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Erste Erfahrungen mit der Stellenmeldepflicht

Mit der Abstimmung «Gegen Masseneinwanderung» sprach sich die Schweizer Bevölkerung für eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials aus. Die Umsetzung mündete in der Stellenmeldepflicht – ein Rückblick.
Das Parlament beschliesst in der Wintersession 2016 die Stellenmeldepflicht. Ausgangslage ist das Volks-Ja zur Initiative «Gegen Masseneinwanderung» im Jahr 2014. (Bild: Keystone)

Am 9. Februar 2014 haben Volk und Stände die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» angenommen und in der Bundesverfassung einen neuen Artikel zur Steuerung der Zuwanderung geschaffen. Um dieses Volksvotum umzusetzen, hat das Parlament im Dezember 2016 verschiedene Gesetzesänderungen zur verstärkten Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials beschlossen. Indirekt sollte dies die Steuerung der Zuwanderung ermöglichen. Eine der beschlossenen Massnahmen ist insbesondere die Stellenmeldepflicht in Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit[1]. Im Dezember 2017 hat der Bundesrat die Präzisierungen dazu in der Arbeitsvermittlungsverordnung verabschiedet und das Gesetz und die Verordnung per 1. Juli 2018 in Kraft gesetzt.

Die Stellenmeldepflicht verpflichtet die Arbeitgeber heute, alle offenen Stellen in Berufsarten mit schweizweit mindestens 5 Prozent Arbeitslosigkeit der öffentlichen Arbeitsvermittlung beziehungsweise den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zu melden. In der Einführungsphase vom 1. Juli 2018 bis zum 31. Dezember 2019 lag dieser Schwellenwert noch bei 8 Prozent.

Der Zugriff auf die gemeldeten Stellen ist während einer Frist von fünf Arbeitstagen auf Personen, die bei den RAV als Stellensuchende registriert sind, sowie Mitarbeitende der RAV beschränkt. Arbeitgeber dürfen die meldepflichtigen Stellen erst nach Ablauf dieser Frist öffentlich ausschreiben. Damit erhalten die Stellensuchenden beim RAV einen Informations- und Bewerbungsvorsprung gegenüber anderen Kandidatinnen und Kandidaten.

Zudem übermitteln die RAV den Arbeitgebern innerhalb von drei Arbeitstagen passende Dossiers von registrierten Stellensuchenden oder informieren sie, dass keine solchen gefunden wurden. Die Arbeitgeber laden anschliessend die geeigneten Stellensuchenden zu einem Bewerbungsgespräch oder einer Eignungsabklärung ein und teilen den RAV mit, ob sie einen der vorgeschlagenen Stellensuchenden eingeladen und angestellt haben (siehe Abbildung).

Die Stellenmeldepflicht in drei Schritten




Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Effiziente Umsetzung


Erzielt die Stellenmeldepflicht nicht die gewünschte Wirkung oder ergeben sich neue Probleme, so unterbreitet der Bundesrat der Bundesversammlung nach Anhörung der Kantone und der Sozialpartner zusätzliche Massnahmen.[2] Dieser gesetzliche Auftrag erfordert eine Evaluation über die Wirkungen der Stellenmeldepflicht. Mit der Annahme der Motion «Monitoring über die Wirkung der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative»[3] haben National- und Ständerat diesen Auftrag bekräftigt.

Seither wird wiederholt ein Monitoringbericht zur Überprüfung des gesetzeskonformen Vollzugs der Stellenmeldepflicht erstellt. Der erste Monitoringbericht zum Vollzug der Stellenmeldepflicht wurde 2019[4] veröffentlicht. Gemäss diesem ist das erste Jahr der Stellenmeldepflicht insgesamt erfolgreich verlaufen. Die administrativen Abläufe zwischen Arbeitgebern, privaten Arbeitsvermittlern und den RAV sind effizient sowie rechtskonform ausgestaltet.

Ergänzend zu diesem ersten Monitoringbericht liess das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Wirkung auf Arbeitslosigkeit und Zuwanderung sowie den Vollzug der Stellenmeldepflicht in der Einführungsphase vertieft untersuchen. Dies geschah im Rahmen von jeweils zwei sogenannten Wirkungsevaluationen[5] resp. Monitoringevaluationen[6]. Die Resultate dieser vertieften Untersuchungen und des aktuellen Monitoringberichts 2020[7] finden sich in diesem Dossier.

