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Isolda Agazzi, Mitglied der Geschäftsleitung, Verantwortliche Handel und Investitionen, Alliance Sud, Lausanne

Das Palmöl hat beim Freihandelsabkommen mit Indonesien die öffentliche Meinung erhitzt. Es war vor allem dieser Punkt, der dazu geführt hat, dass das Referendum gegen das Abkommen nur knapp gescheitert ist. Das per November 2021 in Kraft getretene Abkommen enthält aber auch andere heikle Bestimmungen für Entwicklungsländer, die kaum beachtet wurden: Dazu gehört die Forderung gegenüber Indonesien – wenn auch mit einigen Einschränkungen –, die Bestimmungen des Internationalen Verbands zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (Upov) einzuhalten. Dieses der Öffentlichkeit unbekannte Übereinkommen verpflichtet die Mitgliedsstaaten, strenge Vorschriften zum Schutz neuer Pflanzenzüchtungen zu verabschieden und sie damit quasi zu privatisieren. Die internationalen Agrarkonzerne besitzen damit Monopolrechte, sodass die Bauern keinen freien Zugang zum Saatgut der geschützten Sorten mehr haben: Sie können diese Pflanzen nicht mehr wie bis anhin erwerben, züchten, austauschen und frei verkaufen.

Am 8. Dezember 2021, dem 60. Jahrestag des Upov, führte die Schweizer Koalition «Recht auf Saatgut», der auch Alliance Sud angehört, eine Aktion vor dem Sitz der Organisation in Genf durch. Das Ziel davon war nichts weniger als die Auflösung der Upov. Die Aktion war der Schlusspunkt einer Mobilisierungswoche, an der sich knapp 300 Organisationen und Netzwerke aus aller Welt beteiligten.

 

Die Schweiz hat bisher darauf verzichtet, Folgenabschätzungen bezüglich der Menschenrechte durchzuführen.

 

«Berücksichtigt man die Tatsache, dass der Grossteil der Exporte aus Ecuador aus dem Agrobusiness rund um die Bananen-, Krevetten-, Blumen- und Kakaoproduktion sowie aus dem Fischfang stammt, liegt es auf der Hand, dass sich diese Aktivitäten ausdehnen werden und mit ihnen die Verschmutzung und die Zerstörung der natürlichen Lebensräume. Dies wird immer schlimmere Folgen für die Gemeinschaften der Kleinbauern und handwerklich arbeitenden Fischer haben, vor allem wegen der Zerstörung ihrer Einkommensquellen», erklärte Cecilia Chérrez von der ecuadorianischen NGO Acción Ecológica, als das Freihandelsabkommen der Efta-Staaten mit Ecuador im November 2020 in Kraft trat. Zudem betonte sie, dass 90 Prozent der Exporte in die Efta in die Schweiz gingen.

Obwohl sie von zahlreichen internationalen Instanzen und von einem noch hängigen Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats unter Druck gesetzt wurde, hat die Schweiz bisher darauf verzichtet, Folgenabschätzungen bezüglich der Menschenrechte durchzuführen, da sie davon ausgeht, die bisher angewendeten Methoden ergäben keine zufriedenstellenden Resultate. Um das Gegenteil zu beweisen, liess Alliance Sud eine Studie zu den Auswirkungen eines künftigen Freihandelsabkommens mit dem Mercosur erstellen, die sich insbesondere mit dem Einfluss des Abkommens auf die Rechte der indigenen Bevölkerung und der Kleinbauern befasst. Die Studie zeigt: Die Entwaldung infolge des wachsenden Agrobusiness belastet oft den Boden, welcher der indigenen Bevölkerung gehört, ohne dass Letztere konsultiert wird.

 

Die Bestimmungen zum geistigen Eigentum tangieren das Recht auf Gesundheit.

 

Die Studie beleuchtet ein weiteres Problem: Die Bestimmungen zum geistigen Eigentum tangieren das Recht auf Gesundheit. Die von der Schweiz üblicherweise verlangte Stärkung der Rechte an geistigem Eigentum führt zu höheren Preisen für Generika und verzögert die Kommerzialisierung dieser Medikamente. Anlässlich der Verhandlungen zum Freihandels­abkommen mit dem Mercosur sprachen sich die Partnerstaaten der Schweiz vehement dagegen aus und argumentierten, dies gefährde das Recht auf Gesundheit: In Argentinien beispielsweise handelt es sich bei 70 Prozent der auf dem Markt erhältlichen Medikamente um Generika.

Dies ist keinesfalls nur graue Theorie: Als Kolumbien 2015 eine Zwangslizenz für das von Novartis hergestellte Krebsmedikament Glivec ausstellen wollte, schickte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) einen Brief an die kolumbianische Regierung, um sie davon abzubringen. Es betonte die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern, die insbesondere dem Freihandelsabkommen zu verdanken seien. Nach dieser Intervention und aufgrund der von Novartis angedrohten Klage hütete sich Kolumbien wohlweislich, eine Zwangslizenz anzuordnen. Genau diesen Mechanismus verteidigt die Schweiz gegenwärtig in der Welthandelsorganisation (WTO), wo sie sich nachdrücklich gegen die zeitweilige Aufhebung der Patente auf Covid-19-Impfstoffen und Corona-Medikamenten ausspricht, wie sie Indien und Südafrika vorschlagen.

 

Die Schweiz muss bei ihrer Handelspolitik ihre Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte ernst nehmen.

 

Die neue Aussenwirtschaftsstrategie der Schweiz möchte zur Nachhaltigkeit bei Umwelt und Sozialem beitragen. Natürlich ist das lobenswert. Doch die Aufnahme verpflichtender Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung in die Freihandelsabkommen befreit die Schweiz nicht davon, die ihrer Handelspolitik innewohnenden Widersprüche anzuerkennen. Die Nachhaltigkeitsstandards und -verpflichtungen sollten zudem konkret, effizient und messbar implementiert werden. Möglicherweise sollten sie im Fall von Verstössen auch Sanktionen beinhalten, was bisher nicht vorgesehen ist. Die gemischten Ausschüsse, die das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung kontrollieren, dürfen nur Empfehlungen abgeben.

Die Schweiz muss bei ihrer Handelspolitik ihre Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte ernst nehmen. Das gilt auch für die extraterritorialen Pflichten, die in den von ihr ratifizierten Menschenrechts­abkommen verankert sind. Zudem muss sie darauf achten, dass die Freihandelsabkommen das Recht auf Nahrung und Gesundheit nicht gefährden.

Zitiervorschlag: Agazzi, Isolda (2022). Entwicklungsländer: Die Schweiz gibt sich scheinheilig. Die Volkswirtschaft, 09. März.