Die Debatte um die Beziehung der Schweiz zur EU wird wieder intensiver. Interessanterweise gibt es unter den zahlreichen Opponenten des institutionellen Rahmenabkommens wenige, die wirtschaftliche Argumente anbringen – meist geht es um das abstrakte (und hoch emotionale) Thema der staatlichen Souveränität. Eine Ausnahme bilden ultraliberale Kreise, welche argumentieren, die Schweiz fahre langfristig besser, wenn sie statt auf verstärkte Integration in den EU-Binnenmarkt auf mehr Freihandel mit Drittstaaten setze.
Diese These scheint aus zwei Gründen zweifelhaft. Erstens ist es unwahrscheinlich, dass der Handelsanteil von Drittstaaten weiterhin so markant zulegt wie jüngst. So schätzt die Credit Suisse, dass der Exportanteil von China auch bei weiterhin robustem, im Trend allerdings eher rückläufigem BIP-Wachstum in den nächsten zehn Jahren – trotz Freihandelsabkommen (FHA) – auf maximal 9 Prozent ansteigt (2019: 5,5%).
Freihandel mit den USA unwahrscheinlich
Der Exportanteil der USA ist (ohne FHA) zwischen 2010 und 2019 von 10,1 Prozent auf 17,3 Prozent und damit noch rascher gestiegen als derjenige Chinas. Ein weiterer Anstieg erscheint aber unwahrscheinlich, denn das hohe Wachstum war vor allem den boomenden Pharmaexporten zu verdanken, die nun aus US-innenpolitischen Gründen unter Druck geraten könnten. Zudem ist der Abschluss eines FHA mit den USA, welches auch anderen Branchen zugutekäme, unwahrscheinlich. Denn die Schweiz müsste hierzu ihre landwirtschaftlichen Importzölle massiv senken. Bei anderen Drittländern oder Regionen (UK, Japan, übriges Asien oder Lateinamerika) ist entweder die Ausgangsbasis oder die Wachstumsaussicht zu gering, um – mit oder ohne FHA – einen markanten Wachstumsbeitrag für die Schweizer Exporte leisten zu können. Der Exportanteil der EU dürfte nun deshalb viel langsamer sinken.
Zweitens impliziert die These der EU-Skeptiker, dass der Wohlstandseffekt einer Integration überschätzt wird. Die meisten Studien kommen aber zum Schluss, dass die bilateralen Verträge unserem Land nicht nur einen hohen absoluten Mehrwert, sondern auch ein höheres Pro-Kopf-Einkommen gebracht haben. Wie sich die Integrationsbeiträge in Zukunft entwickeln, hängt von zwei Faktoren ab: dem Wachstum im EU-Binnenmarkt sowie der Entwicklung des Zugangs und der Wettbewerbsposition von Schweizer Unternehmen im Binnenmarkt. Während die Wachstumsraten in der EU vor allem aus demografischen Gründen eher moderat bleiben werden, könnten gewisse wirtschaftspolitische Entwicklungen (u. a. die Schritte in Richtung Fiskal-, Banken- und Kapitalmarktunion) durchaus wachstumsfördernd sein.
Beim Status quo oder einer vertieften Integration würde die Schweiz also profitieren. Anders sieht es bei einer Erosion der bilateralen Verträge oder Retorsionsmassnahmen der EU aus: Dies würde viele Schweizer KMU treffen, die überproportional zur Beschäftigung beitragen. Unsere KMU-Umfrage von 2019 zeigt, dass 85 Prozent der befragten (mittelgrossen) Schweizer Firmen den ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt als wichtig oder eher wichtig erachten – zu dem Markt also, in den auch in Zukunft rund die Hälfte aller Schweizer Exporte gehen. Kurz: Freihandel kann Integration nicht ersetzen. Die Schweiz braucht beides!