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Corona-Krise: Wieso ein widerstandsfähiges Bankensystem wichtig ist

Banken mit solider Eigenkapitalausstattung können im Krisenfall zur Wirtschaftsstabilität beitragen. Die in den letzten Jahren im Schweizer Bankensektor umgesetzten regulatorischen Reformen haben diesbezüglich Früchte getragen.
Die Kredite der Banken haben vielen Unternehmen durch die Krise geholfen. Eine Serviceangestellte nach Wiederöffnung der Restaurantterrassen im April 2021. (Bild: Keystone)

Das Jahr 2020 wird als schwere Krise, nicht aber als Bankenkrise in Erinnerung bleiben. Angesichts der unüblich grossen Unsicherheit, in der wir uns vor gut einem Jahr bewegten, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Im Juni 2020 warnte die Schweizerische Nationalbank (SNB) in ihrem Finanzstabilitätsbericht vor den potenziellen Folgen bei deutlich ungünstigeren Entwicklungen. Diese Szenarien traten glücklicherweise nicht ein.

Diese Situation ist nicht einfach dem Zufall geschuldet. Vielmehr sind die Bemühungen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Bankensystems sowie die Massnahmen zur Krisenbewältigung massgeblich dafür verantwortlich.

Krise bisher gut bewältigt


Das Schweizer Bankensystem hat die pandemiebedingte Krise bis jetzt gut bewältigt. Es konnte dabei seine Funktionen jederzeit erfüllen und insbesondere die ausreichende Kreditversorgung der Wirtschaft sicherstellen. Der Schweizer Bankensektor hat somit dazu beigetragen, den pandemiebedingten Schock abzuschwächen und nicht zu verstärken.

Seit Pandemieausbruch gab es keine Anzeichen für eine Kreditverknappung. So sind die an nicht finanzielle Unternehmen vergebenen Kredite weitergewachsen – auch ohne Berücksichtigung der verbürgten Kredite. Weitere Hinweise liefern qualitative Bankdaten, die seit Pandemiebeginn von der SNB zusätzlich erhoben werden: Während die Kreditbedingungen zu Beginn der Pandemie von den Banken für besonders betroffene Sektoren leicht verschärft wurden, blieben sie insgesamt weitgehend unverändert. Bei den Kreditgesuchen blieb die Ablehnungsquote auf einem vergleichbaren Stand wie unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen (siehe Abbildung). Die Banken haben in der qualitativen Befragung zudem nur selten ihre Eigenmittel- und Liquiditätssituation als limitierenden Faktor bei der Kreditvergabe angegeben.

Ablehnungsquote bei Gesuchen für nicht verbürgte Kredite




Quelle: SNB (BLSC) / Die Volkswirtschaft

Wichtige Reformen seit 2008


Dem Risiko einer Kreditverknappung haben zwei Hauptelemente entgegengewirkt. Wesentlich für die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, war als Erstes die günstige Situation, in der sich die Banken zum Zeitpunkt des Krisenausbruchs befanden. Nicht zuletzt verantwortlich dafür sind die strengeren Rahmenbedingungen für Finanzinstitute, die im Zuge der umfassenden regulatorischen Reformen nach der Finanzkrise von 2008/2009 geschaffen wurden. Dabei wurde insbesondere ein makroprudenzieller Ansatz eingeführt: Ziel ist es, mit spezifischen Instrumenten die Widerstandskraft des Bankensystems gegenüber systemischen Risiken zu stärken und dem Aufbau solcher Risiken für die Finanzstabilität direkt und präventiv entgegenzuwirken (siehe Kasten).

Die in der Schweiz ergriffenen regulatorischen Reformen haben insbesondere höhere Eigenmittelanforderungen eingeführt, was zum Aufbau von Eigenmitteln beigetragen hat. Ein Hauptelement der Reformen sind die Kapitalpuffer, das heisst zusätzliche Kapitalschichten, welche die Finanzinstitute nebst den Mindestanforderungen halten müssen. Zwei Puffer gelten für alle Banken: der nach Bankkategorie abgestufte Eigenmittelpuffer[1] und der antizyklische Kapitalpuffer. Für die fünf systemrelevanten Banken (UBS, Credit Suisse, Raiffeisen-Gruppe, Postfinance und Zürcher Kantonalbank) besteht ein dritter Puffer in Form einer zusätzlichen grössenabhängigen Eigenkapitalanforderung. Ausserdem haben die von den Banken freiwillig zu Geschäftszwecken gehaltenen Puffer ebenfalls zugenommen.

Krisenbewältigungsmassnahmen


Das Risiko einer Kreditverknappung konnte auch dank einem zweiten Element vermieden werden: den Unterstützungsmassnahmen der öffentlichen Hand für das Bankensystem. Die Behörden haben rasch wichtige Massnahmen und regulatorische Erleichterungen getroffen, um ein ausreichendes Kreditangebot aufrechtzuerhalten.

