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Wie man schlaue Regulierungen findet

Was sind die Kosten und Auswirkungen einer Regulierung? Regulierungsfolgenabschätzungen prüfen gewisse Vorlagen des Bundes auf diese Fragen. Damit gute Regulierungen resultieren, müssten aber vermehrt auch Alternativen evaluiert werden.
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Abstimmung im Nationalrat. Im Idealfall steht den Volksvertretern eine Regulierungsfolgenabschätzung als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. (Bild: Keystone)

Covid-19-Pandemie, Klimawandel, Staatsverschuldung und technologischer Wandel – die Regierungen stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Diese Belastungen erfordern von ihnen ein flexibles und schnelles Handeln, weltweite Zusammenarbeit und bessere Regulierungen, die auf evidenzbasierter Politik beruhen.

Wie Regierungen die Qualität und die Wirksamkeit von Gesetzen und Regulierungen verbessern können, darüber gibt der Regulatory Policy Outlook[1] der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Auskunft. Der Bericht erscheint alle drei Jahre. In seiner dritten Auflage informiert er Entscheidungsträger und Praktiker über Verbesserungsmöglichkeiten in der Regulierungspolitik und zeigt gleichzeitig aktuelle und künftige ordnungspolitische Trends auf. Der Bericht zeigt zudem, wie die 2012 von der OECD veröffentlichte «Recommendation on Regulatory Policy and Governance»[2] bisher umgesetzt wurde. Diese beinhaltet das gemeinsame Ziel der OECD-Mitglieder, ihre Regulierungspolitik zu verbessern.

Die Covid-19-Pandemie hat die Bedeutung von Regulierungen ins Rampenlicht gerückt. Sie zeigte die Notwendigkeit, Regeln anders zu erarbeiten und umzusetzen. Dazu gehören auch ein globalerer Ansatz und eine bessere Abwägung potenzieller Risiken und Kompromisse. So haben die Covid-Krise und die dadurch verursachten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schocks beispielsweise gezeigt, dass die Regulierungsbehörden in einem sich rasch ändernden Umfeld schneller reagieren und widerstandsfähiger sein müssen. Dies gilt besonders angesichts des beschleunigten technologischen Wandels. Denn Regierungen können so die Vorteile von Innovationen nutzen und gleichzeitig den Schutz ihrer Bürger sowie der Umwelt aufrechterhalten.

Neue Richtlinien für die Schweiz


Die Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) ist eine zentrale Entscheidungshilfe bei der Ausgestaltung von Regulierungen. Sie bietet objektive Informationen zu den wahrscheinlichen Vorteilen und Kosten spezifischer regulatorischer Ansätze. Zudem beurteilt sie Alternativen kritisch und evaluiert auch die Option, auf eine Regulierung ganz zu verzichten. Die RFA ist ein iteratives Verfahren, das parallel zur Ausgestaltung der politischen Massnahmen durchgeführt und überarbeitet werden sollte. Nur so fliessen die Analyseergebnisse zurück und beeinflussen den Regulierungsprozess.

Der Gesamtindikator zu den Anforderungen und Praktiken der Länder in Sachen RFA zeigte in den letzten Jahren keine signifikante Verbesserung.[3] Dennoch haben laut dem Regulatory Policy Outlook Chile, Griechenland, Israel, Lettland, Portugal und Spanien substanziellere Reformen durchgeführt. Auch die Schweiz hat in jüngster Zeit einiges angepasst: Gemäss den vom Bundesrat 2019 erlassenen Richtlinien müssen neu alle Regulierungen einer Schnellprüfung (Quick-Check) unterzogen werden. Diese von den meisten OECD-Mitgliedern angewendete Praxis soll einschätzen, ob eine vertiefte Prüfung nötig ist. Dabei muss die von den politischen Entscheidungsträgern durchgeführte Analyse im Verhältnis zu den Auswirkungen eines Regulierungsvorschlags stehen. Rund 15 Prozent aller OECD-Mitglieder verfügen jedoch weiterhin über keine solche Anforderung.

Abb. 1: Regulierungsfolgenabschätzungen im OECD-Vergleich (2021)




*Es werden nur die Ergebnisse derjenigen Mitgliedsstaaten angegeben, in denen die Exekutive die meisten Gesetze initiiert.

Die Daten basieren auf 38 OECD-Mitgliedern und der Europäischen Union. Die Erhebung Indicators of Regulatory Policy and Governance (iREG) besteht aus vier gleich stark gewichteten Komponenten: systematische Einführung, Methodik, Transparenz und Aufsicht sowie Qualitätssicherung. Der Maximalwert ist 4. Die Erhebung evaluiert die Regulierungspraxis gemäss der Empfehlung von 2012 (siehe OECD, 2012).

