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Der Stellenmeldepflicht fehlt noch der Biss

Weitreichende Wirkungen der Meldepflicht blieben bisher aus. Doch im Kleinen gibt es Hinweise, dass die Instrumente nicht zahnlos sind – sie sollten allerdings weiter forciert werden.
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Ein Uhrmacher bei der Arbeit. Eine Analyse deutet darauf hin, dass die Stellenmeldepflicht für Männer die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit leicht erhöht. (Bild: Keystone)

Die Stellenmeldepflicht (STMP) wurde im Juli 2018 eingeführt und betraf zunächst alle Berufe mit einer Arbeitslosenquote von mehr als 8 Prozent.[1] Anfangs waren 19 Berufe von der STMP betroffen. Auf diese Berufe kamen im Jahr 2019 in etwa 24’600 Arbeitslose und 33’100 Zugewanderte. Das erklärte Ziel der STMP ist die bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials.

Für die Arbeitgeber hat die STMP zur Folge, dass sie Stellenangebote in den betroffenen Berufen melden müssen. Umgekehrt haben die beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) registrierten Stellensuchenden durch die STMP einen Vorteil: Offene Stellen in meldepflichtigen Berufen können sie über das zentrale Online-Stellensuchportal Job-Room fünf Arbeitstage früher einsehen als Stellensuchende, die nicht gemeldet sind oder aus dem Ausland suchen. Zudem sollen die RAV ihre Vermittlungstätigkeit durch zusätzliche Vorschläge an Arbeitgeber und Stellensuchende erhöhen (über Kandidatenvorschläge und Bewerbungsaufforderungen). Durch diese Kombination aus direktem Informationsvorsprung und verstärkter Vermittlungstätigkeit sollen Stellensuchende in der Schweiz gegenüber Stellensuchenden aus dem Ausland gefördert werden.

Ob die STMP diese Ziele erreicht hat, hat die Universität Lausanne gemeinsam mit der ETH Zürich in einer neuen empirischen Studie untersucht.[2] Auftraggeber der Studie war das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Als Grundlage für die Analyse dienten Registerdaten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsmarktstatistik sowie des zentralen Migrationsinformationssystems.

Die statistische Analyse fokussierte auf zwei Schätzverfahren: Erstens wurde mittels einer Regressions-Diskontinuitäts-Analyse nach einem möglichen Sprung in der Arbeitslosigkeit und der Zuwanderung um den 8-Prozent-Grenzwert gesucht. Zweitens wurden die Trendverläufe von stellenmeldepflichtigen und nicht meldepflichtigen Berufen über die Zeit mit einer sogenannten Difference-in-Differences-Analyse betrachtet. Beide Schätzverfahren zielen auf die Berechnung kausaler Effekte ab.

Bislang keine Effekte bei Zuwanderung


Die statistischen Analysen zeigen, dass die STMP im Jahr 2019 keine nachweisbaren Effekte auf die nationale Arbeitslosigkeit erzeugen konnte. Ebenfalls hat die STMP keinen Einfluss auf die Bruttozuwanderung – weder insgesamt noch aufgeschlüsselt nach Aufenthaltsbewilligung oder Herkunftsregion (siehe Abbildung 1). Die statistischen Schätzungen sind genügend präzis, um Effekte grösser als 5 Prozent (Arbeitslosigkeit) beziehungsweise grösser als 10 Prozent (Zuwanderung) mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliessen zu können. Die Ergebnisse wurden ausführlich auf ihre Robustheit getestet sowie mit alternativen Analyseansätzen verglichen.

Auch vertiefende Untersuchungen nach Kantonen sowie nach Alter und Geschlecht konnten grösstenteils keine statistisch nachweisbaren Effekte aufdecken. Eine Ausnahme stellen Männer dar. Für sie gibt es Hinweise auf eine Erhöhung der Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit dank der STMP.

