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Banking mit Blockchain

Kannibalisieren sich Schweizer Finanzinstitute, indem sie auf eine dezentralisierte Finanzinfrastruktur setzen? Nein. Es zeugt vielmehr von Weitsicht.

Banking mit Blockchain

Blockchain-basierte Finanzprotokolle lassen sich wie Lego-Steine aufeinanderbauen. (Bild: Shutterstock)

Seit geraumer Zeit diskutiert die Finanzbranche über die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie. Oft wird dann gesagt, die Technologie ermögliche eine digitale Zahlungsinfrastruktur, mit der man virtuelle Währungen erstellen und Verträge «automatisiert» abwickeln könne. Klar: All dies lässt sich auf einer Blockchain abbilden – es handelt sich hierbei aber weder um eine exklusive Errungenschaft noch um den wirklich spannenden Teil der neuen Technologie.

Geldeinheiten werden seit Jahrzehnten in digitaler Form ausgestellt, jede Ressourcenplanungssoftware verfügt über Automatisierungsmodule, und viele Vermögenswerte werden schon längst über einfache Datenbankeinträge – also virtuell – transferiert. Wenn es also nur darum geht, ein digitales Zahlungsmittel zu schaffen und Prozesse zu automatisieren, dann wird dafür keine Blockchain benötigt. Was ist also das Neue an der Blockchain-Technologie, und worin steckt das grosse Potenzial?

Zunächst muss man verstehen, was eine öffentliche Blockchain von einer herkömmlichen Datenbank unterscheidet.[1] Vereinfacht gesagt, ermöglicht die Blockchain-Technologie erstmals, eine Datenbank in einer offenen Gemeinschaft zu führen: Jeder kann sich eigenständig dem System anschliessen, Transaktionen ausstellen und deren Ausführung verifizieren, ohne dass er dabei einer anderen Person vertrauen oder um Erlaubnis bitten muss. Falschmeldungen können sofort als solche entlarvt und verworfen werden. Niemand verfügt über Sonderrechte und kann unilateral die Regeln ändern oder Manipulationen vornehmen. Kurz: Öffentliche Blockchains schaffen eine unabhängige, faire und robuste Basisinfrastruktur, die nicht von einzelnen Institutionen und Intermediären abhängig ist.

Skepsis spürbar

Für traditionelle Schweizer Finanzinstitute lesen sich diese Neuerungen etwas schizophren. Auf der einen Seite ist Innovation zu begrüssen, und auch Transparenz, Fairness sowie eine robuste und offene Infrastruktur gelten als erstrebenswert. Gleichzeitig löst die Blockchain-Technologie gewisse Ängste aus: Was bedeutet «Unabhängigkeit von Intermediären» konkret? Was passiert in einem solchen System mit den Banken, und wie kann der Schweizer Finanzplatz mit diesen Entwicklungen umgehen?

Lassen Sie mich etwas ausholen: Derzeit entsteht auf öffentlichen Blockchains unter dem Begriff «Decentralized Finance» (DeFi) ein komplett neues Finanzsystem. Vermögenswerte werden über sogenannte Token abgebildet. Diese können eigenständig verwahrt und transferiert werden. Dienstleistungen wie Tauschbörsen oder Kreditmärkte werden durch sogenannte Smart-Contract-Protokolle repliziert. Das sind kleine, codebasierte Anweisungen, die auf der Blockchain hinterlegt und ausgeführt werden.

Das Besondere daran: Der Code ist transparent einsehbar und das Protokoll durch alle nutzbar. Jeder Teilnehmende weiss exakt, wie sich das Protokoll verhalten wird, wenn es ausgeführt wird. Während zentralisierte Tauschbörsen oft eine grosse Zahl an Mitarbeitenden benötigen, die einen reibungslosen Ablauf sicherstellen, können dezentrale Tauschbörsen autonom und ohne Intermediäre betrieben werden.

Wie Lego-Steine

Marktteilnehmer sind menschliche Händler und Drittprotokolle, also andere Smart Contracts. Wenn beispielsweise ein Kreditprotokoll Vermögenswerte tauschen muss, kann dieser Tausch direkt über das Tauschbörsenprotokoll erfolgen. Dieser letzte Punkt nennt sich «Composability» und beschreibt das Konzept, dass Smart-Contract-basierte Finanzprotokolle wie Lego-Steine aufeinander aufbauen können. Es ist genau jener Punkt, den man sich bei Open Banking eigentlich wünscht, bei dem man aber immer wieder an künstliche Grenzen stösst. Atomare Transaktionen, also die Idee, dass verschiedene Teiltransaktionen inseparabel aneinandergeknüpft und entweder als Einheit oder gar nicht ausgeführt werden, beseitigen dabei weite Teile des Gegenparteirisikos und stellen sicher, dass selbst bei komplexen Interaktionsketten mit verschiedenen Protokollen kein Vertrauen benötigt wird.

