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Bisher keine Effekte auf Arbeitslosigkeit und Zuwanderung nachweisbar

Die Stellenmeldepflicht sollte die Vermittlung von Arbeitslosen verbessern. Doch das Problem, mit dem Stellensuchende in meldepflichtigen Berufen zu kämpfen haben, ist nicht, eine Stelle zu finden, sondern diese zu behalten.
Hohe Arbeitslosigkeit bei meldepflichtigen Servicejobs. Dennoch finden Arbeitslose in meldepflichtigen Berufen durchschnittlich etwas schneller einen Arbeitsplatz als in nicht meldepflichtigen Berufen. (Bild: Keystone)

Die Stellenmeldepflicht galt in ihrer Einführungsphase von Juli 2018 bis Dezember 2019 ausschliesslich für offene Stellen in Berufen, die im Zeitraum von April 2017 bis März 2018 eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von über 8 Prozent aufwiesen. Seit Januar 2020 gilt der ordentliche Schwellenwert von 5 Prozent. Ziel der Massnahme ist es, die Vermittlung von Arbeitslosen zu fördern, die in diesen Berufen eine Anstellung suchen. Gleichzeitig soll auf diese Weise das Arbeitskräftepotenzial hierzulande stärker ausgeschöpft werden. Dies hätte möglicherweise auch einen Rückgang der Rekrutierung von Arbeitskräften aus dem Ausland zur Folge.

Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) untersuchte die Forschungsstelle für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomik (FAI) an der Universität Basel, inwiefern sich die Stellenmeldepflicht (STMP) in ihrer Einführungsphase tatsächlich auf die Arbeitslosigkeit und die Zuwanderung in den meldepflichtigen Berufen ausgewirkt hat.[1] Als Vergleichsgruppe dienen jene Berufe, die der STMP nicht unterlagen.

Spezielle meldepflichtige Berufe


Die meldepflichtigen Berufe unterscheiden sich in mehrerlei Hinsicht von anderen Berufen. Zum einen sind sie unter den Arbeitslosen stark überrepräsentiert: Während lediglich rund 8 Prozent aller Erwerbstätigen in meldepflichtigen Berufen beschäftigt sind, liegt ihr Anteil am Arbeitslosenbestand bei 24 Prozent. Oder anders ausgedrückt: um das Dreifache höher. Zum anderen weichen auch die typischen Merkmale der Arbeitslosen in diesen Berufen von der Norm ab. Diese setzen sich verstärkt aus niedrig qualifizierten Hilfsarbeitern zusammen, die oft aus Ländern ausserhalb des nördlichen EU/Efta-Raums stammen und eine befristete Stelle im Bau- oder Gastgewerbe suchen.

Die meldepflichtigen Berufe ziehen jeweils für sich wesentlich mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland an als andere Berufe. Doch die meisten Arbeitskräfte, die in die Schweiz einwandern, treten eine Stelle in Berufen mit niedrigen Arbeitslosenquoten an, da es deutlich mehr solche Berufe gibt. Während also meldepflichtige Berufe jeweils für sich einen überdurchschnittlich starken Gebrauch von Arbeitskräften aus dem Ausland machen, geht die überwiegende Mehrzahl der einwandernden Arbeitskräfte in Berufe mit niedrigen Arbeitslosenquoten, wo Arbeitskräfteknappheit zu vermuten ist.

Zentrale Beziehung


Bei der Untersuchung der Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit gehen wir von folgender in der Arbeitsmarktforschung geläufiger Gleichung aus:

 

Arbeitslosenquote = Arbeitslosigkeitsrisiko x Arbeitslosigkeitsdauer


 

Die Gleichung besagt, dass die Arbeitslosenquote aus dem Produkt zweier Komponenten besteht: dem Arbeitslosigkeitsrisiko und der Arbeitslosigkeitsdauer. Das Arbeitslosigkeitsrisiko gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Erwerbsperson in einem gegebenen Zeitraum (beispielsweise einem Monat) arbeitslos wird. Die Arbeitslosigkeitsdauer hingegen misst die mittlere Länge einer Arbeitslosigkeitsepisode. Demnach kann sich eine Arbeitslosenquote beispielsweise von 3 Prozent aus einem Risiko von 0,5 Prozent pro Monat und einer Dauer von 6 Monaten ergeben.