Abb. 1: Wirkung der Stellenmeldepflicht auf die Zuwanderung in die Schweiz




Die Abbildung zeigt geschätzte Effekte der Stellenmeldepflicht auf die Einwanderung in Prozent mit 95-Prozent-Konfidenzintervallen. Wir berechnen die Effekte separat für Personen mit B-Aufenthaltstitel (5 Jahre gültig), L-Aufenthaltstitel (Kurzaufenthalter) sowie getrennt für Personen aus EU/Efta und anderen Ländern. Alle geschätzten Effekte sind statistisch nicht signifikant.

Quelle: AHV, Zemis / Eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

Unbestritten ist, dass die STMP durch die exklusive Einsicht in gemeldete Stellen während der Sperrfrist einen Informationsvorsprung für inländische Stellensuchende schafft. Stellensuchende und Mitarbeitende in den RAV können diese Information nutzen, um den Zugang zu meldepflichtigen Stellen zu verbessern. Und tatsächlich: Unsere vertiefenden Analysen der individuellen Verweildauern in der Arbeitslosigkeit zeigen, dass Personen, die eine meldepflichtige Stelle suchen, in den ersten 30 Wochen der Stellensuche etwas erfolgreicher sind, eine solche zu finden (siehe Abbildung 2). Ebenfalls erhöht die STMP die Wahrscheinlichkeit leicht, eine solche Stelle aufgrund einer Bewerbungsaufforderung oder eines Kandidatenvorschlages des RAV zu finden. Dieser Befund lässt sich durch die höhere Vermittlungstätigkeit der RAV in meldepflichtigen Berufen erklären.

Allerdings sind diese Effekte auf die Findung von meldepflichtigen Stellen gering und wirken sich bisher nicht auf die aggregierte Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit aus. Das erklärt, weshalb die STMP im Jahr 2019 zwar gewisse individuelle Effekte zeitigte, aber die Gesamtarbeitslosigkeit nicht nachweislich beeinflusste. Diese Erkenntnisse geben jedoch erste Hinweise darauf, dass intensivere Vermittlungstätigkeiten durch die RAV erfolgreich sein könnten.

Abb. 2: Wahrscheinlichkeit, eine Stelle in meldepflichtigen Berufen zu finden, nach Dauer der Stellensuche




Die Abbildung zeigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Stellensuchende in einer gegebenen Woche ihrer Suche eine Stelle in einem Beruf findet, welcher der STMP unterstellt ist. Die Analyse fokussiert auf Stellensuchende, welche in mindestens einem meldepflichtigen Beruf suchen. Die blaue Linie zeigt den tatsächlichen Verlauf der Wahrscheinlichkeit mit STMP, die rote Linie zeigt den geschätzten Verlauf ohne STMP.

Quelle: AHV, ZEMIS / Eigene Berechnungen der Autoren / Die Volkswirtschaft

Keine messbare Wirkung – wieso?


Warum konnte die STMP bisher keine messbare Wirkung auf die Zielgrössen Arbeitslosigkeit und Zuwanderung entfalten? Eine mögliche Erklärung ist, dass die STMP nur einen kleinen Teil des Arbeitsmarktes umfasst. Viele meldepflichtige Berufe sind zudem eher speziell: So weisen etwa PR-Fachleute eine verschwindend kleine Zuwanderungsrate auf. Der Arbeitsmarkt von landwirtschaftlichen Gehilfen wiederum ist durch stark saisonale Schwankungen und kurzfristige Arbeitsverhältnisse geprägt. Und auch weitere meldepflichtige Berufe weisen eine kurze Anstellungsdauer auf, sodass mögliche Effekte der STMP auf die Gesamtarbeitslosigkeit relativ schnell ausgedünnt werden.

