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Neue Aussenwirtschaftsstrategie: Kompass für die nächsten Jahre

Der Bundesrat hat seine Aussenwirtschaftsstrategie überarbeitet. Darin adressiert er die zunehmenden protektionistischen Tendenzen, geopolitische Veränderungen und die Anliegen in Bezug auf Umwelt- und Sozialstandards.
Markt in Hanoi. Die Schweiz und Vietnam verhandeln zurzeit über ein Freihandelsabkommen. (Bild: Alamy)

Das Welthandelsvolumen hat sich trotz mehrerer Wirtschaftskrisen seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Immer mehr Länder nehmen am weltweiten Handelssystem teil. Doch die Globalisierung umfasst nicht nur die wirtschaftliche Integration, sondern auch die technologische Entwicklung und führt zu gesellschaftlichen Veränderungen. So reduzierte sich weltweit der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung mit der beschleunigten Globalisierung in den vergangenen Jahrzehnten.[1] Ausserdem haben die globale Vernetzung und der Informationsaustausch rasant zugenommen. Mittlerweile nutzen weltweit etwa 5 Milliarden Personen das Internet. Das sind über zehnmal so viele wie zur Jahrtausendwende[2] und rund 2 Milliarden mehr als noch 2015. Über die Hälfte der Seitenaufrufe wurde zudem über ein Smartphone getätigt[3]; 2015 war es noch rund ein Drittel.

Diese globale Entwicklung ist nicht zuletzt auch für die Schweiz von Interesse: Wir verfügen kaum über natürliche Ressourcen und haben mit nur rund 8,5 Millionen Einwohnern einen relativ kleinen Binnenmarkt. Umso wichtiger ist da die enge Verknüpfung mit den internationalen Märkten. Der Aussenhandel trägt rund 40 Prozent zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei[4] und ist somit massgeblich für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen und für das vergleichsweise hohe Einkommen in der Schweiz verantwortlich[5].

Aussenwirtschaftspolitik ermöglicht Wohlstand


Der Bund schafft die Rahmenbedingungen, damit die Aussenwirtschaft in diesem dynamischen globalen Umfeld auch weiterhin massgeblich zum hohen Lebensstandard beitragen kann. So konnte die Schweiz beispielsweise gemeinsam mit 164 anderen Ländern wichtige Handelsliberalisierungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) mitprägen. Neben der sektoriellen Teilnahme am EU-Binnenmarkt bestehen mit über 40 weiteren Partnerländern Freihandelsbeziehungen.

Ausserdem schützen 115 Abkommen Schweizer Investitionen in Partnerländern. Und die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit hilft, dass einkommensschwache Staaten ihren Privatsektor entwickeln und sich in die globale Wirtschaft integrieren können. Auch die Handelsdiplomatie arbeitet unermüdlich an diesem engmaschigen Handelsnetz: Sie unterstützt Unternehmen vor Ort und knüpft wichtige Kontakte. Diese Kontakte erwiesen sich in der Covid-19-Pandemie als besonders hilfreich. Dank rascher Interventionen vor Ort konnten im Ausland blockierte Lieferungen schnell wieder freigegeben werden.

Zentrale Herausforderungen


Unser Wohlstand und die zugrunde liegenden Rahmenbedingungen sind keine Selbstverständlichkeit. Die Instrumente der Aussenwirtschaftspolitik müssen laufend an die neuen internationalen, gesellschaftlichen, politischen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Der Bundesrat hat dazu im November 2021 eine neue Aussenwirtschaftsstrategie verabschiedet. Drei der darin formulierten Herausforderungen und die vorgeschlagenen Herangehensweisen möchten wir im Folgenden genauer beleuchten[6]:

1) Zusammenspiel mit Innenpolitik


Die Aussenwirtschaftspolitik bettet sich in andere Politikfelder der Schweiz ein. So gibt es etwa keine klare Trennlinie zwischen Aussen- und Innenpolitik. Während früher der Zollabbau aussenwirtschaftlich im Fokus stand, sind es heute vermehrt unterschiedliche Regulierungen, die einen Einfluss auf grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeiten haben. Dazu zählen etwa Regulierungen in Zusammenhang mit der Digitalisierung, unterschiedliche Produktvorschriften oder die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Gerade im Bereich der Digitalisierung gibt es eine verstärkte gesetzgeberische Tätigkeit – oft mit extraterritorialer Wirkung (etwa beim Datenschutz). In solchen Bereichen können auch Verhandlungen auf internationaler Ebene innenpolitische Veränderungen anstossen. Umgekehrt können innenpolitische Anliegen eine aussenpolitische Wirkung entfalten. So engagiert sich die Schweiz etwa für die Anliegen der Klima- und Umweltpolitik auch in der multilateralen Handelspolitik und für deren Kohärenz zu internationalen Nachhaltigkeits- und Umweltvereinbarungen. Diesbezüglich verhandelt die Schweiz zusammen mit gleichgesinnten Ländern ein Abkommen über Klimawandel, Handel und Nachhaltigkeit (Agreement on Climate Change, Trade and Sustainability, ACCTS). Es soll unter anderem zur Stärkung der Wertschöpfungsketten von Umweltgütern oder zum Abbau von Subventionen für fossile Energien beitragen.

Um die Aussenwirtschaftspolitik noch besser in die anderen Politikfelder einzubetten, werden die im Inland interessierten Kreise – etwa die Zivilgesellschaft, die Kantone oder die Wirtschaft – frühzeitig mit einbezogen. Dabei gilt es, die innenpolitischen Interessen abzuwägen sowie Bedeutung und Chancen der Aussenwirtschaftspolitik für die Schweiz aufzuzeigen und Missverständnisse aufzuklären.

