zu passen. Dies liegt daran, dass die Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie berufs- und branchenspezifisch sind und nicht jede Lösung für jedes Berufsfeld auch passend ist.

Vier Workshops


Die Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen (Svin) lancierte daher ein Projekt, um herauszufinden, wo die spezifischen Herausforderungen für Ingenieurinnen und Mint-Frauen liegen.[1] Gleichzeitig sollten Handlungsspielräume aufgezeigt werden, die es zu nutzen gilt, damit eine Vereinbarkeit im Ingenieurberuf gelingen kann.

Nach einem Aufruf der Svin unter ihren Mitgliedern fanden sich 16 Mint-Frauen, die sich zwischen September 2019 und März 2020 zu vier Workshops trafen. In der Arbeitsgruppe waren von der Informatikerin über die Bauingenieurin bis zur Lebensmittelingenieurin unterschiedliche Branchen vertreten.

Beim ersten Treffen wurde zusammengetragen, welche Faktoren aus Berufs- und Privatleben die Frauen als hinderlich oder förderlich für die Vereinbarkeit erlebten. Es zeigte sich, dass sich diese Faktoren vier unterschiedlichen Dimensionen zuordnen lassen (siehe Abbildung).

Die vier Dimensionen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie


Gesellschaftlicher Rahmen


Die erste Dimension umfasst die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehören strukturelle Aspekte wie das Angebot und die Verfügbarkeit von familienexternen Betreuungsangeboten, Kindergärten und Schulen. Bei Kinderkrippen oder Tagesschulen spielen Öffnungszeiten, Ferien und Kosten eine wichtige Rolle. Relevant sind auch staatliche Strukturen wie Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, das Steuer- und Sozialversicherungssystem sowie finanzielle Aspekte wie Steuerabzüge und Kinderzulagen.

Häufig genannte Aussagen im ersten Workshop waren: «Als wir in der Krippe waren, ging es noch. Richtig schwierig wurde es, als die Kinder zur Schule kamen» oder «Das Steuersystem in der Schweiz fördert eher das traditionelle Ernährermodell statt ein egalitäres Familienmodell».

Zur Dimension der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zählen auch kulturelle Vorstellungen: Welche Rolle ist mit Mutter- oder Vatersein verbunden? Aussagen, die hier auf Zustimmung stiessen, waren: «Unsere Generation ist es sich gewohnt, alles zu haben. Wenn wir Eltern werden, merken wir, dass das nicht geht» und «Wenn ich 80 Prozent arbeite, heisst es: Rabenmutter. Wenn mein Mann 80 Prozent arbeitet, heisst es: Toll, so ein engagierter Vater!».

Individuelle Faktoren


Die zweite Dimension betrifft die individuellen Ressourcen und Restriktionen. Das sind sozusagen die Rahmenbedingungen, die jede Frau individuell mitbringt. Hier finden sich «harte» Faktoren wie Ausbildung, Anzahl Kinder, Wohnort oder die geografische Entfernung zu den Verwandten. So wird sich eine alleinerziehende Mutter, die in einem ländlichen Umfeld wohnt, dafür ihre Eltern in der Nähe hat, anders organisieren als eine Mutter, die aus dem Ausland zugezogen ist und mit Partner und Kindern im urbanen Umfeld einer Grossstadt lebt.

Eine Rolle spielen aber auch «weiche» Faktoren wie die persönliche Einstellung. So kann sich eine Frau eher als «Berufsfrau, die auch Kinder hat», sehen oder als «Mutter, die nebenher noch arbeitet». Somit beeinflusst der Stellenwert der Mutterschaft die Lösungen, die eine Frau überhaupt in Betracht zieht.

In der dritten Dimension – partnerschaftliche Ressourcen und Restriktionen – spielt der Partner die entscheidende Rolle: Sein Beruf und sein Arbeitspensum haben einen Einfluss darauf, wie viele Aufgaben er in der Familie übernehmen kann. Dazu kommen seine Rollenvorstellungen. Versteht er sich als moderner Vater, gleichberechtigter Haushaltsverantwortlicher und ebenbürtiger Partner? Oder sieht er sich eher als traditioneller Vater, der seiner Frau die Hauptverantwortung für Haushalt, gesellschaftliche Verpflichtungen und Kindererziehung überlässt? Die Aussage, die dazu von den Frauen mit Abstand am häufigsten genannt wurde, war: «Ich bin im Haushalt und der Familie die ‹Managerin›, mein Mann ist nur der ‹Sachbearbeiter›.»