Zudem ist die Möglichkeit der STMP, die Zuwanderung zu senken, schon per Konstruktion begrenzt: Etwa ein Drittel aller Zugewanderten findet nämlich erst nach der Einreise in die Schweiz eine Stelle. Dazu zählen Begleitpersonen und Familienmitglieder sowie Personen, die aus nicht beruflichen Gründen zuwandern. Bezüglich Zuwanderung ist die Wirksamkeit der STMP also auf Personengruppen begrenzt, die aus dem Ausland in der Schweiz eine Stelle suchen. Das heisst auf lediglich zwei Drittel aller Zugewanderten.

Auch die Ausübung des direkten Informationsvorsprungs durch Stellensuchende in der Schweiz hängt entscheidend von der tatsächlichen Nutzung des zentralen Online-Stellensuchportals Job-Room ab. Die Studie zeigt, dass die Nutzungsrate gemessen über den Anteil der Stellensuchenden, die sich mindestens einmal im Monat in Job-Room einloggen, deutlich zwischen den Kantonen variiert: von knapp 3 Prozent in Glarus bis 25 Prozent im Tessin. Dies deutet darauf hin, dass die Bedeutung von Job-Room in einigen Kantonen der Schweiz noch zu klein ist, als dass sich daraus ein merklicher Vorteil für Stellensuchende aus dem Inland entwickeln könnte.

Ähnliches gilt für die Vermittlungsrate. Auch sie unterscheidet sich stark nach Kantonen und Berufen. Die Ergebnisse weiterer Analysen in dieser Studie legen nahe, dass in Berufen und Branchen, in welchen Stellensuchende und Unternehmen schon vor Einführung der STMP mit Stellenmeldung und Bewerbungsaufforderungen vertraut waren, die STMP einen stärkeren positiven Effekt auf die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit hat. Dieses Resultat könnte auf zusätzliches Potenzial bei der Vermittlungstätigkeit der RAV hinweisen: Falls sich mit fortschreitender Zeit die Akzeptanz der STMP erhöht, könnten die damit einhergehenden zusätzlichen Vermittlungen künftig auch in anderen Berufen die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit erhöhen.

Mehr Engagement und Akzeptanz


Die mögliche Wirkung der Stellenmeldepflicht hängt von der Vermittlungstätigkeit der RAV sowie ihrer Bekanntheit und Akzeptanz unter Stellensuchenden und Arbeitgebern ab. In Anbetracht unserer Resultate stellt sich die Frage, ob den Stellensuchenden die Vorteile der STMP und die Rolle von Job-Room genügend bekannt sind. Gelingt es, den Informationsvorteil durch die STMP zu vermitteln, könnte dies im besten Fall die Suchintensität der betroffenen Stellensuchenden steigern.

Von den Arbeitgebern wäre auf der anderen Seite wichtig zu erfahren, wie sie die Kandidatenvorschläge der RAV beurteilen. Denn auch hier haben effektivere Vermittlungen das Potenzial, die Suchkosten der Arbeitgeber zu senken. Für beides ist die Rolle der RAV zentral: Eine aktive und breite Vermittlungstätigkeit sowie ein enger Kontakt zu den Arbeitgebern sind mögliche Ansätze, um die STMP zu stärken.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass den Instrumenten der STMP noch der nötige Biss fehlt, um Arbeitslosigkeit und Zuwanderung deutlich zu senken. Die Detailanalysen dieser Studie legen nahe, dass durch eine Stärkung der bestehenden Instrumente im Rahmen einer «Stellenmeldepflicht plus» die gesetzten Ziele erreicht werden könnten. Dabei erscheinen insbesondere eine Ausweitung der Vermittlungsvorschläge und eine stärkere Nutzung des Informationsvorsprungs über den Job-Room vielversprechend.

  1. Der Grenzwert wurde im Januar 2020 auf 5 Prozent herabgesetzt. []
  2. Die vollständige Studie ist online verfügbar auf Seco.admin.ch. []

Zitiervorschlag: Hangartner, Dominik; Ahrens, Achim; Lehmann, Tobias; Lalive, Rafael; Arni, Patrick (2021). Der Stellenmeldepflicht fehlt noch der Biss. Die Volkswirtschaft, 14. Juni.