Enorme Weitsicht

DeFi ist bereits Realität: Die Handelsvolumina sind teilweise grösser als auf zentralisierten Tauschbörsen, die ausgestellten Kredite im hohen zweistelligen Milliardenbereich und die Innovationskraft enorm. Dementsprechend gross ist auch das Interesse bei den Geschäftsbanken. Verschiedene Finanzinstitute haben eigene Abteilungen, die sich mit dem Thema DeFi beschäftigen, veranstalten Kundenworkshops oder veröffentlichen Konzepte, wie das eigene Institut mit dezentralen Protokollen interagieren kann.

Das Interesse mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, zeugt aber von einer enormen Weitsicht. Denn selbst wenn wir von einem Extrem ausgehen, also einer Welt, in der sich DeFi komplett durchsetzt, gäbe es nach wie vor eine Nachfrage nach gut positionierten Intermediären: DeFi schafft zwar die Option, dass Anleger direkt mit den Finanzprotokollen interagieren und die Vermögenswerte eigenständig verwahren können; viele von uns werden dies aber weiterhin lieber an einen Intermediär delegieren wollen – unter anderem, weil es technisch anspruchsvoll und zeitintensiv ist. Hier bietet sich für Vermögensverwalterinnen, Broker und Kundenberater also eine Chance.

Was ist die Alternative?

Das Schöne an DeFi ist aber, dass wir nicht alternativlos in das Geschäftsbankensystem hineingezwängt werden, sondern aus freien Stücken entscheiden können, ob die Dienstleistungen ihren Preis wert sind. Die offene Infrastruktur sorgt dabei für einen gesunden Wettbewerb und verhindert Monopolrentenextraktion und eine innovationshemmende Zementierung des Status quo. Beides wird unseren Finanzplatz stärken.

Letztlich muss man sich auch fragen, was denn die Alternativen zu Decentralized Finance wären. Denkbar wären allumfassende Plattformen, die durch eine staatliche Institution oder einen Grosskonzen betrieben werden. Beides wird aktiv diskutiert, und beides ist meines Erachtens höchst problematisch.

Die gebündelte Macht bei den jeweiligen Betreibern wäre derart gross, dass ein potenzieller Missbrauch weitreichende ökonomische und gesellschaftliche Folgen hätte. Auch ein Konsortium aus mehreren Organisationen scheint wenig sinnvoll. Denn Konsortien bergen die Gefahr von Kollusion und können innovationshemmend wirken. Zudem sind sie oftmals geprägt von politischen Machtkämpfen und Ineffizienzen.

Bei einem staatlichen Mandat wäre man spätestens bei der Frage «Welcher Staat?» an einem ähnlichen Punkt wie bei einem privaten Konsortium – wir sprechen hier schliesslich von einem globalen System, in welchem die Interessen der verschiedenen Staaten heterogen ausgeprägt sind. Zudem bestünde die Gefahr, dass man Instrumente für die totale Überwachung und den gezielten Ausschluss einzelner Wirtschaftssubjekte schaffen würde. Auch wenn man davon ausgehen darf, dass dies zum aktuellen Zeitpunkt und in unserer politischen Lage kein Problem darstellt, wäre es naiv, zu glauben, dass diese Machtkonzentration deswegen unproblematisch ist. Denn ist die Infrastruktur erst mal da, kann sie auch von zukünftigen Machthabern genutzt werden – unabhängig von deren Werten und deren Demokratieverständnis.

Mit öffentlichen Blockchains und DeFi entsteht eine offene, transparente und faire Basisinfrastruktur, die der Allgemeinheit gehört, den Wettbewerb fördert und Innovation erlaubt, gleichzeitig aber auch sicherstellt, dass es nicht zu gefährlichen Machtakkumulationen kommt. Dies ist eine enorme Chance, die es zu be- und ergreifen gilt.

  1. Für technische Details siehe zum Beispiel Online-Vorlesungsreihe Cryptolectures.io der Universität Basel. []

Zitiervorschlag: Fabian Schär (2021). Banking mit Blockchain. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.