Suche

Abo

«In der Schweiz gibt es teilweise Berührungsängste»

Sabine Bruckner, Geschäftsführerin von Pfizer Schweiz, wünscht sich, dass die Gesundheitsbehörden die Pharmabranche stärker konsultierten – etwa bei der Frage, wie die Impfbereitschaft erhöht werden könnte.

«In der Schweiz gibt es teilweise Berührungsängste»

«Wir sind in der Schweiz in der glücklichen Lage, dass wir innovative Therapien allen zur Verfügung stellen können, die sie brauchen»: Sabine Bruckner, Geschäftsführerin von Pfizer Schweiz, in Zürich. (Bild: Marlen von Weissenfluh / Die Volkswirtschaft)

Frau Bruckner, macht der Corona-Impfstoff Pfizer dieses Jahr zum umsatzstärksten Pharmaproduzenten der Welt?

Pfizer gehört seit je zu den grössten biopharmazeutischen Unternehmen weltweit. Auch im Jahr 2020 waren wir umsatzmässig unter den Top 3.

Entwickelt hat der US-Konzern den Impfstoff gemeinsam mit dem deutschen Start-up Biontech. Wie lief diese Kooperation ab?

Das ist eine Erfolgsgeschichte: Pfizer brachte das Know-how als bewährter Impfstoffhersteller ein, und das Unternehmen Biontech verfügte über hervorragende Kenntnisse in der Erforschung der mRNA-Technologie. Mit Biontech arbeiten wir bereits seit 2018 zusammen. Ursprünglich war geplant, einen mRNA-Grippeimpfstoff zu entwickeln. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde die Entwicklung eines Covid-Impfstoffs zur Priorität.

Wie sind Pfizer, Biontech und mRNA-Technologie aneinandergebunden?

Die Entwicklung des Corona-Impfstoffs musste schnell gehen. Wir haben daher mit Biontech bereits zu arbeiten begonnen, ehe alle vertraglichen Einzelheiten vollumfänglich geregelt waren.

Pfizer betreibt keine eigene Forschung in der Schweiz. Was machen Ihre über 200 Mitarbeitenden?

Sie kümmern sich um Zulassungen, klinische Studien sowie um Erstattung und Vertrieb unserer Arzneimittel in der Schweiz. Wir betreiben hier zwar keine Grundlagenforschung, kooperieren aber mit verschiedenen Schweizer Universitäten – beispielsweise bei der Durchführung von klinischen Studien. Auch unterstützen wir die Grundlagenforschung, unter anderem mit dem Pfizer-Forschungspreis – und das schon seit mehr als 30 Jahren.

Der Pharmamarkt ist stark reguliert. Wo würden Sie sich für Ihre Branche mehr Gestaltungsraum wünschen?

Eine Regulierung des Pharmamarkts ist wichtig. Es geht um die Sicherheit der Patienten. Ich würde mir aber wünschen, dass die Gesundheitsbehörden die Pharmabranche stärker konsultieren. In der Schweiz gibt es teilweise Berührungsängste zwischen der Politik, dem Bund und der Pharmaindustrie. Wir könnten uns beispielsweise einbringen, wenn es darum geht, die Impfbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen oder digitale Lösungen im Gesundheitswesen voranzutreiben – ohne dass dies die Unabhängigkeit der Behörde gefährden würde.

Wie könnte der Bundesrat die Impfbereitschaft der Bevölkerung erhöhen?

Ein Teil der Schweizer Bevölkerung ist impfskeptisch. Ich bin überzeugt, dass die Aufklärung der Öffentlichkeit in Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen, medizinischen Fachkreisen und Gesundheitseinrichtungen entscheidend ist, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Impfungen zu schärfen. Wir müssen Antworten liefern auf Fragen wie: Was bedeutet eine Erkrankung mit Covid-19? Welche Risiken birgt die Krankheit? Wie werden Impfstoffe entwickelt? Mit seriösen Informationen wächst das Vertrauen.

In der Schweiz vergehen teilweise bis zu zwei Jahre, bis es ein Medikament auf die Erstattungsliste der Grundversicherung schafft

Was sagen Sie zum Vorwurf, die mRNA-Technologie sei jahrelang mit öffentlichen Geldern entwickelt worden – und nun verdienten die Pharmakonzerne daran?

Auch die Pharmaindustrie hat jahrelang sehr viel Risikokapital investiert, um dieser Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Kommt hinzu: Ohne grosse Unternehmen können Start-ups nötige klinische Studien oftmals gar nicht oder nicht so rasch durchführen. Wir helfen mit Know-how, der nötigen Infrastruktur und Risikokapital. Klinische Studien sind sehr aufwendig.

Die Medikamentenkosten pro Kopf in der Schweiz sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Warum?

Die Menge an verkauften Medikamenten pro Kopf nimmt zu: Zum einen werden wir älter. Zum anderen tragen neue Produkte, beispielsweise gegen Krebs oder Autoimmunerkrankungen, dazu bei. Immer mehr Krankheiten lassen sich heute medikamentös behandeln.