Quelle: Indicators of Regulatory Policy and Governance (iREG) Survey 2021 / Die Volkswirtschaft

Die OECD-Mitglieder konzentrieren sich bei ihren Regulierungsfolgenabschätzungen tendenziell auf eine Kostenanalyse der politischen Vorlagen. Oft vernachlässigen sie jedoch eine Bewertung der Vorteile. Dies scheint auch auf die Schweiz zuzutreffen, wo die Pflicht zur Quantifizierung der Regulierungskosten 2019 ausgedehnt und allgemeinverbindlich wurde. Auf die Quantifizierung der gesellschaftlichen Vorteile fokussiert das Land hingegen weniger. Die Ermittlung und Bewertung des künftigen Nutzens ist jedoch zentral, um zu zeigen, dass die entsprechenden Kosten gerechtfertigt sind und die Politik im öffentlichen Interesse ist. Zudem lässt sich so aufzeigen, dass es möglicherweise bessere Alternativen als den Status quo gibt, bei dem der Staat nicht interveniert.

Die Entscheidung, nichts zu unternehmen, könnte etwa in der Umweltpolitik und beim Klimawandel hohe Kosten verursachen. In anderen Situationen könnte das Fehlen einer Regulierung allerdings sogar zu einem besseren Ergebnis führen; nämlich dann, wenn Regeln schlecht ausgestaltet oder unzureichend umgesetzt sind. So etwa in Greenfield-Bereichen, die von erheblicher Unsicherheit geprägt sind. Hier nicht zu regulieren, kann beispielsweise innovative Lösungen fördern, die sich mit einem regelbasierten Ansatz nicht ergeben hätten.

Zu wenige Optionen evaluiert


Die RFA sollte sich nicht auf die favorisierte politische Option beschränken, sondern alle machbaren Alternativen prüfen.[4] Doch die politischen Entscheidungsträger konzentrieren sich oftmals nur auf die Kosten der bevorzugten Option. Deshalb verfügen sie nicht über genügend Informationen, um zu beurteilen, ob eine Regulierung tatsächlich notwendig ist. In über 80 Prozent aller OECD-Mitgliedsländern müssen die Auswirkungen der favorisierten Politik und alternativer regulatorischer Optionen bewertet werden. Nur wenige Länder kennen hingegen eine Pflicht, auch die Auswirkungen nicht regulatorischer Alternativen wie Informationskampagnen zu bewerten. Allerdings: Wo dies gemacht wird, wird in der Regel nur ein einziger nicht regulatorischer Ansatz in Erwägung gezogen. Dies gilt auch für die Schweiz.

Um sachlich abzuwägen, müssen die politischen Entscheidungsträger die aktuelle Situation verstehen und alle machbaren Optionen in Betracht ziehen. So können sie die grösstmögliche Palette an Alternativen ernsthaft prüfen. Zudem stellen sie so sicher, dass die optimale Lösung gefunden und folglich die soziale Wohlfahrt maximiert wird. Um Alternativen zu finden, müssen allerdings oft Informationen von den betroffenen Parteien eingeholt werden. Entsprechend hilft eine solche Bewertung, eine daraus resultierende Regulierung zu akzeptieren und möglichweise besser einzuhalten.

Stakeholder sind wichtige Akteure in der Regulierungspolitik. Einerseits weil sie zusätzliche Belege zur Umsetzbarkeit vorgeschlagener Regeln beisteuern, andererseits weil sie alternative, von den politischen Entscheidungsträgern nicht in Erwägung gezogene Optionen aufzeigen. In der Schweiz können Interessierte zu allen Gesetzesentwürfen[5] sowie bedeutenden Verordnungen[6] in mindestens zwölfwöchigen öffentlichen Onlinevernehmlassungen Stellung nehmen. Wenn künftige Vernehmlassungen, wie dies in der Schweiz der Fall ist, vorher angekündigt werden, können sich die Stakeholder organisieren, um ihre Bemühungen auf die Vorlagen zu konzentrieren, von denen sie am stärksten betroffen sind. So können sie die politischen Massnahmen von Anfang an verbessern. Die Schweiz ist nur eines von acht OECD-Mitgliedern, die den Stakeholdern systematisch im Voraus mitteilen, dass sie bei der Erarbeitung eines Regulierungsvorschlags konsultiert werden.

