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Kaufen versus Mieten

«Mehr Angebot an Wohnraum dämpft die Mieten.» (Bild: Alamy)

Die Immobilienkaufpreise steigen und steigen – und das selbst in turbulenten Zeiten wie der Finanzkrise, dem Frankenschock und Corona. Zwischen 2011 und 2021 legten die Kaufpreise für Mehrfamilienhäuser um 43 Prozent zu, wie der qualitätsbereinigte Preisindex von Wüest Partner zeigt.

Das ist bemerkenswert – hat sich die Anzahl leer stehender Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren von 38’000 auf 71’000 doch deutlich erhöht. Und die mittlere inserierte Wohnungsmiete blieb unverändert. Daher stellt sich die Frage: Warum entwickeln sich Miete und Kaufpreise so unterschiedlich?

Der Grund liegt in der andersartigen ökonomischen Natur von Miete und Kauf. Miete stellt Konsum, ein Liegenschaftskauf hingegen eine Investition dar. Bei den Marktmieten sind Angebot und Nachfrage zur Nutzung einer Mietwohnungsfläche bestimmend: Im letzten Jahrzehnt übertraf der Zuwachs an zusätzlichen Mietwohnungen das Wachstum der Mietwohnungshaushalte, was die Höhe der Mieten dämpft.

Beim Kauf bestimmen Angebot und Nachfrage an Liegenschaftsbesitz den Preis. Dabei spielen die Mieterträge natürlich ebenfalls eine Rolle. Am Investorenmarkt werden die erwarteten Mieterträge jedoch in den Wert der Liegenschaft übersetzt. Die Übersetzung erfolgt über die Rendite, also das Verhältnis von Miete zu Kaufpreis. Zuletzt wurden pro Franken Mietertrag immer höhere Kaufpreise geboten. Investoren nehmen tiefere Renditen in Kauf, da aufgrund tiefer Zinsen renditestarke Anlagealternativen fehlen. Kommt hinzu: Die Gelegenheiten zum Kauf einer Liegenschaft auf dem freien Markt sind rar, entsprechend hoch ist die Zahlungsbereitschaft der Investoren.

Die Unterscheidung von Teilmärkten ist ein zentrales Instrument in der Immobilienökonomie. Gleichzeitig müssen die Abhängigkeiten der Teilmärkte untereinander beachtet werden. Die kausale Wirkungsweise geht dabei vom Nutzermarkt Richtung Investorenmarkt – und nicht umgekehrt. Mit anderen Worten: Höhere Kaufpreise von Renditeliegenschaften verändern nicht direkt die am freien Markt gebildeten Mieten. Vielmehr steigern sie die Profitabilität von Bauprojekten und somit die Neubautätigkeit. Mehr Angebot an Wohnraum wiederum dämpft die Mieten.

Kleinräumige Unterschiede


Chefökonominnen und Chefökonomen analysieren laufend das gesamtwirtschaftliche Umfeld. Relevant sind insbesondere das Bevölkerungs- und das Wirtschaftswachstum, die Finanzmärkte sowie die Regulierung. Besonders wichtig für den Chefökonomen bei einem Immobilienberatungsunternehmen wie Wüest Partner sind aber auch die lokalen Gegebenheiten: Weil Lagefaktoren wie Distanz zum Bahnhof, Seesicht oder Lärmbelastung für jede Liegenschaft einzigartig sind, ist der Immobilienmarkt äusserst heterogen.

Auch in heterogenen Märkten gelten aber universelle ökonomische Prinzipien, sofern die Teilmärkte passend zugewiesen werden: Knapp ist derzeit das Angebot, um Liegenschaften zu erwerben. Nicht knapp ist hingegen das gesamtschweizerische Angebot, um Wohnraum zu belegen. Deshalb sind zuletzt die Kaufpreise von Wohnliegenschaften gestiegen, aber nicht die Marktmieten.

Zitiervorschlag: Jörg Schläpfer (2021). Kaufen versus Mieten. Die Volkswirtschaft, 01. November.