Eine zentrale Unterstützungsmassnahme war dabei das Covid-19-Bürgschaftsprogramm, das vom Bund ins Leben gerufen und vom Bankensystem umgesetzt wurde. Die SNB-Covid-19-Refinanzierungsfazilität (CRF) zählt ebenfalls zum Massnahmenpaket, das vom Bund und von der SNB im Einvernehmen mit den Banken erarbeitet wurde. Die CRF erlaubt es den Banken, die vom Bund garantierten Covid-19-Kredite bei der Nationalbank abzutreten und im Gegenzug Liquidität zum SNB-Leitzins von – 0,75 Prozent zu beziehen. Dies hat viel dazu beigetragen, dass die Banken den Unternehmen – insbesondere den KMU – schnell Kredite zu vorteilhaften Bedingungen gewähren konnten.

Zusätzlich zu diesen Massnahmen haben die Behörden einige regulatorische Anforderungen gelockert. Diese Erleichterungen wurden in einem Umfeld gewährt, das in Bezug auf die Auswirkungen und die Entwicklung der Pandemie mit einer unüblich grossen Unsicherheit behaftet war. Ein solches Umfeld kann dazu führen, dass sich die Banken risikoavers verhalten. Die Erleichterungen zielten deshalb darauf ab, die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe an betroffene Unternehmen zu fördern und dabei den Finanzinstituten den grösstmöglichen Spielraum zu gewähren.

Eine dieser Erleichterungen betrifft den antizyklischen Kapitalpuffer, den Banken vor der Pandemie im Zusammenhang mit Hypothekarkrediten zur Finanzierung von Wohnliegenschaften im Inland halten mussten. Dieser wurde vom Bundesrat auf Antrag der SNB deaktiviert.

Die Stützung des Kreditangebots für Unternehmen hat zusammen mit den anderen staatlichen Hilfen dazu beigetragen, das durch Liquiditätsengpässe bedingte Konkursrisiko zu senken. So hat die Pandemie bisher zu keiner Konkurswelle geführt. Die Anzahl Konkurseröffnungen belief sich im Mittel auf ungefähr 400 pro Monat seit Anfang der Pandemie und lag somit tiefer als im Durchschnitt der Jahre 2018 und 2019.[2] Dies hat wiederum dazu beigetragen, die negativen Auswirkungen für das Bankensystem zu minimieren und das Risiko zu mindern, dass sich ein Verstärkungsmechanismus durch das Bankensystem einstellt.

Die Erfahrung zeigt zwar, dass sich das Kreditrisiko üblicherweise erst eine gewisse Zeit nach einer Verschlechterung der konjunkturellen Entwicklung materialisiert. Somit könnte es sein, dass Verluste, die mit den bisherigen Pandemieauswirkungen zusammenhängen, erst in den nächsten Monaten anfallen. Gemäss den Szenarioanalysen der SNB sollten diese Verluste jedoch begrenzt bleiben und klar unter der Verlusttragfähigkeit des Bankensektors liegen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Stabilität des Bankensystems in einer Krise nicht nur von der Fähigkeit abhängt, die richtigen Krisenbewältigungsmassnahmen zu treffen. Vielmehr beruht sie auch auf den Anstrengungen, welche vor dem Schock unternommen wurden, um das System widerstandsfähiger zu machen. Die Erfahrung aus der Pandemie ist diesbezüglich ermutigend.

Widerstandsfähigkeit aufrechterhalten


Die pandemiebedingten Turbulenzen legen nahe, dass man diese Widerstandskraft auch in Zukunft bewahren muss. Denn die Corona-Krise hat uns daran erinnert, dass ein solch grosser Schock von globaler Reichweite jederzeit auftreten und die Wirtschaft wie auch das Finanzsystem unerwartet treffen kann.

Aus diesem Grund ist es wichtig, die nötigen Massnahmen zu treffen, damit das Bankensystem auch gegenüber zukünftigen Schocks widerstandsfähig bleibt. Die Behörden haben einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht, indem sie gewisse während der Krise gewährte regulatorische Erleichterungen beendet haben. Ein Beispiel dafür ist die erleichterte Berechnung der Leverage Ratio (mit Ausnahme von Zentralbankguthaben). Des Weiteren wird es wichtig sein, einerseits die bestehenden Massnahmen gegen die von den systemrelevanten Banken ausgehenden strukturellen Risiken aufrechtzuerhalten. Andererseits muss regelmässig überprüft werden, ob die Massnahmen, welche die Widerstandskraft des Bankensystems gegenüber zyklischen Risiken stärken und einem Aufbau von solchen Risiken entgegenwirken, angemessen bleiben. Das gilt insbesondere auch für die Höhe des antizyklischen Kapitalpuffers.