2) Geopolitische Veränderungen


In einem sich stetig wandelnden Umfeld gilt es, Märkte nicht nur nach geografischen (bspw. Südostasien) oder thematischen Gesichtspunkten (bspw. digitale Märkte) zu öffnen. Genauso relevant sind die Verhandlungen anderer Länder. Schliesslich soll die Schweiz mindestens dieselben Bedingungen erhalten wie ihre ausländischen Konkurrenten. Deshalb versucht die Schweiz beispielsweise, parallel zu ihren wichtigsten Handelspartnern über Freihandelsabkommen zu verhandeln. Momentan sind Verhandlungen mit Malaysia, Indien, Vietnam und Moldau im Gang. Daneben laufen Verhandlungen über die Modernisierungen bestehender Abkommen mit Chile, Mexiko und mit der Zollunion des Südlichen Afrika (Sacu).

Die Schweiz ist auch direkt betroffen von geopolitischen Veränderungen. Dazu gehört etwa die zunehmende Blockbildung zwischen China, der EU und den USA sowie verschiedenen Gruppierungen von Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Akteure prägen den internationalen Diskurs und streben eine allgemeine Durchsetzung ihrer Regelungsansätze an. Beispiele dafür sind etwa Regelungen zu Direktinvestitionen oder Datenpolitik. Im Ringen um Einfluss wird von der Schweiz früher oder später eine Positionierung bei diesen Themen verlangt, um den bestehenden Marktzugang nicht zu gefährden. Gleichzeitig setzt sich die Schweiz für international breit abgestützte, möglichst multilaterale Regulierungen ein.

3) Protektionistische Tendenzen


In den letzten Jahren nahmen in vielen Ländern innenpolitische Rufe nach Beschränkungen des internationalen Handels zu. Die Verwendung von Handelshemmnissen als politischer Hebel zwischen den USA und China verstärkt dies weiter. Die steigende Ungleichheit innerhalb vieler Länder, die Herausforderungen anlässlich der Covid-19-Pandemie oder globale Bedrohungen wie der Klimawandel und der Biodiversitätsverlust verändern zudem die politische Wahrnehmung der Globalisierung – auch in der Schweiz.

Um Protektionismus und unterschiedliche technische Vorschriften zu vermeiden, will sich die Schweiz in internationalen Organisationen und Allianzen mit gleichgesinnten Ländern für gemeinsame Regeln für offene Märkte einsetzen und verteidigt diese Regeln, etwa bei Schiedsverfahren im Rahmen der WTO.

Auch gilt es, Missverständnissen zu begegnen. So ist ein rechtlich abgesicherter, möglichst weitreichender Zugang zu den internationalen Märkten nicht gleichzusetzen mit einer schrankenlosen Liberalisierung. Die Schweiz verhandelt keinesfalls über eine Aufweichung des Konsumentenschutzes oder von Umwelt- und Sozialstandards. Wenn aufgrund eines Freihandelsabkommens ein Produkt zollfrei importiert werden kann, muss das Produkt die entsprechenden Anforderungen in der Schweiz erfüllen. So bedeutet ein Nullzoll auf Personenwagen aus China beispielsweise nicht, dass das importierte Auto Schweizer Sicherheitsvorschriften nicht erfüllen muss, um eine Strassenzulassung zu erhalten. So gesehen kann ein Freihandelsabkommen auch positive Anreize setzen. Palmöl aus Indonesien etwa kann nur vergünstigt importiert werden, wenn es ökologische und soziale Standards erfüllt – das setzt einen Anreiz für den Import von zertifiziertem Palmöl. Diese Bestimmung ist ein Beispiel, wie sich die Schweiz dafür einsetzt, dass grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen zur nachhaltigen Entwicklung im In- und im Ausland beitragen.

Bewährte Politik weiterführen


Die Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz hat sich grundsätzlich bewährt. Sie ist kein Selbstzweck, sondern ergänzt die Politik des Bundes zur Wahrung des hohen Lebensstandards in der Schweiz. Der Zugang zu internationalen Märkten und die Einbindung in die internationalen Wertschöpfungsketten leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Der Bund setzt sich für die hierfür geeigneten Rahmenbedingungen ein. Dazu identifiziert die Aussenwirtschaftsstrategie die anstehenden Herausforderungen, legt transparent die strategischen Ziele fest und zeigt insgesamt neun zentrale Handlungsfelder auf, wo die Aktivitäten des Bundes verstärkt werden sollen. Die neue Strategie bietet damit einen Orientierungsrahmen für die Aussenwirtschaftspolitik der nächsten Jahre.

  1. Siehe World Bank (2020). []
  2. Siehe Internetworldstats.com. []
  3. Siehe Kemp (2021). []
  4. Zur Berechnung dieser Quote werden Exporte von Waren und Dienstleistungen in Relation zum BIP gesetzt. Der Wert von importierten Zwischenprodukten, die in der Schweiz weiterverarbeitet und danach wieder exportiert werden (importierte Wertschöpfung), wird dabei vom Wert der Exporte abgezogen. []
  5. Siehe OECD (2020). []
  6. Siehe Bundesrat (2021). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Larissa Müller, Claudio Wegmüller, (2021). Neue Aussenwirtschaftsstrategie: Kompass für die nächsten Jahre. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.