Das Beispiel weist auf einen wichtigen Zusammenhang hin: Es zeigt, dass eine hohe Arbeitslosenquote ihren Ursprung sowohl in einer hohen Inzidenz (Risiko) als auch in lang anhaltender Arbeitslosigkeit (Dauer) haben kann. Doch welcher der beiden Faktoren massgebend ist, lässt sich an der Höhe der Arbeitslosenquote nicht ablesen. Eine Förderung der Arbeitsvermittlung, wie sie die STMP zum Ziel hat, wirkt in erster Linie unmittelbar auf die Dauer der Stellensuche. Sie soll diese verkürzen. Daher wählen wir in unserer Untersuchung die Arbeitslosigkeitsdauer als Wirkungsvariable und messen daran den Effekt der STMP.

Denkbar wäre allerdings, dass die STMP auch das Arbeitslosigkeitsrisiko beeinflusst: Da die STMP infolge des administrativen Mehraufwands die Personalfluktuation verteuert, könnte sie einerseits für dauerhaftere Vermittlungen sorgen; das wiederum könnte das Arbeitslosigkeitsrisiko senken. Andererseits hätte ein niedriger Personalumschlag zur Folge, dass nicht nur die Zahl der Entlassungen, sondern auch die Zahl der Neueinstellungen abnimmt. Und das würde die Arbeitslosigkeitsdauer verlängern. Welcher Effekt auch immer überwiegt – die Arbeitslosigkeitsdauer bietet sich in beiden Fällen als Wirkungsvariable an.

Keine signifikanten Resultate


Unsere Analyse zeigt, dass sich die meldepflichtigen und nicht meldepflichtigen Berufe in erster Linie hinsichtlich der Höhe ihrer Arbeitslosigkeitsrisiken unterscheiden. Konkret: Personen in Berufen mit den höchsten Arbeitslosenquoten weisen das grösste Risiko auf, arbeitslos zu werden; bei Berufen mit niedrigeren Arbeitslosenquoten ist das Risiko, arbeitslos zu werden, tiefer (siehe Abbildung 1). Bezüglich der Arbeitslosigkeitsdauer ist der Zusammenhang diametral umgekehrt: Personen in Berufen mit der höchsten Arbeitslosenquote weisen im Schnitt die kürzeste Arbeitslosigkeitsdauer auf; wobei die Unterschiede hier deutlich kleiner ausfallen (siehe Abbildung 2). Die Erkenntnis daraus: Die hohe Arbeitslosigkeit bei den meldepflichtigen Berufen ist in erster Linie der hohen Instabilität der dortigen Beschäftigungsverhältnisse (Arbeitslosigkeitsrisiko) geschuldet. Die Arbeitslosigkeitsdauer spielt dabei keine Rolle.

Abb. 1: Arbeitslosigkeitsrisiko, saisonbereinigt  (Jan 2010–Dez 2019)




Arbeitslosigkeitsrisiko: Individuelle Wahrscheinlichkeit, im jeweiligen Kalendermonat von Arbeitslosigkeit getroffen zu werden.

Quelle: Seco, Avam / Eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

Abb. 2: Dauer der Arbeitslosigkeit, saisonbereinigt (Jan 2010–Dez 2019)




Dauer der Arbeitslosigkeit: Erwartete Dauer der im jeweiligen Kalendermonat beginnenden Arbeitslosigkeitsepisoden, berechnet nach der Fläche unter der im gleichen Monat geltenden Verbleibfunktion.