Noch geringe Reichweite


Die beiden Wirkungsevaluationen konnten in der Einführungsphase der Stellenmeldepflicht keinen statistisch signifikanten Effekt auf die Arbeitslosigkeit und die Zuwanderung feststellen. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich um eine neue Massnahme handelt. Sie dürfte sich bei den RAV, den Stellensuchenden und den Unternehmen mit der Zeit noch besser einspielen.

Wichtig ist zudem der Umstand, dass die Reichweite der Stellenmeldepflicht in der Einführungsphase relativ gering war. Aufgrund des erhöhten Schwellenwerts von 8 Prozent Arbeitslosigkeit und auch weil die Arbeitslosenquote bei der Einführung niedrig war, unterstanden in den ersten anderthalb Jahren lediglich 19 Berufe der Stellenmeldepflicht. Dies entsprach 7,6 Prozent der Erwerbstätigen in meldepflichtigen Berufen.

Erfreulich ist, dass gewisse Teilergebnisse auf eine positive Wirkung der Stellenmeldepflicht hindeuten. So hat sich diese auf die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit von Männern (insbesondere im Alter von über 35 Jahren) günstig ausgewirkt. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass die Stellenmeldepflicht die Wahrscheinlichkeit der Stellenfindung in einem meldepflichtigen Beruf leicht erhöhte. Zudem wirkte sich eine stärkere Vermittlungstätigkeit der RAV positiv auf diese Wahrscheinlichkeit aus. Die Vermittlungsaktivitäten der RAV stellen sich damit durchaus als potenziell wirksamer Hebel für die Stellenfindung heraus.

Optimierungspotenzial besteht


Die Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Rolle der RAV und zeigen, wie wichtig eine gute Umsetzung der Stellenmeldepflicht ist. Gestützt auf kantonale Informationen aus dem ersten Monitoringbericht des Seco, konnte mithilfe der zwei sogenannten Monitoringevaluationen an verschiedenen Stellen Optimierungspotenzial im kantonalen Vollzug identifiziert werden.

Ein wichtiges Ergebnis ist, dass bei vielen Kantonen noch Potenzial besteht, auf mehr gemeldete Stellen mindestens eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorzuschlagen. Dies zeigte eine Gegenüberstellung der gemeldeten Stellen mit den gemeldeten Stellensuchenden und deren Profil mit Merkmalen wie bspw. gesuchter Beruf, Qualifikation und Erfahrung. In kleinen Kantonen und bei spezialisierten Berufen sollte auch vermehrt über Kantonsgrenzen hinaus gesucht werden, um den Kreis an potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten zu vergrössern.

Weiteres Potenzial birgt der Aufbau guter Beziehungen zwischen RAV und Arbeitgebern. In Interviews mit RAV-Leitenden verschiedener Kantone kam zum Ausdruck, wie bedeutend eine gute Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern ist. Wenn die Unternehmen auf gute Erfahrungen mit der RAV-Vermittlung zurückgreifen können, wirkt sich dies positiv auf ihre Bereitschaft aus, einen Stellensuchenden vom RAV einzustellen. Ein Indiz dafür ist, dass der Vermittlungserfolg bei direkten Stellenmeldungen ans RAV deutlich wahrscheinlicher war als bei Meldungen, die über das zentrale Online-Stellenmeldeportal Arbeit.swiss oder über eine Informatikschnittstelle getätigt wurden. Entsprechend wichtig ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen RAV und Arbeitgebern für den Erfolg der Stellenmeldepflicht insgesamt.

Stellensuchende werden von ihren Personalberatenden angehalten, durch die Nutzung eines Job-Room-Kontos auch selbst aktiv zu werden und vom fünftägigen Informationsvorsprung für die im geschützten Bereich des Job-Rooms aufgeschalteten meldepflichtigen Stellen zu profitieren. Es konnte gezeigt werden, dass die Stellensuchenden mit einem Konto diesen Vorsprung auch tatsächlich nutzen. Allerdings besass in der Einführungsphase der Stellenmeldepflicht erst rund ein Viertel der registrierten Stellensuchenden ein solches Konto. Durch weitere Informationskampagnen sowie Vereinfachungen und Verbesserungen bei der Job-Room-Anwendung sollte dieser Anteil weiter gesteigert werden, damit Stellensuchende den Informationsvorsprung noch stärker selbstständig nutzen könnten.