Die vierte Dimension schliesslich umfasst das Berufsumfeld respektive den Arbeitgeber. So macht es einen Unterschied, ob eine Frau in einem Beruf arbeitet, der eine gewisse Flexibilität aufweist, weil Jahresarbeitszeit oder gelegentliches Homeoffice möglich sind. Im Vergleich dazu haben Frauen in anderen Berufen – wie etwa eine Primarlehrerin oder eine Ärztin mit ihren fixen Arbeitsplänen – weniger Spielraum. Durch diese Rahmenbedingungen ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weiter spielt es eine Rolle, ob die Frau in einem konservativen, eher männlich geprägten Arbeitsumfeld arbeitet oder in einer Branche, wo weibliche Führungskräfte und Teilzeitarbeit für Eltern an der Tagesordnung sind.

Projektarbeit als Chance


Im Rahmen der weiteren Workshops konnten wir spezifische Merkmale für das Berufsumfeld der Mint-Berufe herausschälen. Sich über die berufsspezifischen erschwerenden, aber auch erleichternden Faktoren klar zu werden, hilft, gemeinsam mit den Unternehmen Lösungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu finden.

Erschwerend wirkt das relativ hohe Arbeitspensum der Mint-Frauen von 60 bis 80 Prozent. Gleichzeitig arbeiteten ihre Partner ebenfalls mit einem hohen Pensum – nicht selten 100 Prozent. In vielen Fällen kam bei mindestens einem der Partner noch ein langer Arbeitsweg hinzu. Solche Familien sind daher auf formelle Angebote wie Kinderkrippen, schulische Tagesstrukturen und auch Personal wie Putzhilfen angewiesen.

Als erleichternder Faktor erwies sich die häufig praktizierte Projektarbeit. Da diese oft nicht an einen bestimmten Standort oder eine bestimmte Zeit gebunden ist, bietet sie ideale Möglichkeiten für neue Arbeitsformen. So kann ein Teil der Arbeit auch von zu Hause oder auf einer längeren Zugfahrt erledigt werden. Die regelmässige Arbeitszeit, die Planbarkeit und die vergleichsweise hohe Autonomie bei der Arbeit waren weitere Aspekte, die eine Vereinbarkeit erleichtern.

Kitas allein genügen nicht


Unsere Analyse zeigt, wie wichtig es ist, die Vereinbarkeitsfrage berufsspezifisch anzugehen. So gibt es für Mint-Frauen kein eigentliches «Haupthindernis», sondern die erschwerenden Faktoren stammen aus allen vier Dimensionen. Es reicht also nicht aus, die Vereinbarkeitsfrage auf die Verfügbarkeit von Krippenplätzen zu reduzieren, wie dies oft gut gemeint von Politik und Wirtschaft gemacht wird.

Weiter zeigte sich, dass für eine gelingende Vereinbarkeit eine egalitäre Partnerschaft zentral ist. Mint-Frauen arbeiten meist in hohen Pensen in anspruchsvollen Berufen. Daneben noch Familie zu haben, kann nur gelingen, wenn der Partner gleichberechtigt mitzieht und sein Erwerbspensum entsprechend anpasst.

Aber auch die Arbeitgeber sind in der Pflicht. Den männlichen Ingenieur, der sich zu 120 Prozent dem Betrieb verschreiben kann, da ihm seine Ehefrau zu Hause den Rücken frei hält, gibt es immer weniger. Die Firmen müssen daher Strukturen schaffen und den Goodwill aufbringen, damit es den Eltern ermöglicht wird, die Belastungen einer Elternschaft gerecht untereinander aufzuteilen.

  1. SVIN (2020): Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Sicht von Ingenieurinnen und Mint-Frauen. Schlussbericht, November. []

Zitiervorschlag: Nora Escherle, Christina Seyler, (2021). Ingenieurin mit Familie: Geht das. Die Volkswirtschaft, 02. März.