Inzwischen sind vertrauliche Preisverhandlungen zwischen Pharmaindustrie und Staat immer verbreiteter. Hat der Auslandpreisvergleich ausgedient?

Nein. Durch den Auslandpreisvergleich sind die Preise in der Schweiz dieses Jahr für 300 Medikamente um durchschnittlich 10 Prozent gesunken. Wenn es jedoch für ein neues Arzneimittel noch keinen Vergleichspreis im Ausland gibt, dann werden andere Faktoren für die Preisfindung herangezogen. In der Schweiz wird dann dem therapeutischen Quervergleich mehr Gewicht gegeben.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Arzneimittelbehörde Swissmedic ein?

Wir haben bei der Zulassung unseres Covid-Impstoffs sehr eng und sehr gut mit Swissmedic zusammengearbeitet. Das zeigt: Swissmedic kann innovative Therapien rasch zulassen. Bei den allgemeinen Zulassungsfristen für Arzneimittel würde ich mir jedoch wünschen, dass Swissmedic künftig zeitlich noch näher an der Europäischen Arzneimittelagentur EMA oder anderen Behörden dran ist.

Wäre es nicht einfacher, weltweit nur eine einzige Zulassungsbehörde zu haben?

Nationale Arzneimittelbehörden sind wichtig für die Bevölkerung. Sie sind unabhängig und prüfen unsere Produkte. Damit stärken sie das Vertrauen der Patienten in unsere Arzneimittel.

Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial am Schweizer Pharmamarkt?

Bei der Vergütung von Medikamenten nach der Zulassung: In der Schweiz vergehen teilweise bis zu zwei Jahre, bis es ein Medikament auf die Erstattungsliste der Grundversicherung schafft. In anderen Ländern werden Medikamente bereits ab Zulassung vergütet. Ein Beispiel: Deutschland setzt zunächst einen provisorischen Preis fest – und verhandelt anschliessend den definitiven Preis.

Hoch qualifizierte Arbeitskräfte sind überall auf der Welt teuer

Wie wichtig ist der Patentschutz?

Der Patentschutz ist ein unerlässlicher Bestandteil der Forschung: Er ist ein Treiber für Innovation, da er den Unternehmen und ihren Partnern eine Abgeltung ihrer Investitionen garantiert. Der Verzicht auf Patentschutz würde viele Unternehmen künftig davon abhalten, Risiken einzugehen. Es gibt unzählige kleine Biotech-Innovatoren, die auf das Kapital von Investoren angewiesen sind.

Ärmere Länder fordern, den Patentschutz aufzuheben, damit weltweit genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen. Was entgegnen Sie?

Statt den Patentschutz aufzuheben, müssen wir uns auf die Produktion und die Verteilung der Impfstoffe konzentrieren. Pfizer arbeitet dazu unter anderem mit der internationalen Allianz Covax Facility oder der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung zusammen. Weiter haben wir Impfstoffe gespendet und für den afrikanischen und den lateinamerikanischen Markt Kooperationen mit lokalen Herstellern abgeschlossen.

Dennoch: Der globale Zugang zu Impfstoffen ist laut der Covax Facility derzeit ungenügend.

Wir setzen uns seit je für einen fairen und gerechten Zugang zu unserem Impfstoff ein. Wir werden Wege finden, mehr Menschen mit Impfdosen zu versorgen. Doch oft geht vergessen, welcher logistische Aufwand für die Verteilung der Impfstoffe nötig ist. Unser Impfstoff muss beispielsweise bei Temperaturen zwischen minus 90 und minus 60 Grad transportiert und gelagert werden – und dies in Ländern mit zum Teil fehlender Infrastruktur. Vielerorts mangelt es zudem an Fachpersonal, um Impfungen im grossen Stil durchzuführen.

Gerade Entwicklungsländer argumentieren, die patentgeschützten Impfstoffe seien zu teuer.

Damit alle Länder Zugang zu unserem Covid-19-Impfstoff haben, muss nebst einer ausreichenden Produktion auch der Preis bezahlbar bleiben. Aus diesem Grund haben wir bei Impfstoffen ein gestaffeltes Preismodell eingeführt: Pfizer-CEO Albert Bourla sagte einmal, in jedem Land solle unser Impfstoff etwa gleich viel kosten wie eine Mahlzeit.

Im Gegensatz zu anderen Ländern kennt die Schweiz keinen Grenzwert für Behandlungs- oder Medikamentenkosten. Wie viel soll die Gesellschaft für ein Lebensjahr bezahlen?

Das ist eine ethische Frage. Wir sind in der Schweiz in der glücklichen Lage, dass wir innovative Therapien allen zur Verfügung stellen können, die sie brauchen. So lange sind wir auch in der glücklichen Lage, diese Frage nicht diskutieren zu müssen.

Auf welche Rahmenbedingungen muss die Schweiz achten, damit es das Pharmaland in 30 Jahren noch gibt?

Entscheidend ist das wirtschaftspolitische Umfeld: Es braucht eine innovationsfreundliche Gesetzgebung, eine attraktive Unternehmensbesteuerung, eine gute Infrastruktur und gut ausgebildete Universitätsabgänger. Zudem muss der Zugang zur EU gewährleistet sein, unter anderem zu länderübergreifenden Forschungsprogrammen wie aktuell Horizon Europe.