Stellenmeldepflicht 2020


Wie der aktuelle, zweite Monitoringbericht über den Vollzug der Stellenmeldepflicht zeigt, konnte die Stellenmeldepflicht auch im Jahr 2020 gesetzeskonform und effizient umgesetzt werden. Dies, obwohl die Stellenmeldepflicht zu Beginn der Covid-Krise während zehn Wochen aufgrund der ausserordentlichen Arbeitsbelastung der öffentlichen Arbeitsvermittlung und zur Entlastung der krisengeschüttelten Unternehmen sistiert wurde.

Bezüglich der Umsetzungsaktivitäten gab es gegenüber der Einführungsphase trotz der schwierigen Lage auf dem Stellenmarkt verschiedene positive Entwicklungen. So nutzten die Stellensuchenden den Informationsvorsprung zunehmend, und die Arbeitgeber meldeten in 8,2 Prozent der Fälle mit Vorschlägen des RAV zurück, dass sie mindestens eine oder einen der empfohlenen Kandidatinnen und Kandidaten einstellen konnten. Dieser Wert lag 2019 noch bei 7,8 Prozent.

Reichweite nimmt zu


Die Wirkungsevaluationen der Stellenmeldepflicht haben für die anderthalbjährige Einführungsphase keinen signifikanten Einfluss auf die aggregierte Arbeitslosigkeit oder die Zuwanderung festgestellt. Leicht positive Effekte wurden nur für gewisse Teilergebnisse gefunden. In der Einführungsphase und auch im letzten Jahr war die Reichweite der Stellenmeldepflicht noch relativ klein. Der Grund ist, dass bei der damaligen Festlegung der meldepflichtigen Berufe die Arbeitslosigkeit sehr tief war und deshalb nur wenige Berufe der Meldepflicht unterlagen. Damit konnte eine geordnete Einführung neuer Prozesse und Instrumente gewährleistet werden. Gleichzeitig war aber zu erwarten, dass dies die direkte Beeinflussung der Arbeitslosigkeit und der Zuwanderung einschränken würde.

Im Jahr 2021 haben sich die Voraussetzungen aufgrund der Covid-Krise deutlich verändert. So unterstehen in diesem Jahr deutlich mehr Berufe der Stellenmeldepflicht: Die meldepflichtigen Berufe dürften knapp 15 Prozent der Erwerbstätigen umfassen. Zudem werden die beim RAV gemeldeten offene Stellen aufgrund der gestiegenen Arbeitslosenzahlen auf einen grösseren Kreis potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten treffen. In dieser Situation ist eine konsequente Umsetzung der Stellenmeldepflicht entscheidend. Die Evaluationen geben verschiedene Hinweise darauf, wie die Wirkung der Stellenmeldepflicht gesteigert werden kann. Aus diesen Ergebnissen gilt es nun, im Austausch mit den Kantonen, Lehren zu ziehen, damit Verbesserungen im Vollzug den Stellensuchenden im kommenden Aufschwung zum grösstmöglichen Vorteil gereichen können.

  1. Art. 21a Ausländer- und Integrationsgesetz AIG. []
  2. Gemäss Artikel 21a Absatz 8 AIG. []
  3. Motion 16.4151. []
  4. Der Monitoringbericht 2019 ist online verfügbar auf Newsd.admin.ch. []
  5. Siehe den Artikel von Sheldon und Wunsch sowie den Artikel von Hangartner, Ahrens, Lehmann, Lalive und Arni[]
  6. Siehe den Artikel von Braun-Dubler, Kaderli und Puhani sowie den Artikel von Bamert, Beerli, Kaiser, Kopp und Siegenthaler[]
  7. Siehe den Artikel von Keller und Abrassart[]

Zitiervorschlag: Amélie Speiser, Stefan Leist, Christian Müller, (2021). Erste Erfahrungen mit der Stellenmeldepflicht. Die Volkswirtschaft, 14. Juni.