Evaluierung von Regeln selten


Wenn Regeln einmal geschaffen sind, sollten sie periodisch überprüft werden. So führen sie auch weiterhin zu den bestmöglichen Ergebnissen für die Bevölkerung. Trotzdem existieren nur in einem Viertel der OECD-Mitgliedsländer systematische Anforderungen dazu. Zwar ist die Pflicht zur Evaluierung politischer Massnahmen in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert, doch bei Regulierungen ist eine Überprüfung nur teilweise obligatorisch. Rund die Hälfte der OECD-Mitglieder, die Überprüfungsbestimmungen bei Gesetzen kennen, schreibt auch Evaluierungen von bestehenden Regulierungen vor. Rund 60 Prozent nutzen Auslaufbestimmungen (sogenannte Sunset-Klauseln) für Verordnungen.[7]

Wie alle OECD-Mitglieder hat auch die Schweiz noch erheblichen Spielraum, um Regulierungen praxistauglich zu machen. Denn hinsichtlich der Anforderungen und der Praxis von Ex-post-Evaluierungen liegt das Land unter dem OECD-Durchschnitt (siehe Abbildung 2). Zwar gibt es in der gesamten Schweizer Verwaltung Koordinierungsmechanismen und in einigen Bundesämtern auch Evaluierungsunterstützungsstellen, aber keine formelle Vorschrift, dass Evaluierungen eine Kosten-Nutzen-Bewertung enthalten müssen. Folglich werden in den Evaluierungen die tatsächlichen Auswirkungen nur gelegentlich mit den in der RFA prognostizierten Effekten verglichen und so unbeabsichtigte Folgen nicht systematisch aufgedeckt.

Abb. 2: Ex-post-Evaluierung bei Gesetzen und Regulierungen im OECD-Vergleich (2021)




*Es werden nur die Ergebnisse derjenigen Mitgliedsstaaten angegeben, in denen die Exekutive die meisten Gesetze initiiert.

Die Daten basieren auf 38 OECD-Mitgliedern und der Europäischen Union. Die Erhebung Indicators of Regulatory Policy and Governance (iREG) besteht aus vier gleich stark gewichteten Komponenten: systematische Einführung, Methodik, Transparenz und Aufsicht sowie Qualitätssicherung. Der Maximalwert ist 4. Die Erhebung evaluiert die Regulierungspraxis gemäss der Empfehlung von 2012 (siehe OECD, 2012).

Quelle: Indicators of Regulatory Policy and Governance (iREG) Survey 2021 / Die Volkswirtschaft

Notwendige Anpassungen


Der Regulatory Policy Outlook der OECD hält fest, dass die Regulierungspolitik agiler, risikogerechter und flexibler werden kann. Das muss sie auch, um die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Gesundheitskrisen und zunehmende Ungleichheiten anzupacken. Herkömmliche ordnungspolitische Steuerungsinstrumente wie RFA, Stakeholder-Beteiligung und Ex-post-Evaluierung müssen an diese neuen Herausforderungen angepasst werden und den Chancen des Wandels Rechnung tragen.

Diese Veränderungen sind notwendig, wenn die Regierungen den raschen und umfassenden technologischen Wandel nutzen und sich schneller und nachhaltiger von Gesundheits- und Wirtschaftskrisen wie der Covid-19-Pandemie erholen wollen. Der Bericht weist ausserdem darauf hin, dass die Länder grosse Fortschritte bei der Verbesserung bestimmter regulatorischer Aspekte erzielen können. Wenn die Regierungen ihre Versprechungen gegenüber ihren Bürgern einhalten wollen, muss sich die Einstellung aber dringend ändern.

Dazu gehört beispielsweise auch, dass Stakeholder umfassender beteiligt werden (einschliesslich ausländischer Akteure). Und zudem müssen alle tragfähigen Optionen zur Lösung öffentlicher politischer Probleme sowie die bessere Nutzung von Technologien berücksichtigt werden. All dies dient dazu, Gesetze besser zu gestalten und für mehr Flexibilität bei der Umsetzung von Vorschriften zu sorgen (z. B. durch die Verwendung von «Regulatory Sandboxes» etc.).

  1. Siehe OECD (2021). Der Artikel basiert auf dieser Publikation. []
  2. OECD (2012). []
  3. Für Informationen zum Aufbau der Gesamtindikatoren siehe Arndt et al. (2015). []
  4. OECD (2020a). []
  5. Gesetze sind Regulierungen, die vom Parlament genehmigt werden müssen (OECD, 2021). []
  6. Verordnungen sind Regulierungen, die nicht vom Parlament, sondern von einer anderen Behörde verabschiedet werden (OECD, 2021). []
  7. Für weitere Informationen zu Evaluierungsbestimmungen und Ex-post-Evaluierungen siehe (OECD 2020b). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Arndt-Bascle, Christiane; Davidson, Paul; de Liedekerke, Marie-Gabrielle (2021). Wie man schlaue Regulierungen findet. Die Volkswirtschaft, 23. Dezember.