Quelle: Seco, Avam / Eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

Wir testen nun statistisch mit dem sogenannten Difference-in-Differences-Ansatz, ob die bisher parallele Entwicklung der Arbeitslosigkeitsdauer von meldepflichtigen und nicht meldepflichtigen Stellen (siehe Abbildung 2) auch nach dem Inkrafttreten der STMP im Juli 2018 Bestand hat. Allfällige Abweichungen werden als Folge der STMP interpretiert. Um störende Einflüsse wie Konjunkturwenden oder institutionelle Veränderungen auszuschliessen, beschränkt sich unsere Untersuchung auf die jeweils 18 Monate vor und nach dem Inkrafttreten der STMP im Juli 2018. Die Datenbasis besteht aus knapp einer Million individueller Arbeitslosigkeitsepisoden, die sich im Zeitraum von Januar 2017 bis Dezember 2019 ereigneten. Der grosse Stichprobenumfang sorgt für sehr präzise und stark belastbare Resultate.

Trotz des beträchtlichen Datenaufwands lässt sich allerdings kein statistisch gesicherter Beweis erbringen, dass die STMP die Dauer der Arbeitslosigkeit in den meldepflichtigen Berufen beeinflusste. Zwar gab es nach Einführung der STMP Abweichungen von der parallelen Entwicklung der Arbeitslosigkeitsdauer, diese erweisen sich statistisch jedoch als insignifikant.

Formal ähnlich untersuchen wir auch die Auswirkung der STMP auf die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland. Doch auch hier finden wir keine Evidenz, dass sich die Zuwanderungen in die meldepflichtigen Berufe nach dem Inkrafttreten der STMP anders entwickeln als in den nicht meldepflichtigen. Da wir schon keinen Einfluss der STMP auf den Vermittlungserfolg bei inländischen Stellensuchenden bzw. auf den Grad der Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials finden, überrascht dieses Ergebnis nicht.

Fehlende Bedarfsanalyse


Die statistisch nicht signifikante Wirkung der STMP scheint nicht die Folge einer mangelhaften Umsetzung zu sein. Denn gemäss dem ersten Monitoringbericht des Seco aus dem Jahr 2019 ist die STMP erfolgreich eingeführt und von den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gut angenommen worden. Die Ursache muss also woanders liegen. Unseres Erachtens besteht sie darin, dass eine Bedarfsanalyse bislang fehlt.

Eine STMP, welche die Vermittlungsförderung von der Höhe der Arbeitslosigkeit (über 8 Prozent) abhängig macht, geht implizit davon aus, dass Arbeitslose, die eine Stelle in einem Beruf mit hoher Arbeitslosigkeit suchen, verstärkt Vermittlungsprobleme haben. Doch wie unsere Analyse zeigt, finden diese Personen im Durchschnitt sogar etwas schneller eine Stelle als Arbeitslose, die keine Stelle in einem meldepflichtigen Beruf suchen (siehe Abbildung 2). Das Problem, mit dem Stellensuchende in meldepflichtigen Berufen zu kämpfen haben, ist nicht, eine Stelle zu finden, sondern diese zu behalten.

Zwar könnte eine STMP auch hier Abhilfe schaffen, indem sie – wie in der obigen These erläutert – für dauerhaftere Beschäftigungsverhältnisse sorgt. Dem erklärten Ziel der STMP, das inländische Arbeitskräftepotenzial stärker auszuschöpfen, würde jedoch auch diese nicht dienen. Denn sie würde lediglich den Umschlag im Arbeitslosen- und Beschäftigtenbestand senken, was die Trennung zwischen Stelleninhabern («Insider») und -nichtinhabern («Outsider») verstärkt. Doch auch in dieser Hinsicht zeitigt die STMP keine Wirkung, wie unsere Berechnungen zeigen.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass mehr Information dem Stellensuchenden nicht notwendigerweise nützt. Die kürzere Dauer der Stellensuche in meldepflichtigen Berufen (siehe Abbildung 2) spricht jedenfalls nicht dafür, dass die hohe Arbeitslosigkeit in diesen Berufen an mangelnder Markttransparenz liegt.

  1. Die vollständige Studie ist online verfügbar auf Seco.admin.ch. []

Zitiervorschlag: George Sheldon, Conny Wunsch, (2021). Bisher keine Effekte auf Arbeitslosigkeit und Zuwanderung nachweisbar. Die Volkswirtschaft, 14. Juni.