Sind die hohen Löhne ein Standortnachteil?

Hoch qualifizierte Arbeitskräfte sind überall auf der Welt teuer. Viel wichtiger sind die Rahmenbedingungen.

Wie unterscheiden sich die Pharmamärkte der Schweiz und der USA, des Heimmarkts von Pfizer?

Da gibt es enorme Unterschiede. Der wohl entscheidendste ist, dass in der Schweiz alle Einwohner Zugang zu einem hochwertigen Gesundheitssystem über die solidarisch finanzierte Grundversicherung haben – das ist in den USA nicht so.

Welche drei Schlagworte beschreiben das Pharmaland Schweiz am besten?

Innovativ, international bedeutend, aber auch traditionell.

Wieso traditionell?

In einigen Bereichen, beispielsweise der Digitalisierung im Gesundheitswesen, besteht in der Schweiz im internationalen Vergleich Aufholbedarf. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind die verschiedenen Gesundheitsdatensysteme – Spitäler, Arztpraxen und Krankenkassen – bei uns kaum vernetzt. Ein wichtiger Baustein eines solchen Datenökosystems wäre ein elektronisches Patientendossier. Hier steht die Schweiz noch am Anfang. Beispielsweise schneiden gemäss einer Studie der Bertelsmann-Stiftung Länder wie Kanada oder Dänemark hier besonders gut ab.

Was wäre der Nutzen einer stärkeren digitalen Vernetzung für die Pharmaindustrie?

Historisch hat sich die Medizin schon immer über den Datenaustausch weiterentwickelt: Ärzte machten eine Beobachtung und teilten diese Information. Heute stünden – in Ergänzung zu Daten aus klinischen Studien – potenziell riesige Datenmengen zur Verfügung, sogenannte Realweltdaten. Israel hat uns beispielsweise regelmässig aggregierte Daten aus der nationalen Covid-Impfkampagne zur Verfügung gestellt. Dadurch konnten wir wichtige zusätzliche Erkenntnisse gewinnen: zum Beispiel zu sehr seltenen Nebenwirkungen oder wie lange der Impfschutz in einer bestimmten Altersgruppe wirkt. Und dies, obwohl unsere klinische Studie bereits 43’000 Teilnehmer eingeschlossen hatte.

Antibiotika-Resistenzen könnten die nächste globale Gesundheitskrise auslösen

In der Schweiz gibt es diesbezüglich Datenschutzbedenken.

Diese Bedenken verstehe ich. Ich kann aber beruhigen: Industrie und Wissenschaft benötigen keine persönlichen Informationen einzelner Patienten – die Metadaten reichen aus. Der Staat hat die nötigen Kompetenzen in der Datenanonymisierung: Auch die Steuerverwaltung arbeitet ja beispielsweise mit sensiblen personenbezogenen Daten, aus denen aggregierte Informationen abgeleitet werden, wie beispielsweise das Durchschnittseinkommen.

Daten sind auch für Techkonzerne wie Google und Apple interessant.

Im Umgang mit unseren persönlichen Daten handeln wir oft etwas widersprüchlich: Gesundheits-Apps auf unseren Mobiltelefonen werden bereitwillig Gesundheitsdaten mitgeteilt, ohne zu hinterfragen, wie und wo diese Daten gespeichert werden. Beim Thema Datenspenden für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens fehlt es uns an Vertrauen und Akzeptanz. Ein konstruktiver und transparenter rechtlicher Rahmen wäre ein wichtiger und aus meiner Sicht notwendiger erster Schritt.

Pfizer forscht auch an neuartigen Antibiotika – einem Bereich, mit dem sich wenig Geld verdienen lässt. Warum?

Antibiotika-Resistenzen könnten die nächste globale Gesundheitskrise auslösen. Bereits heute sterben weltweit mindestens 700’000 Menschen jährlich an den Folgen einer Antibiotika-Resistenz. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns hier mit Hochdruck weiter engagieren.

Zitiervorschlag: Guido Barsuglia, Stefan Sonderegger (2021). «In der Schweiz gibt es teilweise Berührungsängste». Die Volkswirtschaft, 24. November.

Sabine Bruckner und Pfizer

Seit Februar 2020 ist die 52-jährige Sabine Bruckner Geschäftsführerin von Pfizer Schweiz. Davor arbeitete die Ökonomin und gebürtige Österreicherin bei Pfizer in verschiedenen Funktionen – unter anderem in Japan im Bereich der Immunologie und in der Schweiz als Mitglied der Geschäftsleitung mit Schwerpunkt Finanzen.

Im Jahr 2020 betrug der Gesamtumsatz des US-Konzerns 42 Milliarden Dollar. Für 2021 erwartet Pfizer allein für den Corona-Impfstoff einen Umsatz von 34 Milliarden Dollar. Weltweit beschäftigt das Unternehmen 78’500 Mitarbeitende, von ihnen rund 220 in der Schweiz.