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Inflation – ein Balanceakt

Entscheidend in Bezug auf die Inflation ist letztlich wohl die Politik. (Bild: Shutterstock)

Seit der Finanzkrise 2008/2009 tun sich Zentralbanken auf beiden Seiten des Atlantiks schwer, die Inflation auf das gewünschte Niveau zu heben – obwohl die Wirtschaft und die Nachfrage nach Arbeitskräften rasch wieder an Fahrt gewonnen hatten. In den USA betrug die Inflation seit 2015 durchschnittlich 1,6 Prozent. Das Inflationsziel von 2 Prozent erreichte oder übertraf die US-Notenbank in diesem Zeitraum nur gerade in rund 10 Prozent der monatlichen Beobachtungen. In der Eurozone wurde im gleichen Zeitraum die 2-Prozent-Marke sogar in weniger als 10 Prozent erreicht. Die durchschnittliche Inflation lag hier bei 0,9 Prozent.

Ökonomen machen für die anhaltend niedrige Inflation oftmals globale Lieferketten, die Technologie, demografische Entwicklungen sowie die Wirtschaftspolitik verantwortlich – alles Faktoren, die aktuell stark in Bewegung sind. Entscheidend ist aber: Wird die Inflation im laufenden Jahrzehnt wieder höher ausfallen? Die Antwort darauf hängt wohl stark von der Politik ab.

In der Corona-Pandemie ist eine Diskussion über die Verletzbarkeit globaler Lieferketten entbrannt. Für Schlagzeilen sorgten etwa Engpässe bei medizinischer Ausrüstung und Halbleitern sowie ein blockiertes Schiff im Suez-Kanal. Darüber hinaus steht die CO2-Bilanz der komplexen Lieferketten zusehends in der Kritik. So werden beispielsweise Forderungen nach Klimazöllen laut. Vor diesem Hintergrund könnten sich Lagerbestände erhöhen, und die Produktion strategisch wichtiger Güter könnte sich wieder vermehrt in die Heimatmärkte verlagern. Erfreulicherweise scheinen die Rufe nach mehr Protektionismus in jüngster Zeit aber zu verstummen.

Politik ist entscheidend


Es ist davon auszugehen, dass die Globalisierung in den nächsten Jahren weniger positive Angebotsschocks auslösen wird als bisher und damit auch weniger deflationär wirkt. Allerdings könnten stattdessen technologische Neuerung positive Impulse auf der Angebotsseite darstellen. Exemplarisch dafür ist das Homeoffice, das eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung ermöglicht. Die Digitalisierung könnte zudem dazu beitragen, nachteilige Effekte der Bevölkerungsalterung auszugleichen.

Entscheidend in Bezug auf die Inflation ist aber letztlich wohl die Politik. Gut gemanagte öffentliche Ausgaben könnten die Angebotsseite ankurbeln, vor allem, wenn sie mit wirksamen Programmen für Bildung und mit lebenslangem Lernen einhergehen. Zusammen mit einer glaubwürdigen Politik der Zentralbanken könnten solche Massnahmen die Realeinkommen erhöhen und Ungleichheiten verringern – ohne eine Inflation auszulösen.

Umgekehrt führen weniger wirksame Staatsausgaben zu einer Erhöhung der «schlechten» Schulden, wie sie Mario Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, nannte. Diese stehen im Gegensatz zu den «guten» Staatsschulden, mit denen produktive Investitionen finanziert werden. Sollten die Zentralbanken zu spät reagieren und die Kontrolle über die Inflationserwartungen verlieren, wäre die Folge eine Rückkehr in die Stagflation, wie wir sie in den Siebzigerjahren in der Kombination von hoher Inflation und hoher Arbeitslosigkeit erlebt haben.

Zitiervorschlag: Michala Marcussen (2021). Inflation – ein Balanceakt. Die Volkswirtschaft, 21. Mai.