Den makroprudenziellen Massnahmen gegen zyklische Risiken sollte aufgrund der Verwundbarkeit des Hypothekar- und Immobilienmarkts ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die Verwundbarkeit, die bereits vor dem Pandemieausbruch bestand, ist seither noch grösser geworden: Die Hypothekarkredite und die Wohnliegenschaftspreise sind stärker gewachsen, als dies Fundamentalfaktoren wie Einkommen und Miete erklären können. Gleichzeitig hat das Tragbarkeitsrisiko für neue Hypothekarkredite (das Verhältnis zwischen Darlehen und Einkommen) zugenommen.

Anhaltend tiefe Zinsen begünstigen den Aufbau dieser Verwundbarkeit. Tiefe Zinsen prägen nach wie vor die aktuelle Situation und könnten dies auch noch eine Weile tun. Zum einen werden die wichtigsten möglichen Ursachen für das strukturell bedingte Tiefzinsumfeld, wie die Alterung der Bevölkerung oder das abnehmende Produktivitätswachstum, noch eine gewisse Zeit bestehen bleiben. Zum anderen hat in Bezug auf die zyklische Komponente die Pandemie die Notwendigkeit einer expansiven Geldpolitik verstärkt. Deswegen dürfte die Verwundbarkeit, welcher der Schweizer Bankensektor ausgesetzt ist, anhalten oder könnte in den kommenden Jahren gar zunehmen.

Diese Verwundbarkeit könnte sich im Falle eines negativen Schocks in Form einer Preiskorrektur am Immobilienmarkt materialisieren. Es ist somit unerlässlich, dass das Bankensystem in der Lage ist, die Verluste zu absorbieren, die aus einem solchen Schock resultieren könnten. Vor diesem Hintergrund überprüft die SNB regelmässig, ob der antizyklische Kapitalpuffer wieder aktiviert werden muss.

Ganz allgemein gilt es zu bedenken, dass der makroprudenzielle Rahmen regelmässig überprüft und allenfalls angepasst werden sollte. So können die sich ändernden Risiken berücksichtigt werden und die makroprudenziellen Massnahmen ihren vollen Beitrag dazu leisten, die Widerstandskraft des Bankensystems gegenüber allfälligen zukünftigen Schocks zu gewährleisten.

  1. Gemäss Art. 43 der Verordnung über die Eigenmittel und Risikoverteilung der Banken und Wertpapierhäuser (ERV). []
  2. Gemäss Daten des Schweizerischen Gläubigerverbandes Creditreform. Die vom Bundesrat getroffenen rechtlichen Massnahmen, um Konkurse zu verhindern (wie der befristete Rechtstillstand), müssen bei der Interpretation dieser Zahlen mitberücksichtigt werden. []

Zitiervorschlag: Fritz Zurbrügg, Toni Beutler, (2021). Corona-Krise: Wieso ein widerstandsfähiges Bankensystem wichtig ist. Die Volkswirtschaft, 28. Juni.

Der makroprudenzielle Rahmen in der Schweiz

Der Schweizer makroprudenzielle Rahmen hat zum Ziel, die Widerstandskraft des Bankensystems gegenüber systemischen Finanzstabilitätsrisiken zu stärken. Ausserdem soll dem Aufbau solcher Risiken mit spezifischen Instrumenten direkt und präventiv entgegengewirkt werden. Systemische Risiken gelten dann als strukturell, wenn sie im Zusammenhang mit systemrelevanten Instituten («Too big to fail», TBTF) stehen, und als zyklisch, wenn sie am prozyklischen Verhalten der Finanzakteure liegen.

Für die strukturelle TBTF-Problematik stützt sich der Ansatz auf zwei Pfeiler (wonach die systemrelevanten Banken zusätzlichen Anforderungen genügen müssen): einerseits Anforderungen hinsichtlich des Eigenkapitals und der Liquidität, um die Widerstandskraft zu stärken; andererseits Massnahmen zur Sanierung und zur geordneten Abwicklung für den Fall, dass der laufende Betrieb einer Bank in einer Krise nicht mehr aufrechterhalten werden kann.[1]

Bezüglich der zyklischen Risiken – insbesondere auf dem Immobilien- und Hypothekarmarkt – besteht der Rahmen aus drei Elementen: dem antizyklischen Kapitalpuffer, strengeren Eigenmittelanforderungen für Hypothekarkredite mit hohem Belehnungsgrad[2] und strikteren Selbstregulierungsrichtlinien der Banken bei der Vergabe von Hypotheken.